Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie. Eisler Rudolf

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Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie - Eisler Rudolf

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      Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie

      I. Die Psyche und ihr Verhältnis zum Physischen

      Die Zeiten, da man unter der Seele eine immaterielle, einfache, unzerstörbare Substanz hinter dem Bewußtsein und dessen Modifikationen verstand, scheinen nun doch vorüber zu sein. Zwar fehlt es gerade in jüngster Zeit nicht an einer dualistischen Reaktion nicht bloß gegen den Materialismus, sondern auch gegen die „Identitätstheorie“ und jeden sonstwie gearteten „Monismus“, aber erstens ist diese Reaktion nur ein neuer Vorstoß des alten Seelenglaubens, und zweitens weist sie vielfach Konzessionen gegenüber der monistischen Ansicht auf, welche bezeugen, daß es mit der metaphysischen Hypothese der absolut einfachen, dem Leibe völlig selbständig gegenüberstehenden und von ihm trennbaren Seelensubstanz rapid zu Ende geht.

      Die psychologische „Aktualitätstheorie“ mag sich mancher Einseitigkeiten und Übertreibungen schuldig gemacht haben, wie wir weiter unten zeigen werden. Aber das nimmt ihr keinesfalls das außerordentliche Verdienst, an Stelle der „transzendenten“, aller Erfahrung sich entziehenden Seelensubstanz mit besonderen „Vermögen“ und Tätigkeiten das konkrete Bewußtsein als Inbegriff und Zusammenhang von Erlebnissen selbst gesetzt zu haben. Mit vollem Recht betont diese Aktualitätstheorie1 zweierlei. Erstens, daß die psychischen Vorgänge, die Bewußtseinserlebnisse als solche weder Schein noch bloße Erscheinung sind, sondern volle Wirklichkeit und Wirksamkeit haben, so daß also das Psychische nicht aus unerfahrbaren, hinter und unter den Bewußtseinserlebnissen stehenden Prozessen besteht. Zweitens, daß das Psychische nichts starr Substantielles, Ruhendes, sondern „aktuell“ ist, daß es nicht Zustand einer absolut beharrenden, unveränderlichen Substanz ist, sondern in einem Zusammenhang von Vorgängen, von lebendigen Prozessen besteht, in welchen nichts sich absolut gleichbleibt. Die psychischen Gebilde sind nicht Dinge, sondern fließende Resultate beständiger Aktionen und Reaktionen, sie sind in einem unaufhörlichen Flusse begriffen und bilden die Momente einer fortlaufenden Entwicklung und Entfaltung, deren Konstanz in erster Linie formaler Art ist. Die Seele ist hiernach keine „Substanz“ im Sinne des naturwissenschaftlichen Substanzbegriffs. Dieser ist durch die Beschaffenheit des Inhalts der „äußeren“, sinnlich vermittelten Erfahrung gefordert; er dient zu deren objektiven Vereinheitlichung, zur Setzung fester Ansatzpunkte für die Anschauung und das Denken der Objekte. Für die Psychologie aber ist der abstrakte Substanzbegriff ohne Nutzen, er ist hier überflüssig, weil das Zentrum, um das sich die psychischen Erlebnisse gruppieren, unmittelbar im Subjektmoment gegeben ist, und er ist sogar schädlich, weil er den konkreten Tatbestand des Erlebens leicht zugunsten eines unbekannten, mit hypothetischen oder fiktiven Kräften und Eigenschaften ausgestatteten Seelendinges verfälscht, dem Reichtum der Bewußtseinsmannigfaltigkeit nicht genügt, der im Widerspruche zu der vorgeblichen „Einfachheit“ der Seelensubstanz steht, und endlich die Wechselbeziehungen zwischen Psychischem und Physischem zu einem Rätsel macht. Denn alle Versuche, die „Wechselwirkung“ zwischen der einfachen Seelensubstanz und dem Körper verständlich zu machen, scheitern teils an der Heterogenität beider Wirklichkeitsglieder, teils an der Durchbrechung, welche hier das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und das Prinzip der Erhaltung der physischen Energie erleiden2.

      Übrigens gilt das meiste des hier Gesagten auch für jene Annahme, wonach das Psychische zwar nicht Zustand einer unbekannten Seelensubstanz, aber doch ein vom Physischen absolut verschiedenes, trennbares und eigenartiges Geschehen ist, das mit jenem in Wechselwirkung steht. Erstens läßt sich nicht, wie dies von mancher Seite geschieht, das Psychische in genau demselben Sinne wie das Physische als eine „Energie“ auffassen; denn es ist unräumlich3, unmassenhaft und entbehrt auch sonst der Eigenschaften, welche eine physikalisch-chemische Arbeitsleistung ermöglichen. Ist es aber keine Energie im physikalischen Sinne, läßt es sich seiner Natur nach weder aus physischer Energie gewinnen noch in solche umsetzen, schon weil es keinen Bestandteil des Inhalts der äußeren Erfahrung bildet, ist ferner nicht einzusehen, wie ein immaterielles Geschehen Bewegung erzeugen oder auch nur der Richtung nach abändern und wie Bewegung, Druck und Stoß, kurz mechanische Kraft, auf ein Immaterielles, Unräumliches einwirken kann, dann ist die Annahme eines solchen, dem Physischen als selbständiges Geschehen gegenüberstehenden Psychischen, auch abgesehen von anderen Schwierigkeiten, schon suspekt. Ein Psychisches kann auf ein Physisches nicht wahrhaft einwirken, ohne daß die Menge der physikalisch-chemischen Energie einen Zuwachs erhält, und umgekehrt kann das Physische, Materielle nicht auf das Seelische eine Wirkung ausüben, ohne daß physische Energie verloren geht. Es müßte denn neben der normalen Art physischer Wirksamkeit noch eine zweite geben, welche das Energieprinzip intakt läßt – eine undurchführbare und vor allem ganz unnötige Annahme.

