Oblomow. Иван Гончаров
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– Aber Väterchen, quälen Sie mich nicht so mit traurigen Worten ab! – flehte Sachar. – Ach Du mein Gott!
– Ich bin der »andere«! Renne ich denn herum, arbeite ich denn? Esse ich denn wenig? Sehe ich denn mager und ärmlich aus? Fehlt es mir denn an etwas? Ich glaube, ich habe jemand, der mich bedient und für mich arbeitet! Ich habe mir, Gott sei Dank, seitdem ich lebe, noch kein einzigesmal selbst einen Strumpf angezogen! Warum soll ich mir denn die Mühe machen? Aus welchem Grunde? Und wem muß ich das sagen? Hast Du mich denn nicht seit meiner Kindheit bedient? Du weißt das alles, Du hast gesehen, daß ich verwöhnt worden bin, daß ich niemals Hunger und Kälte gelitten habe, daß ich keine Noth gekannt, mir mein Brot nicht selbst verdient und mich überhaupt nicht mit schwerer Arbeit befaßt habe. Wie hast Du es also gewagt, mich mit anderen zu vergleichen? Besitze ich denn eine solche Gesundheit, wie diese »andern«? Kann ich denn das alles thun und ertragen?
Sachar hatte endgiltig jede Fähigkeit verloren, Oblomows Rede zu verstehen; aber seine Lippen bliesen sich vor innerer Erregung auf; die pathetische Scene donnerte wie ein Gewitter über seinem Haupt. Er schwieg.
– Sachar! – wiederholte Ilja Iljitsch.
– Was wünschen Sie? – zischte Sachar kaum hörbar.
– Gib noch Kwaß her.
Sachar brachte Kwaß, und als Ilja Iljitsch, nachdem er getrunken hatte, ihm das Glas zurückgab, wollte er schnell in sein Zimmer gehen.
– Nein, nein, warte! – sagte Oblomow, – ich frage Dich: Wie konntest Du Deinen Herrn so bitter kränken, den Du als Kind auf dem Arme getragen hast, dem Du Dein ganzes Leben dienst und der Dein Wohlthäter ist?
Sachar hielt es nicht länger aus. Das Wort Wohlthäter gab ihm den Rest! Er begann immer häufiger zu blinzeln. Je weniger er begriff, was Ilja Iljitsch ihm in seiner pathetischen Rede mittheilte, desto trauriger wurde er.
– Verzeihen Sie, Ilja Iljitsch, – begann er reuevoll zu krächzen, – das habe ich aus Dummheit, wirklich nur aus Dummheit . .
Und da Sachar nicht begriff, was er gethan hatte, wußte er nicht, welches Zeitwort er hinzufügen sollte.
– Und ich, – fuhr Oblomow im Ton eines gekränkten und nicht nach seinem Verdienst gewürdigten Menschen fort, – sorge mich noch Tag und Nacht und mühe mich ab, manchmal flammt mir der Kopf und das Herz stockt; ich schlafe in der Nacht nicht, wälze mich herum und denke immer darüber nach, wie ich es am besten einrichten soll . . . und über wen grüble ich? Für wen? Nur für euch, für die Bauern: folglich auch für Dich Du glaubst vielleicht, wenn Du stehst, daß ich manchmal ganz unter die Decke krieche, daß ich wie ein Klotz daliege und schlafe; nein, ich schlafe nicht, ich denke immer an das eine, wie es einzurichten ist, daß die Bauern an nichts Noth leiden, daß sie ihre Nachbarn nicht beneiden, daß sie beim Strafgericht mich vor Gott nicht anklagen, sondern daß sie für mich beten und mir nur Gutes nachsagen. Die Undankbaren! – schloß Oblomow mit bitterem Vorwurf.
Die letzten traurigen Worte rührten Sachar endgiltig. Er begann allmählich zu schluchzen.
– Väterchen, Ilja Iljitsch! – flehte er. – Hören Sie auf! Was sagen Sie da, Gott sei mit Ihnen! Ach Du heilige Gottesmutter! Was für ein Unglück hat uns denn so unerwartet betroffen.
– Und Du, – fuhr Oblomow, ohne auf ihn zu hören, fort, – Du solltest Dich schämen, so etwas auszusprechen! Was für eine Schlange ich auf meiner Brust gewärmt habe!
– Eine Schlange! – rief Sachar aus, schlug die Hände zusammen und zuckte so geräuschvoll mit der Schulter, als wären zwanzig Käfer ins Zimmer hereingeflogen und summten drin – Wann habe ich denn von einer Schlange gesprochen? – fragte er schluchzend, – ich sehe nicht einmal im Traum so etwas Häßliches!
Sie hatten beide aufgehört, einander und zum Schluß auch sich selbst zu verstehen.
