Bis an die Grenze. Grazia Deledda

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Bis an die Grenze - Grazia Deledda

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an der Steineiche halten mußte.

      Der letzte Dämmerschein erhellte den Himmel, der im Westen wie Perlmutter schimmerte; eine Stimme sang in der Ferne, und ihr leise zitternder Ton schien sich mit dem zitternden Schein des Abendsterns, mit dem leisen Blätterrauschen zu vermischen. Die Stunde war so lind und süß, daß Gavina für einen Augenblick all ihre Not vergaß. Mit einem Mal war es ihr, als ob die Eiche, an deren Stamm sie ihre Schläfe lehnte, lebendig sei und sich leise rege. Diese Offenbarung verursachte ihr innigste Freude: sie empfand eine wahre Zärtlichkeit für den Baum, es war ihr, als ob alle Dinge ringsum sich belebten, und sie warb inne, daß sie all diese Dinge liebte, daß sie ihr Leben, ihren Herzschlag teilten.

      Ein Freudentaumel erfaßte sie, und ihre Füße versagten den Dienst; sie umschlang die Eiche und schloß die Augen, und in momentaner Verwirrung war es ihr, als sei der Baum Priamo.

      Doch es war eben nur ein Augenblick! Dann raffte sie sich auf, öffnete die Augen – und alles schien verwandelt. Siehe da: sie hatte auf’s neue gesündigt! Finsternis umhüllte sie wieder, sie warf sich auf das Mäuerchen neben der Eiche, biß in die Steine und ward von Haß erfaßt gegen alles, was lebte und sich regte.

      III

      Zwei Monate lang lebte sie von diesem Haß. Sie behandelte sich selbst wie eine Feindin; sie magerte ab und – gleich ihrem Beichtvater – wagte nicht mehr, vor den Leuten die Augen auszuschlagen. Eines Tages dachte sie daran, Nonne zu werden. Während sie ihrer Mutter und Paska bei der Arbeit half, malte sie sich ein Idealkloster aus, das ganz aus Marmor erbaut wäre und von einem Garten voller Rosen und grünlich schillernder Insekten umgeben, wie das Gärtchen aus ihrer Standuhr. Aus den Fenstern des erträumten Klosters könnte man die rosige und zartgrüne Dämmerung genießen, den Mond und die Sterne betrachten und den Stimmen der Bäume lauschen, ohne in Todsünde zu verfallen.

      Sie hätte jetzt leidlich ruhig dahinleben können, wären nicht die heftigen, gehässigen Auftritte gewesen, die sich von Zeit zu Zeit zwischen ihr und Luca abspielten; war er bisher der Stärkere gewesen, so bekam sie jetzt die Oberhand, und er sing an, sich vor ihr zu fürchten, wie er den Vater fürchtete.

      Eines Tages, zu Anfang September, kam der Kanonikus Felix mit Priamo zu Besuch. Gavina bereitete den Kaffee, aber sie betrat das Besuchzimmer nicht. Nachher berichtete Paska ihr, Priamo müsse nach seinem Dorfe reifen, um seinen schwer erkrankten Vater zu besuchen, und der Kanonikus Felix habe davon gesprochen, seinen Neffen im Herbst nach Rom zu schicken, damit er Theologie studieren solle.

      Addio, also! Alles war zu Ende, und für immer! Sie empfand nicht Schmerz, nicht Freude darüber; aber im Grunde ihres Herzens verspürte sie eine leise Enttäuschung: es war ihr, als habe Priamo sie allzubald vergessen.

* * *

      Der Kanonikus Felix war auch deshalb gekommen, um Signor Sulis einen alten Landsmann von sich zu empfehlen, der einen Posten als Weinberghüter suchte.

      Zwei Tage später stellte der Alte sich vor: ein sonderbarer Heiliger mit einem völlig bartlosen, sarkastischen Gesicht, eingefallenen Wangen und kleinen, schwarzen, glänzenden Maulwurfsaugen. Da er indes in seinem dunkelgrünen Sammetwams und einer neuen Mühe auf dem kahlen Kopfe recht anständig aussah, ward er gut aufgenommen und sing alsbald an zu plaudern und Verse vorzutragen. Er sagte, er sei der »berühmte« Stegreifdichter Sorighe, habe ein kleines Vermögen damit vertan, daß er von Fest zu Fest gezogen sei, um an den Wettgesängen teilzunehmen, und müsse sich nun mit dem aller bescheidensten Erwerb begnügen. Dieses Los aber nahm er nicht nur als Philosoph hin, sondern er scherzte noch darüber. »Und bei Gelegenheit amüsiere ich mich noch heute«, so schloß er.

      Signor Sulis nahm ihn also als Hüter für die Weinberge an, die er auf der Hochebene, eine Stunde von der Stadt entfernt, besaß.

