Oblomow. Иван Гончаров
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Unterdessen läßt die Kindsfrau vor der Phantasie des Kindes ein neues Bild erstehen.
Sie erzählt ihm von den Heldenthaten unserer Achilles und Ulysses, von dem Muth eines Ilja Muromez, eines Dobrinja Nikititsch, eines Aljoscha Popowitsch, eines Polkan und eines Wanderkrüppels, davon, wie sie durch Rußland gezogen sind, wie sie die unzähligen Heere der Ungläubigen geschlagen haben, wie sie darin wetteiferten, einen Kelch grünen Weines auf einen Athemzug, ohne sich zu räuspern, zu leeren; dann sprach sie von den bösen Räubern, von schlafenden Prinzessinnen, von versteinerten Städten und Menschen; zum Schlusse gieng sie zu unserer Dämonologie, zu Todten, Ungeheuern und Werwölfen über.
Mit der Einfachheit und Gutmüthigkeit eines Homer, mit derselben lebendigen Wahrheit der Details und Plasticität der Bilder überlieferte sie dem Gedächtnis und der Phantasie des Kindes die Iliade des russischen Lebens, die von unseren Homeriden in jenen nebelhaften Zeiten erschaffen wurde, als der Mensch mit den Gefahren und den Geheimnissen der Natur und des Lebens noch nicht vertraut war, als er noch vor dem Werwolf und dem Waldunhold zitterte, als er vor der ihn umgebenden Drangsal bei Aljoscha Popowitsch Schutz suchte und als die Luft, das Wasser, der Wald und das Feld vom Wunder beherrscht wurden. Das Leben eines damaligen Menschen war gefahrvoll und unsicher; er brauchte nur die Schwelle des Hauses zu verlassen, um einem Unheil zu begegnen; da konnte er jeden Augenblick von einem wilden Thiere zerrissen oder von einem Räuber erstochen werden, ein böser Tatarr konnte ihm sein Gut rauben oder er konnte auch spurlos, ohne irgendwelche Kunde von sich zu senden, verschwinden.
Oder es erschienen plötzlich Himmelszeichen, feurige Säulen und Kugeln; dort, über dem frischen Grabe flammt ein Feuer auf, oder im Walde scheint jemand mit einer Laterne herumzuspazieren, furchtbar zu lachen und mit den Augen in der Dunkelheit zu funkeln. Auch mit dem Menschen selbst geschah so viel Unbegreifliches; mancher lebte lange und glücklich, ohne daß ihm etwas geschah, und plötzlich begann er ganz unverständlich zu reden oder mit einer ganz anderen Stimme zu schreien oder er irrte auch schlafend in der Nacht herum; ein anderer bekam plötzlich Krämpfe und wälzte sich am Boden herum. Und bevor so etwas geschah, krähte ein Huhn mit der Stimme eines Hahnes, und eine Krähe krächzte über dem Dache. Der schwache Mensch war ganz hilflos, während er sich entsetzt im Leben umschaute und suchte in seiner Phantasie nach dem Schlüssel zu den Geheimnissen der ihn umgebenden und der eigenen Natur.
Und vielleicht führte die Schläfrigkeit und beständige Ruhe des trägen Lebens, der Mangel an Bewegung und an wirklichen Ängsten, Abenteuern und Gefahren den Menschen dazu, anstatt der Wirklichkeit eine andere, erdachte Welt zu erschaffen und darin sich seine Phantasie tummeln und ergötzen zu lassen oder nach der Erklärung der einfachen Verkettung der Umstände und der Ursachen der Erscheinung außerhalb der Erscheinung selbst zu suchen. Unsere armen Vorfahren haben wie herumtastend gelebt; sie beflügelten nicht ihren Willen und hemmten ihn auch nicht, und dann wunderten sie sich und entsetzten sich über das Böse und über die Unbequemlichkeit ihres Lebens und wollten alles Unverständliche bei den stummen und unklaren Hieroglyphen der Natur erfragen. Der Tod wurde für sie durch den vor kurzem zuerst mit dem Kopfe und nicht mit den Füßen aus dem Thore hinausgetragenen Todten verursacht; eine Feuersbrunst – weil der Hund drei Nächte unter dem Fenster geheult hat; und sie richteten ihre ganze Sorge darauf, daß man den Todten mit den Füßen zuerst an dem Thore hinaustrug, und dabei aßen sie dasselbe und ebensoviel und schliefen wie bisher auf Gras; der heulende Hund wurde geschlagen oder fortgejagt, und die Funken des Kienspans wurden wie bisher in die Ritze des faulenden Fußbodens geworfen. Und der Russe liebt es bis nun, inmitten des ihn umgebenden strengen, phantasielosen Lebens an die verlockenden Sagen des Alterthums zu glauben, und er wird sich von diesem Glauben vielleicht noch lange nicht lossagen.
