Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie. Eisler Rudolf
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Die Auffassung des Psychischen als „inkausal“ ist nur dann begreiflich, wenn man sich die unberechtigte Verdinglichung der Empfindungen und Vorstellungen seitens der „Assoziationspsychologie“ und die Einseitigkeit des psychologischen „Atomismus“ (oder der „atomistischen Psychologie“) vor Augen hält.
Schon Herbart hat den folgenschweren Fehler begangen, die psychischen Elemente – bei ihm die Vorstellungen – als selbständige Wesenheiten aufzufassen, die miteinander konkurrieren, um die Vorherrschaft im Bewußtsein kämpfen, einander hemmen und verdrängen; in ihrem Zusammen- und Gegeneinanderwirken werden sie zu Kräften, ja zu einer Art lebendiger Dinge, die mit Tendenzen ausgestattet sind. Ähnlich sind für die Assoziationspsychologen die Empfindungen oft selbständige Elemente, die primär nebeneinander bestehen, miteinander in Verbindung treten usw., kurz, kausale Faktoren, aus deren Wirken das seelische Leben abgeleitet wird.
Diese Auffassung ist die Reaktion gegen die ältere „Vermögenspsychologie“. Diese stattet die substantielle (bzw. dynamische) Seele mit spezifischen Kräften, Vermögen, Tätigkeiten aus, welche das Bewußtsein erzeugen und Bewußtseinsverbindungen herstellen. Ähnlich wirkt das „Unbewußte“ Ed. v. Hartmanns als Agens hinter dem Bewußtsein und ist das eigentlich und einzig Aktive, Kausale im Ablauf des Seelischen.
Wenn man nun, mit Recht, sich nicht zu einer solchen Vermögenspsychologie bekennen will, zugleich aber einsieht, daß „reine Empfindungen“ nicht primäre, selbständige, absolute Wirklichkeiten, sondern in gewissem Sinne Abstraktions- und Zerlegungsprodukte sind, Glieder eines einheitlichen Zusammenhanges, dann kann man leicht dazu gelangen, diesen psychischen Elementen alles Wirken, alle Kausalität abzusprechen und sie bloß dem Physiologischen zuzuerkennen, wie es Münsterberg tut14.
Aber hier vermischt sich Wahrheit mit Irrtum. Richtig ist: 1. Es gibt keine psychische Kausalität und Aktivität hinter und neben den Bewußtseinsvorgängen, keine transzendenten Vermögen oder Kräfte, wenigstens kommen sie für die Psychologie nicht in Betracht; 2. Empfindungen als isolierte, aus der Einheit des Seelenlebens herausgehobene Elemente, als Abstraktionsgebilde sind ohne Wirksamkeit, weil ohne absolute, konkrete Wirklichkeit. Verfehlt ist aber unseres Erachtens die Abtrennung der Psychologie als einer „objektivierenden“ Wissenschaft, welche es mit inkausalen, physiologisch zu erklärenden Abstraktionsgebilden zu tun hat, von den „subjektivierenden“ Geisteswissenschaften, welche das konkrete, wirkliche, „stellungnehmende“ Subjekt und dessen Aktionen zum Gegenstande haben. Die Psychologie will entschieden das Psychische, d. h. das wirkliche Erleben des Subjekts in dessen Zusammenhange erforschen, nicht Abstrakta, nicht Objektivierungen, mit denen es die Physik und Physiologie zu tun hat15. Die abstrakten Empfindungen sind nicht das Psychische, nicht der Gegenstand der Psychologie, sondern höchstens Hilfsmittel zur Erkenntnis des Psychischen. Die völlige Abstrahierung und Verselbständigung der Empfindungen verfälscht und tötet das Seelenleben, sie wird dem Tatbestande der inneren, unmittelbaren Erfahrung nicht gerecht. Nicht erst in den einzelnen Geisteswissenschaften und in der Philosophie brauchen wir die geistige, psychische Kausalität, schon in der Psychologie müssen wir sie berücksichtigen, sonst erreichen wir den Zweck dieser Wissenschaft: das Verständnis des Seelenlebens in seiner Gesetzlichkeit, nicht. Mag auch – und das ist der haltbare Kern der Münsterbergschen Ausführungen – die Psychologie wie jede Gesetzeswissenschaft nicht das unmittelbare Erlebnis in seiner vollen individuellen Bestimmtheit erfassen, sondern es mehr oder weniger begrifflich umschreiben und logisch verarbeiten, so entfällt hier doch, im Unterschiede von den Naturwissenschaften, die Notwendigkeit einer Abstraktion vom erlebenden Subjekt und dessen Zuständen und Akten. Gerade die Beziehung der Erlebnisse zum Subjekt ist es, was sie zu psychischen Vorgängen macht, ohne diese Beziehung haben wir nur fiktive Wesenheiten oder aber, bei konsequenter Objektivierung, physische Inhalte vor uns.
Doch genug darüber, bleiben wir bei der psychischen Kausalität und sehen wir, wie sie zu denken ist. Da wir die metaphysische Hypothese einer an sich unbewußten Seelensubstanz ablehnen müssen, so entfallen für uns die „Seelenvermögen“, kraft deren der Geist im Bewußtsein wirkt. Diejenigen, welche erklären, von einer Tätigkeit, Aktivität der Seele neben den Bewußtseinsvorgängen, den Vorstellungen, Gefühlen usw. sei nichts zu finden, haben nicht unrecht. Aber die Folgerung, es gebe überhaupt keine psychische Aktivität, ist falsch. Diese Aktivität besteht, zwar nicht hinter und neben den Einzelerlebnissen, wohl aber in einem Zusammenhange der Erlebnisse und ist durch besondere Gefühle charakterisiert, so daß das Ich unmittelbar davon Kunde hat, daß und wann es tätig ist. Aus der bloßen Summe von Empfindungen, die sich passiv miteinander verbinden, besteht die Bewußtseinsaktivität nicht, wenn sie auch nur in und an dem Verlaufe des Erlebens zu konstatieren ist. Der eigenartige Zusammenhang und Ablauf von Erlebnissen, der als psychische Tätigkeit und Wirksamkeit sich abhebt, ist ebenso real wie die einzelnen Momente und Elemente des Erlebens, ebenso primär, ja in gewissem Sinne ursprünglicher. Denn erst die psychische Analyse, die durch die bestimmt gerichtete Aufmerksamkeit an dem einheitlichen Bewußtseinszusammenhange willkürlich oder unwillkürlich bewerkstelligt wird, hebt aus demselben Momente und Elemente heraus, die in Wahrheit niemals isoliert und selbständig vorkommen, sondern Glieder des Zusammenhanges bilden, von ihm untrennbar sind. Die psychische Tätigkeit entfaltet und manifestiert sich in einer Mannigfaltigkeit von Momenten, existiert nicht ohne diese und neben diesen Momenten; aber umgekehrt haben diese Momente auch keine Existenz außerhalb des Tätigkeitszusammenhanges, aus dem sie sich herausheben und für sich fixieren lassen.
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