Bis an die Grenze. Grazia Deledda

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Bis an die Grenze - Grazia Deledda

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Und als sie mit Michela allein an der Brüstung lehnte, sagte sie mit Herzklopfen: »Wenn du wüßtest!« . . . Und sie erzählte ihr, daß Priamo gewagt hatte, sie zu küssen und ihr eine Liebeserklärung zu machen.

      Michela war bestürzt, erregt: »Und das hast du zugelassen?« sagte sie mit dumpfem Ton. »Du durftest das nicht leiden! Du hättest schreien sollen, den Onkel rufen! . . . Was für eine Sünde habt ihr begangen, was für eine Sünde! . . . Du mußt sie beichten, gleich morgen, ich werde mit dir gehen!«

      Gavina widersprach nicht. Auch sie erkannte, daß sie gesündigt hatte. Und während die andere fortfuhr, Worte eifersüchtiger Entrüstung vorzubringen, weinte Gavina in der weichen, linden Sommernacht.

* * *

      Der Kanonikus Bellia war ein von den Frauen sehr gesuchter Beichtvater. Obwohl er äußerst streng war, brachte er es fast immer fertig, seine Beichtkinder zu überzeugen und gleichzeitig wieder aufzurichten. Man erzählte sich sogar, er habe eine Frau von schlechten Sitten überredet, die Stadt zu verlassen und ins Kloster zu gehen.

      Als Gavina und Michela sich dem Beichtstuhl näherten, harrten bereits zehn oder zwölf reuige Sünderinnen beklommen des Augenblicks, da sie an die Reihe kommen würden, immer zum Streit bereit, wenn eine von ihnen sich vorzudrängen versuchte.

      Gavina mußte lange warten, erschöpft vom Fasten und beschämt über die furchtbare Sünde, die sie zu beichten hatte. Inzwischen überdachte sie nochmals ihre übrigen Sünden. Sie zieh sich des Neides, der Eitelkeit, des Hochmuts; sie dachte an Luca und bezeichnete die Feindseligkeit, die sie gegen ihn hegte, als »Unduldsamkeit«.

      Endlich kam der Kanonikus Bellia im violetten Mäntelchen aus der Sakristei und schritt zum Beichtstuhl. Er hatte den Kopf gesenkt, die Brauen gerunzelt und sah so düster aus, als ob er über einem Verbrechen brüte.

      Als Gavina vor dem kleinen Gitter niederkniete, verspürte sie einen Schwindel. Das dunkle Violett vor ihr kam ihr vor wie ein Gewitterhimmel; sie vernahm einen Seufzer und eine dumpfe Stimme: »Sprecht! Wie lange ist es her, daß Ihr zuletzt gebeichtet habt?«

      »Vierzehn Tage.«

      Nach einer kurzen Pause hob die dumpfe Stimme wieder an und in einem Ton, als richte sich die Frage an einen, der seit Jahren und Jahren in Todsünde gelebt: »Was habt ihr während dieser Zeit getan?«

      Sie begann, von Furcht, aber auch von Hoffnung erfüllt, dem Kranken gleich, der nach einer schlimmen Operation zu genesen hofft. Sie fing mit den »kleinen Sünden« an: »Eitelkeit, Ungehorsam, Unduldsamkeit, unnütze Worte, müßige Reden, Gefallen an der bösen Nachrede anderer, Lauheit im Guten!«

      Der Kanonikus seufzte und drängte: »Weiter nichts?«

      Sie sagte, sie habe am Dasein Gottes gezweifelt. Das war nicht wahr. Sie hatte nur Furcht gehabt, sie könnte daran zweifeln.

      Er schien nicht sehr überrascht. Er seufzte, sagte etwas von Voltaire und Renan, und daß nur Toren das Dasein Gottes bezweifeln könnten . . .

      »Weiter nichts?«

      Er erwartete stets bei allen seinen Beichtkindern das Bekenntnis schwerer Sünden; ja es schien, als ob er auf die Enthüllung eines Verbrechens warte.

      Gavina fühlte ihr Herz angstvoll klopfen und suchte den bittern Kelch so lange wie möglich von sich fernzuhalten. Sie sagte, sie habe an Träume geglaubt, an Erscheinungen, an Gesichte, und sie habe selbst eine himmlische Erscheinung angerufen und erwartet.

      Der Kanonikus entgegnete ihr, das sei durch Hoffart sündigen: die Heiligen erschienen nur den Heiligen, den schuldlosen Seelen.