      Nun könnte man glauben, es bleibe nur noch der materialistische Ausweg, das Psychische mit dem Physischen zu identifizieren oder es als „Funktion“ desselben zu bestimmen. Dem ist aber nicht so. Der Materialismus ist als Dogma eine unhaltbare Theorie und was er Richtiges enthält, die strenge Koordination zwischen psychischen und physiologischen Vorgängen, bietet auch der nicht materialistische Monismus, von dem gleich die Rede sein wird. In keiner seiner Abarten ist der Materialismus haltbar, aus Gründen, die hier nur angedeutet werden können. Das „Psychische“, d. h. irgendein beliebiges „Erleben“, wie die Empfindung eines Tones, die Vorstellung einer Gestalt, das Gefühl einer Lust oder Unlust, eine Begierde oder ein Abscheu, ein Willensentschluß, ein Urteilsakt u. dgl., ist ein subjektiver, auf ein Subjekt, ein Ich unmittelbar sich beziehender, in physikalischen Ausdrücken nicht beschreibbarer Vorgang, der etwas anderes ist als der Inhalt oder Gegenstand des Erlebens, das objektive Raumgebilde, an welchem Bewegung und Energie auftritt. Es ist einfach absurd, zu behaupten, ein Schmerz etwa „sei nichts als Bewegung“; denn wir meinen ja mit Schmerz, Lust, Wille u. dgl. qualitativ etwas ganz Bestimmtes, Erlebbares, was sich ohne weiteres von einer Bewegung, von einem räumlichen Geschehen unterscheidet. Psychische Erlebnisse sind weder stoffliche Substanzen, die von anderen gleichsam ausgeschieden werden könnten, noch physische Vorgänge, sie sind nicht Objekte des Erlebens, sondern das subjektive Erleben selbst in dessen unmittelbarem Auftreten. Das Psychische ist kein wäg- oder räumlich meßbares, mechanische Arbeit verrichtendes Etwas, keine „Nervenschwingung“ u. dgl., mag es auch mit einer solchen untrennbar verknüpft sein. Es hat mit Massen und Massenbewegungen nichts zu tun, es kann nicht eine „Eigenschaft“ unter materiellen Eigenschaften bilden, es geht nicht in die mathematischen Formeln für physikalisch-chemische Vorgänge ein. Aber auch nicht eine kausale Funktion, eine Wirkung physiologischer Prozesse kann das Psychische, das subjektive Erleben sein. Erkenntnistheoretisch nicht, weil das Physische als solches schon durch ein Subjekt und dessen psychisches Erleben (Empfinden, Vorstellen, Wollen) bedingt und im besten Falle nur die von einem Bewußtsein qualitativ abhängige „Erscheinung“ eines „An sich“ ist, das nicht selbst physisch ist, wenn es auch den objektiven „Grund“ für das Auftreten physischer Phänomene abgibt. Aber auch aus methodologischen Gründen kann das Psychische nicht die Wirkung des Physischen, Physiologischen sein, ganz abgesehen von seiner Ungleichartigkeit gegenüber dem letzteren. Physiologische Prozesse sind physikalisch-chemischer Art, soweit sie vom Standpunkte der „äußeren“ Erfahrung betrachtet werden. Die methodische Konsequenz erfordert es, den einmal eingenommenen Standpunkt bis zum Ende und ausnahmslos festzuhalten. Es ergibt sich daraus die Geschlossenheit der physischen Kausalität, wonach jeder physische Vorgang, auch im Organismus, immer wieder nur einen physischen Vorgang zur Wirkung und zur Ursache haben kann, sollen nicht, was die Einheit und Vollständigkeit der Erfahrung und Erkenntnis beeinträchtigt, die Standpunkte fortwährend miteinander vermengt und vertauscht werden. Der Materialismus leidet also an demselben Fehler wie der Dualismus, wenn er ein Bewirktwerden des Psychischen durch Physisches, etwa durch Gehirnprozesse annimmt, ganz abgesehen davon, daß ganz und gar nicht abzusehen ist, wie aus rein Objektivem und Materiellem etwas „Subjektives“, „Immaterielles“ (im guten Sinne des Wortes) entstehen oder hervorgehen kann. Auch ist hier, wie beim Dualismus, das Gesetz der Konstanz der Energie, welches die Anwendung des apriorischen Kausalprinzips auf die äußere Erfahrung ist, ein festes Bollwerk gegen alle Auffassung des Psychischen, des Bewußtseins als kausaler Funktion physiologischer Prozesse.

      Meint man nun, gewiß sei das Psychische im Bewußtsein

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<p>1</p>

Den Aktualitätsstandpunkt nehmen ein: Spinoza, Hume, Fichte, Schopenhauer, Fechner, Paulsen, Wundt, Joël, J. St. Mill, Spencer, Höffding, Jodl, Jerusalem, Mach, Fouillée, Bergson, Luquet u. a. Nach Wundt ist das geistige Leben „nicht eine Verbindung unveränderter Objekte und wechselnder Zustände, sondern in allen seinen Bestandteilen Ereignis, nicht ruhendes Sein, sondern Tätigkeit, nicht Stillstand, sondern Entwicklung“ (Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele 2,S. 495). Die innere Erfahrung ist „ein Zusammenhang von Vorgängen“ (Grundriß der Psychol.).

<p>2</p>

Vgl. meine Schrift „Leib und Seele“, Leipzig 1906.

<p>3</p>

Die reine Zeitlichkeit des psychischen Geschehens, die Stetigkeit desselben, das wir erst zu einer Summe von Elementen veräußerlichen, betont neuerdings H. Bergson.