Bis an die Grenze. Grazia Deledda
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Читать онлайн книгу Bis an die Grenze - Grazia Deledda страница 11
Aber Signora Zoseppa wollte von Priester Monnois Abenteuern nichts wissen. Und Gavina betete still, daß Priamo ein guter Diener des Herrn werden möge. In Rom, in der Stadt des Glaubens, würde er sich gewiß bekehren und das Amt, das seine Verwandten ihm auferlegten, mit Freuden annehmen. Und so begann sie in der Ferne wieder, an ihn zu denken. Abends namentlich zuckte die Erinnerung an ihn durch ihren Sinn gleich dem unsichern Schein der fernen Feuer, die in der einsamen Landschaft aufflammten und wieder erloschen.
Die Nacht war dämmerhell, und die Luft roch nach Weinlaub und Haidekraut. Dann und wann ertönte die Stimme eines kleinen Hirten, der seine Herde auf die Wiesen führte, den trockenen Asphodelus abzuweiden; dann antwortete ihm die scharfe aber wohlgeübte Stimme des alten Weinberghüters, und beide Stimmen sangen Liebeslieder, die wie die Klage der von der abgeschiedenen Sonne träumenden Geholte erschienen.
Auch die Eiche erschauerte leise. Es war, als erwache sie bei dem Gang der Liebe wie ein alter Verbannter beim Erklingen einer heimatlichen Melodie. Stärker regte sich alsdann bei Gavina der Gedanke an Priamo, und auch sie stimmte unwillkürlich in die Liebeslieder ein, die durch die Nacht zitterten.
Eines Tages kamen nun die Winzer an, fast alle jung und fröhlich. Zio Sorighe dichtete für jede Winzerin eine Ottava und fand viel Beifall, doch auch einigen Widerspruch wegen allzu gewagter Behauptungen. Luca, der von der Stadt zum Weinberg kam und ging, ereiferte sich gegen den Hüter, der ihn als einen Tugendbold hinstellte, der die Weiber nicht ansähe und von den andern verlangte, sie sollten ein gleiches tun. Der lustige Alte lachte Luca ins Gesicht und dieser ging zu seiner Mutter und forderte die sofortige Entlassung Zio Sorighes.
»Ich werde den Hüter machen und alles selbst tun!«
»Ach wirklich?« sagte Gavina geringschätzig, »wirklich du?«
»Ja, ich, ich, du Esel! Und wenn der verfluchte Kerl nicht sogleich geht, dann gehe ich!«
»Geh nur, der Keller erwartet dich!«
Er ging. Die Mutter schalt Gavina, aber die Lese ging vortrefflich von statten, auch ohne Luca. Einige Winzerinnen schliefen nachts im Weinberg, und obwohl sie müde waren, erklang ihr Singen und Lachen bis zum späten Abend.
Gavina saß wieder unter der Eiche. Auf einmal hörte sie, wie ein Winzer und eine Winzerin den Abhang heraufkamen. Sie bemerkten Gavina nicht, die durch den Stamm der Eiche verdeckt war, setzten sich auf das Mäuerchen und fingen an, miteinander zu schäkern. Zuerst lachte das Mädchen leise, leise, dann war es still, dann seufzte es. Auch der Mann schwieg. Gavina begriff, daß die beiden sich küßten, und sie erbebte: es war ihr, als ob sie selbst noch hinter jenem Felsen im Garten ihres Beichtvaters stände, als Priamo sie küßte. Sie verbrachte eine unruhige Nacht: jeden Augenblick erwachte sie mit einem seltsamen Angstgefühl. Es war ihr, als sei sie aufs neue in Todsünde verfallen, und wenn sie das Rauschen der Eiche im Nachtwind hörte, dann kam ihr der Gedanke, wie wohl die Einsiedler daran täten, die verderbten Menschen mit ihrem gemeinen Treiben zu fliehen, deren Beispiel nur Versuchung bereitet.
Nachdem die Winzer abgezogen waren, blieben die Frauen wieder mit Zio Sorighe allein im Weinberg. Der Alte war mit den Bottichen beschäftigt, die wie die Kessel kochten.
Aus der Stadt kam der andere Knecht, um wieder neuen Most dorthin zu führen. »Und was werdet Ihr tun, wenn Ihr hier fertig seid?« fragte er den Hüter.