      »Weiter nichts?«

      Der entsetzliche Augenblick war gekommen! Leise wie ein Hauch sagte sie: »Ich habe durch Unzüchtigkeit gesündigt . . .«

      Ein neuer Seufzer des Beichtvaters, ein langgezogener Seufzer, gleichsam der Befriedigung; er schien zu bedeuten: »Endlich haben wir’s!«

      »So sprecht, meine Tochter . . .«

      »Ich habe mich von einem jungen Manne küssen lassen . . .«

      »Welche Beziehungen habt Ihr zu diesem jungen Mann? Hat er ehrliche Absichten? Wissen Eure Eltern davon?«

      Ihr stockte der Atem. Wie, wie sollte sie nur den abscheulichen Vorfall beichten?

      »Er . . . er würde wohl redliche Absichten haben, aber er kann nicht . . . Er . . . er . . .«

      »Ist er anderweitig gebunden? Ist er verheiratet?«

      »Er . . . soll Priester werden!«

      Diesmal seufzte der Beichtiger nicht; er schwieg, wie betäubt; dann schneuzte er sich.

      Gott, o Gott, was soll aus mir werden? fragte sich Gavina. Es war ihr, als stünde sie vor einem Richter, der die Macht habe, die schwersten Strafen über sie zu verhängen. Wie ein Grashalm vom Wind, so ward ihre kleine Seele zu Boden gedrückt durch den Schreckenshauch, der von jenem hölzernen Versteck ausging, das einen Mann umschloß, wie das Tabernakel den Heiland.

      Und der schreckliche Mann redete: seine schauerliche Stimme schien aus einer dunkeln, veilchenfarbenen Ferne zu kommen, in der alles Trauer war.

      »Meine Tochter, was Ihr mir soeben gesagt habt, ist sehr ernst. Vielleicht versteht Ihr nicht einmal den ganzen Greuel Eures Tuns. Sprecht nun, bekennt mir Eure schwere Sünde in allen Einzelheiten!«

      Und sie sprach, wie außer sich und von einem unsinnigen Verlangen erfaßt, zu leiden, zu büßen. Sie übertrieb noch, sagte, sie habe den Seminaristen ermutigt, indem sie ihn angesehen, ihn am Fenster erwartet und selbst in der Kirche seine Blicke erwidert habe.

      Der andere horchte, mit düsterer Miene. Und als die große Sünderin schwieg, hob er an: »Eure Sünde ist schlimmer als ein Verbrechen. Ihr wolltet Gott eine Seele rauben! Wenn Ihr erst die ganze Größe Eurer Schuld erkannt haben werdet, so werdet Ihr nicht Tränen genug haben, sie zu beweinen. Die fleischliche Sünde ist schon an und für sich die schwerste und verabscheuungswürdigste Sünde, und außer in der heiligen Ehe verdammt der Herr alles verliebte Treiben, das keusche und reine Seelen beschmutzt. Ihr habt Eure Seele schon befleckt, ohne zu bedenken, daß Eure Schuld doppelt schwer ist, weil sie mit einem Manne begangen wurde, der dem Dienst des Seren bestimmt ist. Ihr weint, meine Tochter? Ja, weint nur, bereut, was Ihr getan, und bedenkt, daß unser Leben kurz ist, und daß der Herr uns auch hier auf Erden strafen kann . . .«

      So ging es noch ein gut Stück weiter. Gavina weinte wie ein bestraftes Kind und nahm sich vor, Buße zu tun und sich von den Eitelkeiten dieser Welt loszureißen. Aber trotz ihrer reuevollen Zerknirschung erteilte der Beichtvater ihr die Absolution nicht.

      »Kommt in drei Tagen wieder,« sagte er, nachdem er ihr eine lange Reihe Bußgebete vorgeschrieben hatte. »Und nun geht in Frieden.«

      Dieses frommen Wunsches ungeachtet ging sie mit aufgewühltem Herzen und flammendem Gesicht ihres Weges. Sie hatte keine Absolution empfangen! Es war ihr, als sei sie von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen, und drei Tage lang lebte sie dahin wie ein Verbrecher, der ein zweckloses Verbrechen begangen hat und Entdeckung fürchtet Sie fastete, betete und hielt sich verborgen: über die Spitze gebeugt, die wie ein Naturwunder, zartem Laubwerk gleich, aus ihren kleinen Fingern hervorging, saß sie allein oben in ihrem Zimmer, und plagte sich im Schweiße ihres Angesichts, ward von Tag zu Tag blasser und bekam Schwindelanfälle. Und das Verlangen Priamo zu sehen, und die Gewissensbisse

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