Oblomow. Иван Гончаров
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Wennʼs ein Fremder ist, dann rührt ihn nicht an! – sagten die Alten, auf der Hausschwelle sitzend und die Ellbogen auf die Knie stützend, – laßt ihn in Ruhʼ! Ihr hättet gar nicht hingehen sollen!
So war der Winkel, in den Oblomow durch den Traum plötzlich zurückversetzt wurde. Von den drei oder vier dort zerstreuten Dörfchen hieß eines Sosnowka und ein zweites Wawilowka, beide in der Entfernung einer Werst voneinander gelegen. Sosnowka und Wawilowka waren das erbliche Besitzthum des Geschlechts der Oblomow und waren darum unter dem gemeinsamen Namen Oblomowka bekannt. In Sosnowka befand sich das Herrschaftshaus und sie bildete die Residenz. Fünf Werst von Sosnowka entfernt lag der kleine Flecken Werchljowo, der auch einst den Oblomows gehört hatte und längst in andere Hände übergegangen war, und noch einige zu diesem Flecken gehörige, hie und da zerstreute Hütten. Der Flecken gehörte einem reichen Gutsbesitzer, der sich auf seinem Gut niemals sehen ließ; er wurde von einem Verwalter deutscher Abstammung bewirtschaftet. Das ist die ganze Geographie dieses Winkels.
Ilja Iljitsch ist des Morgens in seinem kleinen Bettchen erwacht. Er ist nur sieben Jahre alt. Ihm ist leicht und froh zumuthe. Wie hübsch, rothwangig und dick er ist! Solche runde Wangen bringt mancher Schelm selbst dann nicht zuwege, wenn er die seinigen mit Absicht aufbläst. Die Kindsfrau wartet auf sein Erwachen. Sie beginnt ihm die Strümpfchen anzuziehen; er widersetzt sich, tollt herum, strampelt mit den Beinen, die Kindsfrau fängt ihn und beide lachen. Endlich ist es ihr gelungen ihn auf die Füße zu stellen; sie wäscht ihn, kämmt sein Köpfchen und führt ihn zu der Mutter hin. Als Oblomow die längst verstorbene Mutter erblickte, erbebte er selbst im Traum vor Freude und heißer Liebe zu ihr, aus seinen Wimpern rannen im Schlaf langsam zwei warme Thränen hervor und blieben reglos stehen. Die Mutter bedeckte ihn mit leidenschaftlichen Küssen, betrachtete ihn mit gierigen, besorgten Augen, um zu sehen, ob seine Äuglein nicht trüb seien, fragte, ob ihm nichts weh thue, erkundigte sich bei der Kindsfrau, ob er ruhig geschlafen habe, ob er in der Nacht nicht erwacht sei, ob er sich im Schlaf nicht herumgewälzt und ob er kein Fieber gehabt habe; dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zum Heiligenbild. Dort kniete sie nieder und sagte ihm, ihn mit der einen Hand umfassend, die Worte des Gebetes vor. Der Knabe wiederholte sie zerstreut und blickte ins Fenster, aus dem Kühle und Fliederduft sich ins Zimmer ergoß.
– Mamachen, gehen wir heute spazieren? – fragte er plötzlich mitten im Gebet.
– Ja, Herzchen, – sagte sie eilig, ohne die Augen vom Heiligenbild abzuwenden, und sprach die heiligen Worte rasch zu Ende.
Der Knabe wiederholte sie träge, aber die Mutter legte ihre ganze Seele hinein. Dann giengen sie zum Vater, und dann zum Thee.
Am Theetisch sah Oblomow die bei ihnen wohnende uralte, achtzigjährige Tante, die unablässig über ihre Dienerin brummte, die vor Alter mit dem Kopf wackelnd hinter ihrem Sessel stand und sie bediente. Dort waren auch die drei alten Mädchen, entfernte Verwandte seines Vaters, der ein wenig geisteskranke Schwager seiner Mutter, der bei ihnen auf Besuch wohnende Besitzer von sieben Seelen. Tschekmenjew, und noch verschiedene Greise und Greisinnen anwesend. Dieser ganze Hofstaat des Hauses Oblomow fieng Ilja Iljitsch auf und begann ihn mit Liebkosungen und Lobsprüchen zu überhäufen; er hatte kaum Zeit, die Spuren der ungebetenen Küsse abzuwischen. Dann begann seine Fütterung mit Semmeln, Zwieback und Sahne. Und dann, nachdem seine Mutter ihn nochmals liebkost hatte, erlaubte sie ihn im Garten, auf dem Hof und auf der Wiese spazieren zu gehen, indem sie die Kindsfrau streng ermahnte, das Kind nicht allein zu lassen, ihn nicht in die Nähe der Pferde, der Hunde, des Ziegenbocks zu führen, nicht weit vom Haus fortzugehen und vor allem ihn nicht an den Graben heranzulassen, als an die gefürchtetste Stelle der Gegend, die einen bösen Ruf genieße. Man hatte dort einmal einen Hund gefunden, den man nur darum als toll erklärte, weil er von den Menschen fortrannte, die mit Heugabeln und Hacken auf ihn loszogen, und irgendwo hinter dem Berg verschwand: in den Graben lud man die crepierten Thiere ab; im Graben setzte man Räuber, Wölfe und verschiedene andere Wesen voraus, die es weder in der Gegend noch überhaupt auf der Welt gab.
