Bis an die Grenze. Grazia Deledda

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Bis an die Grenze - Grazia Deledda

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mochte jene Leute nicht, die so freie Reden führten, jene schmutzigen, nach Obst lüsternen Weiber, jene Männer, die das Eigentum anderer nicht achteten. Doch als sie das Ende der auf die Landstraße führenden Gasse erreicht hatten, hielt Gavina vor dem weitgeöffneten Tor eines weißen Häuschens an, das weniger ärmlich als die andern war.

      In dem vom Mond erhellten Torbogen zeigte sich ein hübsches Bild: ein kleiner Innenhof, darin ein graues Eselchen und zwei weiße, schwarzgefleckte Ochsen an einer gefüllten Krippe. Ein alter, kahlköpfiger Mann mit einem guten, friedlichen, von langem grauem Bart umrahmten Gesicht, und ein blasses, junges Mädchen mit einem Gesicht, das leichenhaft erschienen wäre ohne die Glut und den Glanz zweier großer, grünlichschwarzer Augen, saßen im Hintergrund des Hofes. Hätte nicht das Kind gefehlt, so hätte das Bildchen eine heilige Familie vorstellen können.

      Als das junge Mädchen Gavina bemerkte, sprang es sogleich auf, und seine Augen leuchteten im Mondlicht.

      »Kommst du mit?« fragte Gavina. »Darf sie mitgehen, Zio Bustià?«

      Der Mann, ein wohlhabender Bauer, den Signor Sulis manchmal in landwirtschaftlichen Dingen um Rat fragte, willigte gerne ein.

      »Ich erwartete dich«, sagte Michela mit leiser, doch leidenschaftlich klingender Stimme. »Warum bist du gestern Abend nicht gekommen?«

      »Wenn du mich sehen wolltest, konntest du nicht zu uns kommen?« erwiderte Gavina in etwas spöttischem Ton.

      »Ich hatte soviel zu tun. Vater fuhr das Getreide ein. Und dann haben wir auch Mieter bekommen.«

      Paska, die die Freundschaft zwischen Gavina und der Tochter eines Bauern nicht gern sah und Michela deshalb ziemlich geringschätzig behandelte, interessierte sich aber doch für die Mieter.

      »Seit wann habt ihr die?«

      »Seit gestern. Wir haben ihnen die beiden Stübchen da oben abgegeben.«

      Paska blickte hinauf. Und am Fensterchen des ersten und einzigen Stockwerks, neben einem Korkgefäß, aus dem graugrünes Nelkengeranke herabhing, sah sie den Kopf eines jungen Menschen mit schwarzem, kurzgeschorenem, wie Samt glänzendem Haar und dunklem, magerem Gesicht, das zum Mond aufblickte. Er pfiff vor sich hin und schien der Frauen auf der Straße gar nicht achtzuhaben.

      »Es ist ein Student«, sagte Michela. »Er muß auch in den Ferien studieren und deshalb ist seine Mutter aus ihrem Dorfe hierhergekommen.«

      »Sind sie reich?«

      »Stell’ dir nur vor, wie reich sie sind, wenn sie in unserem Hause wohnen mögen. Sie leben mit fünfzig Centesimi den Tag. Die Mutter ist eine Spinnerin. Aber hört doch, was für eine Geschichte! Mit zwölf Jahren hat man sie einem vierzigjährigen Manne verlobt. Sie sollten heiraten, wenn sie sechzehn sein würde. Aber kurz vorher verliebte sie sich in einen Kurier, wißt ihr, so einen reitenden Boten, die im Gebirge die Post in die Dörfer bringen. Eines Tages brannten die zwei Verliebten durch, er nahm sie auf seinem Pferde mit wie einen Brief. Dann heirateten sie. Bald darauf aber kam das Pferd des Kuriers einmal allein vor die Post des Dorfes. Und den Kurier fand man tot in einem blühenden Ginsterfeld. Nie hat man erfahren, wer ihn ermordet hat. Die Witwe sagt, es wäre der Andere gewesen: sie hat sich nie getröstet und sie sagt, während der letzten Monate ihrer Schwangerschaft, denn sie war guter Hoffnung, als sie ihr den Mann erschossen, habe sie beständig gebetet, das Kind, das sie unter dem Herzen trug, möchte ein Knabe werden, damit er den Vater rächen könnte. Und sie bekam einen Knaben.«

      »Und wie denkt der jetzt?«

      »Wer? Francesco Fais? Er lacht und singt den ganzen Tag, während die Mutter so scheu ist wie ein Hase. Nun, du wirst ihn ja sehen.«

      Gavina zuckte die Achseln. Sie mochte arme Leute nicht und darum lag ihr gar nichts daran, die Witwe Fais kennen zu lernen. Auch Paska kümmerte sich nicht weiter um Michelas Geplauder. Da schlug das junge Mädchen ein anderes Thema an. Sie war äußerst religiös; war, wie es häufig vorkam, ihr alter Vater nicht daheim, so konnte sie einen ganzen Tag in der Kirche verbringen. Sie glaubte an Geister, an Wundererscheinungen und behauptete, die Seele ihrer vor einigen Jahren verstorbenen Mutter gesehen zu haben.

