Münchhausen. Karl Immermann
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Kleinlauten Tons versetzte hierauf der Sammler nach einer Pause, daß Irren menschlich wäre, daß die Waffen des Mittelalters sich nach den Zeitaltern oft nicht genau unterscheiden ließen, daß er auf diese Überbleibsel sich weniger, als auf Römersachen verstände, und daß allerdings manches an dem Schwerte auf ein höheres, über die Soester Fehde hinausreichendes Alter zu deuten schiene. Worauf der Hofschulze entgegnete, daß ihm dergleichen allgemeine Redensarten nichts frommen konnten, daß er den Zwist und den Zweifel an seinem Schwerte ein für allemal abgetan wissen wollte, und daß es nur ein Mittel gäbe, in den Besitz des alten Topfes zu kommen, nämlich, wenn der Herr Schmitz auf der Stelle eine Schrift von sich gäbe, worin das im Oberhofe aufbewahrte Schwert förmlich für das wahre Schwert Caroli Magni anerkannt würde.
Nach dieser Eröffnung hatte der Altertümler freilich einen harten Kampf zwischen seinem antiquarischen Gewissen und seiner antiquarischen Begierde zu kämpfen. Er warf die Lippe auf und trommelte mit den Fingern auf der Stelle umher, wo er den Knochen vom Teutoburger Schlachtfelde stecken hatte. Sichtlich war sein Bestreben, über die Anmahnungen des ihn zur Unwahrheit verlockenden Gelüstes Herr zu werden. Endlich aber erhielt dennoch die Leidenschaft, wie dieses immer zu geschehen pflegt, die Oberhand. Hastig forderte er Feder und Papier und stellte mit fliegender Eile, zuweilen seitwärts nach der Amphora schielend, ein unumwundenes Bekenntnis aus, daß er nach oftmaliger Besichtigung des Schwertes im Oberhofe solches für das des Kaisers Karls des Großen erkannt und befunden habe.
Diese Urkunde ließ der Hofschulze von den beiden Bauern als Zeugen mit unterschreiben, und steckte dann das Papier, mehrmals zusammengeschlagen, zu sich. Der alte Schmitz aber faßte heftig nach der auf Kosten seines besseren Bewußtseins erkauften Amphora. Der Hofschulze sagte, er wolle ihm den Topf andern Tages nach der Stadt schicken; wie hätte aber ein Sammler wohl jemals auch nur einen Augenblick lang die körperliche Innehabung eines teuer erworbenen Besitzstückes entbehrt? Entschieden lehnte der unsrige jeden Verzug ab, ließ sich eine Schnur geben, zog diese durch die Henkel, und hing sich daran das große Weingefäß über die Schulter. Sie schieden demnächst im besten Einvernehmen, nachdem der Sammler noch zur Hochzeit gebeten worden war. Er gewährte mit seinen Winkeln, mit den bauschig abstehenden Rockschößen und der hin und her wackelnden Amphora an der linken Seite einen abenteuerlichen Anblick, als er von dannen zog.
Die Bauern boten ihrem Ratgeber die Zeit, versprachen, sich seinen Rat merken zu wollen und gingen dann, ein jeder zu seinem Gehöfte. Der Hofschulze, dem im Laufe einer Stunde mit allen Menschen, die sich bei ihm zusammengefunden hatten, jegliches Vornehmen geglückt war, trug erst die erwonnene Anerkennungsurkunde auf die Kammer, worin er das Schwert Caroli Magni verwahrte, dann ging er mit dem Knechte auf den Futterboden, um den Hafer für die Pferde ihm zuzumessen.
Drittes Kapitel
»Westfalen bestund aus einzelnen Höfen, deren jeder seinen eigentümlichen und freien Besitzer hatte. Mehrere solcher Höfe machten eine Bauerschaft aus, die gewöhnlich den Namen des ältesten und vornehmsten Hofes führte. Es gründet sich in der ersten Anlage der Bauerschaften, daß der älteste Hof auch der erste im Range bleiben und der vornehmere werden mußte, wo von Zeit zu Zeit die davon ausgegangenen Kinder, Enkel, Hausgenossen zusammenkamen und einige Tage feierten und zechten. Der Anfang, oder das Ende des Sommers war die gewöhnliche Zeit dazu, wo jeder Hofbesitzer etwas von seinen gezogenen Früchten und auch wohl ein junges Stück Vieh zum Bauermahl mitbrachte. Man besprach sich über mannichfaltige Gegenstände und nahm Rücksprache, Heiraten wurden da geschlossen, Todesfälle angezeigt, und der Sohn als eingetretenes Haupt seines väterlichen Erbes erschien dann gewiß mit volleren Händen und ausgesuchterem Viehe bei seinem ersten Eintritt in die Versammlung. An Zwisten konnte es bei solchen Freudentagen nicht fehlen, dann trat der Vater als Haupt des ältesten Hofes in die Mitte und legte mit Einstimmung der übrigen den Zank bei. Wurden einige Hofbesitzer während der andern Jahrszeit irgendeiner Ursache halber uneins, so brachten beide bei der nächsten Versammlung ihre Beschwerde vor, und beide waren damit zufrieden, was ihre Mitgenossen für gut oder recht fanden. War alles aufgezehrt, der zur Feier bestimmte Baum ausgebrannt, so hatte das Fest, die Versammlung ein Ende. Jeder kehrte dann zurück, erzählte seinen zu Hause schon wartenden Hausgenossen die Begebenheiten des Festes und ward mit ihnen lebendige und stets fortdauernde Urkunde aller Vorfälle ihrer Bauerschaft.
