Bis an die Grenze. Grazia Deledda
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Читать онлайн книгу Bis an die Grenze - Grazia Deledda страница 3
Su sordadu in sa gherra
Non chè s’est olvidadu.
Non s’ammentad de Deu.
Torrat su corpus meu,
Pustis chi est sepultadu,
A sett’ unzas de Terra.1
Dieser Gesang konnte die Vorstellung von einer Araberin erwecken, die vor einem von Palmen und Kaktus beschatteten Zelt unter leisem, einförmigem Singen ihren Kaffee bereite. Und der Hintergrund des Fensters, vor dem Gavina hantierte, konnte die Illusion nur erhöhen. Es war ein Stückchen Oase: vor einem glänzend grünen Brustbeerbaum starrte ein enormer grauer Kaktus; zwischen den Wedeln einer Palme leuchteten die rosenroten Blüten eines Oleanders; und aus aschgrauen Wermutstauden ragte ein mit Früchten beladener Orangenbaum auf gleich Glut über der Asche. Lieblicher noch erschien die kleine Oase durch den Schatten des Laubengangs, neben dem, zwischen dem Geäst des Kaktus hindurch, sich die öden Reihen der grauen, zerfressenen Kohlköpfe zeigten.
In der tiefen Stille der Nachmittagstunde hörte man das Stampfen von Lucas Pferd und die lustigen Stimmen junger Burschen, die sich täglich um diese Zeit in Zia Itrias Höfchen zu versammeln pflegten, um Karten zu spielen. Die lauten Stimmen und das rohe Lachen lenkten Gavinas Gedanken vollends von den Jägern ab. Jetzt sah sie im Geiste jene jungen Leute bei der dicken Alten sitzen, die sich gut mit ihnen hielt – so sagte Paska – aus Angst, sie möchten eines Abends ihre Getreidevorräte untersuchen.
Ja, das waren wahrhaftig Sünder! Sünder erster Güte, sagte der Kanonikus Sulis.
Sie waren fast sämtlich Trunkenbolde, dem Laster ergebene Menschen, die bereits mit dem Gefängnis Bekanntschaft gemacht hatten.
»Auch sie sind Kinder Gottes. Gönnt ihnen das Leben!« sagte Zia Itria. »Die Welt ist groß.«
Aber Gavina, Paska und Signora Zoseppa dachten nicht so. Ja, die Welt ist groß – aber die Missetäter sind nicht Kinder Gottes; sie sind seine Feinde.
Der Kaffee ist fertig. Signora Joseppa, die ebenfalls kein Auge hat zutun können, kommt herunter und ruft Paska beiseite.
»Luca muß geweckt werden und aufs Land hinaus, bevor sein Vater aufsteht.«
»Ich habe ihn schon mehrere Male gerufen, aber er antwortet nicht. Seine Tür ist verschlossen.«
»Er wird doch nicht krank sein?«
Die beiden Frauen tauschen besorgte Blicke. Gavina steht vor dem Fenster und putzt sich die Zähne mit einem Salbeiblatt: sie möchte ihrer Mutter sagen, es sei gar nicht der Mühe wert, sich so um Luca zu sorgen, doch sie wagt es nicht.
Als sie aber wieder mit Paska allein ist, fängt sie von neuem an: »Ihr macht mich wirklich wütend! Was braucht meine Mutter den noch zu hätscheln? Wenn ihn wirklich ein Unglück träfe, das wäre wohl ein großer Jammer! . . .«
»Aber Gavina! So von einem Bruder zu reden, von einem christlichen Kind Gottes!«
»Er ist kein Bruder, er ist ein Feind?« sagte Gavina. Dann ging sie und setzte sich an das halbgeöffnete Fenster des Speisezimmers. Die jetzt völlig einsame Straße lag im Schatten, darüber aber brütete die Nachmittagshitze; von dem halbverfallenen Balkon des Kanonikus Sulis drang ein Duft von Nelken und Basilikum herüber.
Die Sommernachmittage sind lang und vergehen langsam für den, der nicht viel zu tun hat. Wie sollte Gavina die Zeit hinbringen, wenn sie nicht strickte? Und sie nahm den Strickstrumpf zur Hand, zählte die Maschen, um sie einzuteilen und den Hacken anzufangen: da war eine Masche zu viel – wohin sollte sie die tun? Die wichtige Frage blieb für den Augenblick ungelöst. Signora Zoseppa trat wieder ein und hinter ihr, fast verstohlen, Luca. Er war klein und sehr dick für sein Alter, und mit seinem blassen, gedunsenen Gesicht und den runden, hellblauen, verschwommenen Augen würde er wie ein alter Mann ausgesehen haben ohne den schwarzen Schnurrbart, der ihm wie eine Franse über den halbgeöffneten Mund herabhing. Die schlechten Zähne verrieten den Trinker, und an seinem wirren schwarzen Haar, den Falten seines schlecht geschnittenen Anzugs aus englischem Stoff erriet man leicht, daß er sich angekleidet aufs Bett geworfen und lange den Schlaf des Trunkenen geschlafen hatte.