»Dann werde ich wieder wie ein Vogel durch die Lust fliegen«, erwiderte der Alte. »Zuerst besuche ich das Fest des heiligen Franz, dann das des heiligen Konstantin; ich will singen bis ich sterbe.«
»Hoffentlich aber nicht, ohne vorher zu beichten? Werdet Ihr auch Eure Beichte in Versen absingen?«
»Und warum sollt’ ich wohl beichten? Was hab’ ich im Leben Schlimmes getan? Ich habe gelebt, ich habe genossen. Und dazu hat uns Gott geschaffen, wenn mir recht ist. Essen, trinken und fröhlich sein: alles andere ist Todsünde.«
Die Herrin runzelte die Stirn. Wirklich, die Moral des Alten war der ihren völlig entgegengesetzt. Auch Gavina billigte Zio Sorighes Ansichten nicht; sie hielt ihn aber auch für ein wenig verrückt. Wenn er sie mit seinen glänzenden Äuglein ansah und immer wieder anfing:
»Dami sa manu, bellita, bellita . . .«
dann machte sie sich aus dem Staube, statt ihm die Hand zu geben.
Kurz vor dem zu ihrer Rückkehr in die Stadt bestimmten Tage hörte sie einmal, wie Zio Sorighe oben von dem Abhang aus zum Eingangstor hinüberrief: »Heil, Don Pilimu, Seil, Don Pilimu!« Und Gavina fragte sich, ob der Alte nun wohl wirklich toll geworden sei. Gleich darauf aber sah sie Priamo zu Pferde und in bürgerlicher Kleidung, in Begleitung eines hochgewachsenen Mannes, der ebenfalls beritten war und wie ein Imperator aussah; ein junger zahmer Damhirsch folgte ihnen.
Fast erschrocken zog Gavina sich zurück und benachrichtigte ihre Mutter, die ihr gelassen erwiderte: »So muß man sie einladen, abzusteigen.«
Priamo, der aus seinem Dorfe zurückkehrte und einen weiten Umweg gemacht hatte, um an Gavinas Aufenthalt vorüberzureiten, ließ sich nicht lange bitten.
»Es geht meinem Vater besser«, sagte er sogleich, und seine Augen suchten die Gavinas. Aber sie verhielt sich so schüchtern und scheu wie der kleine Damhirsch, der zwischen den Beinen der Pferde Schutz gesucht hatte. Beinahe fürchtete sie sich vor dem Seminaristen, der ihr in seiner bürgerlichen Kleidung als ein anderer erschien: so war er vielleicht weniger schön, aber er sah aus wie ein Mann.
Während Signora Zoseppa den beiden Männern zu trinken bot, und Priamos Landsmann mit Kennerblicken den ausgedehnten Besitz und die vielen schäumenden Bottiche betrachtete, näherte Gavina sich dem Damhirsch. Sein dunkelblondes Fell glänzte wie Samt, und die großen, sanften, braunen Augen blickten mit einem fast menschlichen Ausdruck in die Gavinas. Als sie ihm ein Stück Brot reichte, wich das zierliche Tier zuerst scheu zurück, sein hübsches Köpfchen hintenüberwerfend; dann aber schob es sein schnupperndes Mäulchen vor und nahm das Brot. Und Gavina faßte es um den Hals und zog es zu dem Häuschen hinüber.
»Gefällt er Ihnen?« fragte der Fremde und Priamo fügte sogleich hinzu: »Wenn er dir gefällt, schenke ich ihn dir. Magst du ihn? Dann mußt du ihn aber hier einsperren, damit er uns nicht fortreiten sieht.«
Sie errötete vor Vergnügen und nahm das Geschenk an. Der alte Hüter erbot sich, den Damhirsch zu warten, fütterte ihn und redete in Versen zu ihm.
»Du könntest mir einen Gefallen tun«, sagte Signora Zoseppa zu Priamo. »Du könntest morgen meinen Mann und Luca aufsuchen, ihnen sagen, daß du uns gesehen hast und daß es uns gut geht. Und grüße auch deinen Onkel!«
»Ja, ja, das werd’ ich ausrichten«, rief Priamo indem er wieder aufsaß und einen letzten Blick auf Gavina richtete.
Sie blieb den ganzen Abend über im Sause und streichelte manchesmal das hübsche Tierchen, das keinen Fluchtversuch unternahm, aber immerfort traurig durch das Fenster sah. Und auch sie blickte in die Ferne, und mitunter hatten ihre Augen den gleichen Ausdruck wie die des Damhirsches. Wo mochte Priamo jetzt sein? Dachte er wohl an sie? Und ihr, ihr war es verboten an ihn zu denken, wie es jetzt dem kleinen Damhirsch verboten war, an seine schöne Freiheit im wilden Wald zu denken und an die Spiele mit seinesgleichen . . .
Am folgenden Morgen kam der stattliche Bauer, der wie ein Imperator aussah, wieder vorübergeritten und sagte zu Zio Sorighe: »Wie vergnügt war mein junger Herr gestern Abend! Ich habe ihn noch nie so fröhlich gesehen!« Und wieder blickte er auf Gavina, auf die Bottiche, auf die Weinberge.
Als