      Alle Jahre begab Signora Zoseppa sich dorthin, um die Weinlese zu überwachen, und diesmal nahm sie Gavina mit. Der Ort war rauh, fast wild. Um die Weinberge her, bereit Laub sich tiefgrün von dem gelblichen Erdreich abhob, erstreckte sich Buschwald und Dornenwildnis, dazwischen Wiesen, mit vertrocknetem Asphodelus bedeckt. Außer den niedrigen, am Boden kriechenden Neben gediehen hier nur Feigenbäume, und nur im Weinberg der Familie Sulis, ein wenig oberhalb des grauen Häuschens, erhob sich eine Eiche, die, gleich der Steineiche im kleinen Garten dort unten, wie eine aus dem Hochwald der umliegenden Berge Verbannte erschien.

      Zio Sorighe erwartete die Herrschaft vor dem hölzernen Eingangstor. Er hatte das Häuschen gesäubert, das im Erdgeschoß zwei geräumige Zimmer besaß, von denen das eine auch als Küche diente; den Abhang vor der Eiche hatte er geebnet und durch ein kleines Mäuerchen gestützt, das nun eine angenehme Terrasse bildete. Weiter oben hatte er noch ein Hüttchen errichtet, in dem er selbst die Nacht zubrachte.

      Ritterlich war er den Herrinnen behilflich vom Pferde zu steigen und an Gavina richtete er alsbald die zierlichen Verse:

      »Dami sa manu, bellita, bellita,

      Dami sa manu e tornamila a dare

      Unu bestire ’e seda biaiatta,

      Dami sa manu, bellita, bellita.«3

      Zu Signora Zoseppa sagte er: »Die Weinstöcke sehen aus wie schwarze Schafe, so voller Trauben sind sie.«

      Der Tag verging schnell. Der Knecht, Signora Zoseppa und Luca, der sich ebenfalls eingefunden hatte, legten die Gärbottiche um und wuschen sie aus. Der Alte scherzte immerfort, und mitunter waren seine Reden so frei, daß die Herrin die Brauen zusammenzog. Luca arbeitete den ganzen Tag; den Kopf im Bottich, scheuerte er diesen mit einem Besen aus und war ganz still, wie berauscht von dem Mostgeruch, den das Holz noch ausströmte. Gegen Sonnenuntergang schien er der Arbeit müde, paßte schlau einen günstigen Augenblick ab und trank den Wein, den seine Mutter im Schrank geborgen hatte; dann legte er sich nieder und schlief.

      Nachdem auch Gavina den ganzen Tag gearbeitet hatte, ging sie und setzte sich auf einen großen Stein am Stamm der Eiche. Dort war es, als weile sie inmitten eines grünen Meeres: die rote, strahlenlose Sonne neigte sich den violetten Bergen zu und breitete einen lieblichen und melancholischen Schleier von rosigem Licht über die Weinberge und den Buschwald, auf dessen Lichtungen kleine, friedliche Pferde weideten, die aus der Entfernung aussahen wie schwarze Schafe. An der rotbestrahlten Eiche regte sich kein Blatt: es war, als ob die Natur schweigend dem großen Mysterium des Sonnenunterganges zuschaue. Und zum ersten Mal nach drei Monaten trüber Träumerei empfand Gavina, wenn auch gegen ihren Willen, die Freude am Leben; sie verspürte eine Bewegung, eine Regung süßer Melancholie, der gleich, die die Erde beim Abschiednehmen von ihrem besten Freunde, der Sonne, zu erfüllen schien. Und als sie gegangen war, und alle Dinge stiller und ernster erschienen, wie in die Erinnerung an den entschwundenen Freund versenkt, da dachte Gavina an Priamo.

      Er war fern und unglücklich, und vielleicht würde sie ihn nie mehr wiedersehen! So durfte sie bisweilen seiner gedenken ohne zu sündigen, ja sich freuen, daß sie ihre leidenschaftliche Liebe überwunden hatte!

      In den folgenden Tagen hörte sie Zio Sorighe, den Hüter und Dichter, manchmal von der Familie Felix reden: »Früher waren sie reich«, erzählte er, »aber sie haben viel Feindschaft, Streit und Unglück erfahren, und jetzt sind sie vollständig ins Elend geraten. Zum Glück ist noch der Kanonikus da, der sie unterstützt und seinen Sitz einst dem Neffen hinterlassen wird . . . wenn dieser es so weit bringt, daß er geschoren wird (Stirnrunzeln Signora Zoseppas). Ach, dem Burschen gefallen die Schürzen besser als die Soutane . . . ja, ja, das ist so klar wie die Sonne! Übrigens, wenn das nun einmal sein Charakter ist, was ist schlimmes dabei? Wem gefallen die Schürzen etwa nicht? Ich zum Beispiel . . .«

      »Still jetzt. Mann Gottes!«

      »Aber was sag’ ich denn? Ich sage bloß: hätten sie mich gezwungen, gegen

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Gib mir die Hand, du Schöne, du Schöne, Gib mir die Hand und gib mir sie noch einmal, dann schenk’ ich dir ein Kleid aus himmelblauer Seide, Gib mir die Hand, du Schöne, du Schöne.