Das Kind hatte die Ermahnungen der Mutter nicht abgewartet, es war schon auf dem Hof. Es betrachtete mit freudigem Erstaunen, als wärʼs zum erstenmal, das Elternhaus, mit dem schiefen Thor, mit dem in der Mitte gesenkten Dach, auf dem zartes grünes Moos wuchs, mit den wackelnden Stufen, mit verschiedenen Neben- und Überbauten und einem vernachlässigten Garten. Es möchte zu gerne auf die das Haus umsäumende, hängende Gallerie steigen, um von dort aus auf den Fluß zu schauen; doch die Gallerie ist alt, hält sich kaum und auf ihr dürfen nur die Dienstboten, nicht aber die Herrschaften gehen. Es achtete nicht auf das Verbot der Mutter und wollte sich schon den verlockenden Stufen nähern, als die Kindsfrau in der Thür erschien und es mit Mühe und Noth fieng. Es flüchtete vor ihr zum Heuboden hin, in der Absicht, auf der steilen Treppe hinaufzusteigen, und kaum hatte sie Zeit gehabt den Heuboden zu erreichen, als sie schon sein Vorhaben, auf den Taubenschlag zu steigen, auf den Viehhof und, was Gott behüte, in den Graben zu gelangen, vereiteln mußte.
– Ach Du mein Gott, was das für ein Kind ist, das reinste Quecksilber! Wirst Du ruhig sitzen? Schäme Dich! – sagte die Kindsfrau.
Und der ganze Tag und alle Tage und Nächte der Kindsfrau waren vom Herumlaufen und von Unruhe erfüllt: bald von Qual, bald von lebhafter Freude um das Kind, bald von Angst, daß es hinfällt und sich die Nase zerschlägt, bald von Rührung, die durch seine aufrichtige kindliche Liebkosung hervorgerufen wurde oder von dunklem Bangen für seine ferne Zukunft. Nur das machte ihr Herz schlagen, diese Aufregung erwärmte das Blut der Alten und erhielt irgendwie ihr schläfriges Leben aufrecht, das sonst vielleicht längst erloschen wäre.
Das Kind ist aber nicht immer ausgelassen; manchmal wird es plötzlich ruhig, sitzt neben der Kindsfrau und blickt alles so durchdringend an. Sein kindlicher Verstand beobachtet alle vor ihm auftauchenden Erscheinungen; diese graben sich tief in seine Seele ein, und wachsen und reifen zugleich mit ihm.
Es ist ein herrlicher Morgen; die Luft ist kühl; die Sonne steht noch nicht hoch. Das Haus, die Bäume, der Taubenschlag und die Gallerie, – alles wirft weithin lange Schatten. Im Garten und auf dem Hof haben sich kühle Plätzchen gebildet, die zum Sinnen und Schlafen einladen. Nur in der Ferne glüht das Korn wie im Feuer, und der Fluß glänzt und funkelt so in der Sonne, daß die Augen schmerzen.
– Warum ist es hier dunkel und dort hell und warum wird es auch da hell sein, Kindsfrau? – fragte das Kind.
– Darum, Väterchen, weil die Sonne dem Mond entgegen geht, ihn aber nicht sieht und traurig wird, wenn sie ihn aber von Ferne sieht, hellt sie sich wieder auf.
Das Kind denkt nach und schaut immer um sich; es sieht, wie Antip Wasser holen fährt, wie neben ihm ein zweiter, zehnmal so großer Antip schreitet, das Faß erscheint so groß wie ein Haus, und der Schatten des Pferdes hat die ganze Wiese bedeckt; der Schatten hat nur zwei Schritte über die Wiese gemacht und ist plötzlich hinter den Berg gerückt, während Antip noch nicht einmal Zeit gehabt hat, vom Hofe hinauszufahren. Der Knabe machte auch zwei Schritte, noch ein Schritt und er wird hinter dem Berge sein. Er wollte zum Berge hingehn, um nachzuschauen, wohin das Pferd hingekommen ist. Er geht zum Thore hin, aber jetzt ertönt aus dem Fenster die Stimme der Mutter:
– Kindsfrau! siehst Du nicht, daß das Kind in die Sonne gelaufen ist? Führe es in den Schatten; wenn ihm das Köpfchen heiß wird, thut es ihm weh, es wir ihm übel werden und es wird nicht essen. Es wird noch zu dem Graben hinlaufen.
»So ein Wildfang!« brummte leise die Kindsfrau, ihn zum Hause zurückführend.
Das Kind schaut und beobachtet mit scharfem allumfassendem Blick, was die Erwachsenen thun und womit sie den Morgen verbringen. Kein einziges Detail, kein einziger Zug entgleitet der gespannten Aufmerksamkeit des Kindes; das Bild des häuslichen Lebens prägt sich unauslöschlich in die Seele ein; der noch ungeformte Verstand wird vom lebendigen Beispiel durchgesetzt und zeichnet unbewußt das Programm seines Lebens nach dem