Indem der Knabe den Märchen der Kindsfrau von unserem goldenen Vlies, von dem »Wundervogel« lauschte und sie ihm von den undurchdringlichen Mauern und den Geheimverließen des Zauberschlosses erzählte, suchte er seinen Muth anzufachen, indem er sich an die Stelle des Helden setzte, und es überlief kalt seinen Rücken, oder er litt an dem Mißgeschicke des Kühnen. Ein Märchen folgte dem andern. Die Kindsfrau erzählte voll Feuer, bilderreich gestaltend und ganz hingerissen, an manchen Stellen wurde sie von Begeisterung erfüllt, weil sie zur Hälfte selbst an die Märchen glaubte. Die Augen der Alten leuchteten; ihr Kopf zitterte vor Erregung; die Stimme erstreckte sich auf sonst ungewohnte Töne. Das Kind schmiegte sich an sie mit Thränen in den Augen, von unerklärlicher Angst erfaßt. Wenn von den um Mitternacht aus den Gräbern steigenden Todten, oder von den in der Gefangenschaft des Ungeheuers schmachtenden Opfern oder vom Bären mit dem Holzfuße, der durch die Dörfer und Flecken wandert und seinen abgehauenen Fuß sucht, die Rede war, knisterten die Haare des Kindes vor Entsetzen; die kindliche Phantasie erstarrte bald und flammte bald wieder auf; in ihm spielte sich ein quälender, schmerzlich -süßer Vorgang ab; die Nerven spannten sich wie Saiten. Wenn die Kindsfrau düster die Worte des Bären wiederholte: »knarre, knarre, Lindenfuß: ich gehe durch die Flecken, ich gehe durch die Dörfer, alle Frauen schlafen, nur eine Frau schläft nicht, sie sitzt auf meinem Felle, kocht mein Fleisch, spinnt mein Haar« u.s.w. und wenn der Bär endlich in die Hütte trat und im Begriffe war, den Dieb, der ihm sein Bein geraubt hatte, zu packen, hielt das Kind es nicht länger aus, es stürzte sich zitternd und quietschend in die Arme der Kindsfrau und lachte dabei laut vor Freude, daß es sich nicht in den Krallen des Thieres, sondern auf der Ofenbank, neben der Kindsfrau, befand. Die Phantasie des Knaben wurde von seltsamen Gespenstern bevölkert; Angst und Bangigkeit hatten sich für lange Zeit, vielleicht für immer in seiner Seele eingenistet. Er blickt traurig um sich, sieht im Leben nichts als Unheil und Gefahren und träumt immer von jenem Zauberland, wo es weder Unglück, noch Sorgen, noch Traurigkeit gibt, wo Militrissa Kirbitjewna lebt, wo man so gut bewirtet und umsonst bekleidet wird.
Das Märchen hält in Oblomowka, nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen bis ans Ende des Lebens in seinem Bann. Alle im Hause und im Dorf, vom gnädigen Herrn und seiner Frau angefangen bis zum stämmigen Schmied Taraß – alle zittern sie vor etwas an einem dunklen Abend. Jeder Baum verwandelt sich dann in einen Riesen, jeder Busch in eine Räuberhöhle. Das Klappern des Fensterladens und das Heulen des Windes im Rauchfang machte die Männer, die Frauen und die Kinder erblassen. Niemand gieng am Dreikönigstag nach zehn Uhr abends allein aus dem Thor hinaus; ein jeder fürchtete sich in der Nacht vor Ostern in den Stall zu gehen, da er dort einen Kobold anzutreffen fürchtete. In Oblomowka glaubte man an alles: an Werwölfe und Gespenster. Wenn man ihnen erzählt hätte, daß eine Heugarbe auf dem Felde herumspaziert war, würden sie, ohne weiter nachzudenken, daran glauben; wenn jemand das Gerücht verbreiten würde, das sei kein Hammel, sondern etwas anderes, oder daß Marfa oder Stjepanida eine Hexe sei, würden sie sich sowohl vor dem Hammel als auch vor Marfa fürchten; es würde ihnen nie einfallen zu fragen, warum