      Gerade das Außergewöhnliche an dem sich selbst und seiner Phantasie überlassenen blassen, hysterischen Wesen war es, was Gavina zu ihr hinzog; sie liebte Michela nicht, und obwohl sie sie suchte und ihr gerne zuhörte, behandelte sie sie mit Geringschätzung.

      Michela war sehr sensibel, ihr Instinkt lehrte sie mehr als ihr Verstand. Sie fühlte die Abneigung Paskas und die Geringschätzung Gavinas und hing sich dennoch mit fast krankhafter Leidenschaft an diese. Solange die Magd bei ihnen war, redete sie nur obenhin von sich und erzählte, was sie den Tag über getan hatte. Sie war mit dem Morgengrauen aufgestanden und zur Kirche gegangen, hatte gebeichtet und kommuniziert; und, wie sie jeden Sonnabend zu tun pflegte, hatte sie auch heute nur Brot und Wasser genossen und den ganzen Tag gearbeitet.

      Als sie bei dem ein wenig unterhalb der Straße gelegenen Brunnen angelangt waren, stieg Paska hinab. Die beiden Mädchen lehnten an der Brüstung der Straße am Rande des weiten Tales, das jetzt im Mondlicht grau und schwarz dalag. Auf den Vorbergen gegenüber brannten große Feuer, die aus dem Gestein selbst aufzusteigen schienen. Um den Boden dort urbar zu machen, brannten die Bauern das Buschwerk ab; manchmal standen weite Strecken in Flammen, und an dunkeln Abenden warfen diese einen Glutschein über das Tal, so rot wie der Mond vor dem Untergang.

      Durch den stillen Abend hörten die Mädchen das Rauschen des Brunnens und die Stimmen der Wasser holenden Frauen, bei denen auch Paska plaudernd verweilte.

      »Höre Gavina, ich muß dir etwas sagen!« sagte Michela leise und beklommen. »Schwöre aber, daß du mir glaubst.«

      »Ich glaube dir! Es ist nicht nötig zu schwören«, entgegnete Gavina stolz.

      Sie dachte, Michela wolle ihr ein süßes und quälendes Geheimnis anvertrauen, dem gleich, das sie selbst hegte; das aber, was die Freundin ihr nun sagte, erfüllte sie mit Staunen und Neid.

      »Höre! Ich habe den heiligen Ludwig gesehen. O, du glaubst es nicht? Doch, doch, du glaubst es! Diesmal ist es wirklich wahr und nicht wie damals, als ich zu sehen meinte, wie die Madonna im Schnee auf unserem Bildchen die Augen auf- und zumachte. Diesmal ist es wahr!«

      »Gott! O Gott!« seufzte Gavina und preßte den Arm Michelas. Beide zitterten, als ob von einem Augenblick zum andern und vor ihren Augen die Erscheinung sich wiederholen solle.

      »Wie denn? Wie? Erzähle doch!«

      »Ja, heut’ in der Dämmerung. Ich war müde und hatte mich auf einen Augenblick auf die Treppe gesetzt, die von unserm Hof aus nach dem oberen Stock führt. Es war beinahe dunkel, denn der Mond schien noch nicht in den Hof hinein. Auf einmal höre ich etwas wie einen Glockenton und sehe etwas wie das Leuchten eines Blitzes, und da ging der heilige Ludwig über den Hof. Er sah mich nicht an. Er blickte zu Boden und hatte ein Kreuz in der Hand.«

      Gavina seufzte nochmals. – »Du bist glücklich, Michela! Du stehst bei Gott in Gnade!« sagte sie neidisch.

      Sie hatte sich immer gewünscht, gleich Michela sehen zu können. And in diesem Wunsche barg sich ein Teil Eigenliebe; denn ohne sich dessen bewußt zu sein, hielt sie sich dieser Gnade für ebenso würdig wie Michela.

      Die Erzählung von dieser Erscheinung des heiligen Ludwig hatte ihr einen solchen Eindruck gemacht, daß sie einen von Michela ihr angeratenen Versuch unternehmen wollte. Sie fastete und fing eine Spitze für ein Chorhemd ihres Onkels an. Bei der Arbeit betete sie und dachte beständig an den heiligen Ludwig, denn den jungen Heiligen mit den großen, reinen Augen

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