– Wie hat Deine Zunge nur so etwas aussprechen können? – sprach Ilja Iljitsch weiter – und ich habe noch für ihn auf meinem Plan ein besonderes Haus, einen Gemüsegarten und Pachtkorn bestimmt und ein Gehalt festgesetzt! Du solltest mein Verwalter, mein Majordomus und meine Vertrauensperson sein! Die Bauern sollten sich bis zur Erde vor Dir verneigen; alle sollten Dich immer nur Sachar Trofimitsch nennen! Und er ist immer noch unzufrieden und hat mich unter die »andern« eingereiht! Das ist der Lohn! Wie Du Deinen Herrn ehrst!
Sachar schluchzte noch immer, und auch Ilja Iljitsch selbst war aufgeregt. Indem er Sachar ins Gewissen redete, erfüllte er sich tief mit dem Bewußtsein der Wohlthaten, die er den Bauern erwiesen hatte und sprach die letzten Vorwürfe mit zitternder Stimme und mit Thränen in den Augen zu Ende.
– Nun, und jetzt gehʼ mit Gott! – sagte er mit versöhnender Stimme zu Sachar. – Wartʼ, gib mir noch Kwaß! Meine Kehle ist mir ganz ausgetrocknet, Du könntest selbst darauf kommen, Du hörst ja, daß Dein Herr heiser ist? So weit hast Du mich gebracht! – Ich hoffe, Du hast Dein Vergehen begriffen, – sagte Ilja Iljitsch, als Sachar den Kwaß gebracht hatte, – und wirst in Zukunft Deinen Herrn nicht mit andern vergleichen. Um Deine Schuld gutzumachen, richte es irgendwie mit dem Hausherrn ein, damit ich nicht zu übersiedeln brauche. So sorgst Du für die Ruhe Deines Herrn. Du hast mich ganz verstimmt und mich eines jeden neuen, nützlichen Gedankens beraubt. Und wem hast Du das geraubt? Dir selbst; ich habe mich ganz euch gewidmet, ich habe mich euretwegen pensionieren lassen, und sitze hier eingeschlossen. Nun, Gott verzeihʼ es Dir! Jetzt schlägt es drei! Es bleiben nur zwei Stunden bis zum Essen; was kann man in zwei Stunden fertigbringen – gar nichts. Und ich habe eine Menge zu thun. Ich werde also den Brief bis zur nächsten Post verschieben und den Plan morgen entwerfen. Nun, und jetzt lege ich mich ein wenig nieder. Ich bin ganz ermattet; laß die Stores herab und schließe fest die Thüren, damit man mich nicht stört; ich werde vielleicht eine Stunde lang schlafen; und wecke mich um halb fünf. . .
Sachar begann seinen Herrn im Arbeitszimmer von der ganzen Welt abzuschließen; zuerst deckte er ihn selbst zu und steckte die Decke unter ihn, dann ließ er die Stores herab, schloß alle Thüren fest ab und gieng in sein Zimmer.
»Daß Dich der Teufel holʼ!« brummte er, sich die Thränenspuren abwischend und auf die Ofenbank steigend. »Ein besonderes Haus, ein Gemüsegarten, ein Gehalt!« sagte Sachar, der nur die letzten Worte verstanden hatte. »Er versteht es traurige Worte zu sagen. Er schneidet damit wie mit einem Messer ins Herz! Hier ist mein Haus und mein Gemüsegarten, hier werde ich auch sterben!« sagte er, wüthend auf die Ofenbank schlagend. »Ein Gehalt! Wenn ich die Zehner und Kupfermünzen nicht sammeln würde, könnte ich mir keinen Tabak kaufen und meine Gevatterin nicht bewirten! Zum Kuckuck auch!. . . Warum nur der Tod nicht kommt!«
Ilja Iljitsch legte sich auf den Rücken, schlief aber nicht gleich ein. Er dachte und dachte und wurde ganz aufgeregt. . .
Ein zweifaches Unglück auf einmal! – sagte er und wickelte sich ganz mit dem Kopf in die Decke ein, – »bitte dem zu widerstehen!«
Aber in Wirklichkeit hatte das zweifache Unglück, d.h. der unheilverkündende Brief des Dorfschulzen und die Übersiedlung in die neue Wohnung, Oblomow zu erregen aufgehört und war nur mehr unter die unangenehmen Erinnerungen eingereiht worden. »Die Unannehmlichkeiten, mit denen der Dorfschulze droht, sind noch in weiter Ferne,« dachte er, »bis dahin kann sich vieles ändern. Ein Regen könnte das Getreide in besseren Stand setzen; vielleicht ergänzt der Dorfschulze die Zahlungsrückstände, die flüchtigen Bauern werden »wieder in ihren früheren Wohnort eingesetzt werden«, wie er schreibt. Wohin sind diese Bauern geflüchtet?« dachte er und vertiefte sich schon vom künstlerischen Standpunkt aus in die Betrachtung dieses Umstandes. »Sie sind wohl in der Nacht, ohne Brot