Während die Mutter in die Vorratskammer ging, einen kleinen Mantelsack zu holen, näherte er sich, ohne Gavina zu beachten, dem Tische und öffnete die Schublade. Doch er knabberte nur an einem Stückchen Brot und schob die übrigen Speisen zurück, als ob sie ihm Ekel erregten. Dann ging er an den Schrank, der als Büffett diente, goß sich ein Glas Wein ein, stürzte es herunter und füllte das Glas sogleich von neuem.
Da erfolgte ein rascher, heftiger Auftritt. Gavina, die den Bruder mit zornflammenden Augen beobachtet hatte, rief: »Genug, Luca! Wenn du noch mehr trinkst, rufe ich den Vater!«
Er trank, ohne zu antworten. Sie sprang auf, stieß ihn beiseite, verschloß den Schrank und zog den Schlüssel ab.
Er stieß einen rauhen Schrei aus und erhob die Hand um sie zu schlagen; instinktmäßig bückte sie sich, aber sie trat nicht zurück, sondern sagte herausfordernd zu ihm: »Versuch’ es nur, du wirst dann mit dem Vater Abrechnung halten.«
Da bekam er Furcht. Er verließ das Zimmer und wenige Minuten später saß er zu Pferde und ritt nach einem im Tale gelegenen ländlichen Besitztum des Vaters.
Gavina setzte sich wieder ans Fenster und fing von neuem an, die Maschen zu zählen. Ihr klopfte das Herz. Ach, ja! dachte sie, so muß man mit ihm verfahren, sonst hat er keinen Rückhalt mehr. Und meine Mutter! Sie ist so streng gegen alle und dabei so schwach gegen ihn . . .
Die Zeit ging hin. In der Küche saßen Paska und Signora Zoseppa auf einem Wollsack am Boden, reinigten Korn und redeten über Zia Itria. Signora Zoseppa – so streng gegen alle! – war strenger als streng gegen ihre Schwägerin.
»Gott steh’ ihr bei! Sie ist ihr Leben lang so leichtsinnig gewesen, so unüberlegt und verkehrt mit allerlei schlechtem Volk. Sie meint immer über ebenen Boden zu gehen und merkt nicht, daß sie bei jedem Schritt stolpert. Ihr Bruder, der Kanonikus, sagt . . .«
Der Kanonikus Sulis trat in diesem Augenblick aus seinem verfallenen Haustor heraus. Obwohl er Kanonikus, Domherr war, sah er aus wie ein armer Landgeistlicher. Seine Soutane war schmierig, der Hut abgeschabt; doch sein rosiges, wohlgenährtes Gesicht mit der kleinen Stülpnase und dem kleinen, lächelnden Munde verlieh jedem, der ihn sah, ein Gefühl von Frohsinn.
»Und dein Vater?« fragte er, sein vorragendes Bäuchlein gegen das Fenstergitter lehnend, hinter dem Gavina saß.
»Er schläft noch,« erwiderte sie und zog sich zurück, doch nicht schnell genug, um den Onkel zu hindern, an ihrem Zopf zu ziehen.
»Laßt mich, Onkel!« rief sie, »Ihr tut mir weh!«
»Du sollst die Haare aufstecken! Es ist an der Zeit, denn du bist jetzt groß. Ich will dich ordentlich frisiert sehen, wie es sich für ein anständiges Mädchen schickt, und nicht so, mit einem Schwanz wie die Pferde.«
Und er zog und lachte. Dann warf er Gavina eine Nummer der »Unità Cattolica« in den Schoß und verkündete: »Bei der Rückkehr vom Chor wird der Kanonikus Felix mich begleiten, um euch einen Besuch zu machen.«
Diese Nachricht schien Gavina zu erregen: sie stand auf und ging zur Mutter, ihr den Besuch anzukündigen. Dann stieg sie in ihr Zimmer hinauf und blickte in den Spiegel. Und nachdem sie wieder heruntergekommen war,
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Der Soldat im Kriege läßt alles hinter sich und vergißt selbst Gott. Wenn mein Leib begraben ist, so verwandelt er sich in sieben Unzen Staub.