Dergleichen Zusammenkünfte hießen Sprachen, Bauersprachen, weil sämtliche Hofbesitzer einer Bauerschaft, um sich zu besprechen, zusammenkamen, und Bauergerichte, weil hier die Irrungen der schon stillschweigend in einen Verein getretenen Männer beigelegt oder zurückgewiesen wurden. Da die Bauersprachen und Bauergerichte beim ältesten oder vornehmsten Hofe gehalten wurden, so hieß solcher Hof auch Richthof, und die Bauergerichte und Bauersprachen auch Hofsprachen und Hofgerichte, welche bis auf heutigen Tag noch nicht ganz verschwunden sind. Der älteste Hof, der Richthof ward nun im vorzüglicheren Sinne Hof genannt, womit man den Haupthof oder Oberhof in der Bauerschaft und dessen Besitzer als das Haupt oder den Hauptmann der übrigen bezeichnete.
So hätten wir ungefähr die Entstehung von dem ersten Vereine und den ersten Gerichtsanstalten der westfälischen Höfe oder Bauerschaften. Sie kann uns um desto weniger befremden, wenn man bedenket, daß Westfalens ehemalige Gestalt nur eine langsame Bevölkerung und allmähligen Anbau verstattete, und dieses allmählige Fortschreiten gerade so zu den simpeln und einförmigen Einrichtungen, als zu der gleichen Bildung, Sitte und Gewohnheit führte, die wir bei Westfalens alten Bewohnern antreffen.«
Diese Stelle aus Kindlingers »Münsterischen Beiträgen« führt uns auf den Schauplatz der Handlung. Sie verdeutlicht uns den Helden der letzteren, den Hofschulzen. Er war der Besitzer eines der größten und reichsten Haupt- oder Oberhöfe, welche in den dortigen Gegenden, freilich jetzt bis zu geringer Anzahl zusammengeschmolzen, liegen.
Über diese uralten Wehren freier Männer ist der Atem der Zeiten markenverrückend und rechtetilgend hingefahren. Die anfängliche germanische Genossenschaft, in welche jeder nur eintrat, Leibes und Lebens sicher zu werden, nicht, Leib und Leben zu verlieren, ist längst zerstört; der Vasallendienst hat an der Freiheit gerüttelt, die Ministerialität hat daran gerüttelt, und endlich sind die Trümmer eigenartiger Selbständigkeit in den großen Not- und Bergehafen des modernen Staats getrieben worden. In diesem schwimmen sie, (um dem Gleichnisse treu zu bleiben,) stoßen und prallen aneinander an, oder sind auch wohl seitwärts auf das Trockne geworfen. Dort verwittern sie, mit Tang, Flechten und Schneckenhäusern besetzt, nach und nach, während jener Überzug den Schein eines neuen Gebildes fortsetzt.
Aber es ist etwas Merkwürdiges um die ersten Stammerinnerungen, und die Völker haben ein so langes Gedächtnis, wie die einzelnen Menschen, denen ja auch die Eindrücke der frühesten Kinderzeit bis in das höchste Alter hinauf getreu zu bleiben pflegen. Erwägt man nun, daß eines Menschen Leben neunzig währen kann und darüber, daß der Völker Jahre aber Jahrhunderte sind, so ist es weiter nicht zu verwundern, daß in den Gegenden, in welche sich unsere Geschichte nunmehr begeben hat, manches noch hin und wieder aufstößt, welches nach der Zeit zurückweist, in welcher der große Frankenkaiser die eigensinnigen Sassen mit Feuer und Schwert zu bekehren wußte.
Weckt also die Natur da, wo sonst der oberste Richter und Erbe der Gegend wohnte, wieder einmal besondere Eigenschaften in einem Menschen auf, so kann an den jahrtausendalten Erinnerungen und zwischen den Grenzen und Gräben, die doch noch erkennbar sind, eine Gestalt erwachsen, wie unser Hofschulze, eine Gestalt, deren Geltung zwar von den Mächten der Gegenwart nicht anerkannt wird, welche aber für sich selbst und bei ihresgleichen einen längst verschwundenen Zustand auf einige Zeit wiederherstellt.
Doch das klingt für diese Arabeskengeschichte zu ernsthaft. Sehen wir uns lieber im Oberhofe selbst um! Wenn das Lob der Freunde immer ein sehr zweideutiges bleibt, so darf