Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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einen Sinn gemeinsam hat?

      Du lieber Himmel, – widersprach Azwei – es hat sich eben alles so ereignet; und wenn ich den Sinn wüßte, so brauchte ich dir wohl nicht erst zu erzählen. Aber es ist, wie wenn du flüstern hörst oder bloß rauschen, ohne das unterscheiden zu können!

      Vorstufen zum Nachlaß zu Lebzeiten

      Die Maus auf Fodara vedla (später: Die Maus)

[30. Oktober 1921]

      Fodara vedla, ladinische Alpe, tausend Meter und mehr über bewohnter Gegend, und noch viel weiter abseits von ihr! Wer hat da eine Bank hingestellt?

      Wer auf dieser Bank sitzt, sitzt fest. Der Mund geht nicht mehr auf. Das Atmen wird fremd; wird ein Vorgang der Natur; oh, wird nicht Atem der Natur, sondern – wenn man merkt, daß man atmet – etwas Angetanes wie eine Schwangerschaft.

      Das Gras ist noch vom Jahr vorher, so blutleer, als ob man eben einen Stein davon weggewälzt hätte. Rings sind Buckel und Mulden ohne Sinn und Zahl; Knieholz und Alpe. Aus ihrer brandenden Ruhe wird der Blick immer wieder an das runde gelbe Felsenriff hochgeworfen und rinnt in hundert Blicke zersplittert ab. Es ist nicht übermäßig hoch, aber darüber ist noch das blaue Nichts. So wüst und unmenschlich ist die Welt noch immer wie in den Schöpfungszeitaltern.

      Die kleine Maus hat sich darin ein System von Laufgräben angelegt. Maustief, mit Löchern zum Verschwinden und anderswo wieder aufzutauchen. Sie huscht im Kreis, steht, huscht im Kreis weiter. Die Menschenhand sinkt von der Lehne der Bank: ein Auge, so groß und schwarz wie ein Spennadelkopf richtet sich hin. Ist es dieses sich drehende kleine lebendige Auge oder die Unbeweglichkeit der Berge?

      Gottes Wille geschieht? Oder der Wille einer kleinen Feldmaus, vor dem du zitternd unvorbereitet stehst?

      Man weist den Gedanken an Gott als unzuständig ab. Fragt sich exakt: Wirkte es die Beweglichkeit des Auges oder die Unbeweglichkeit der ungeheuren Berge? – Und hilflos merkt man: das ist ganz das gleiche.

      Begräbnis in A. (später: Slowenisches Begräbnis)

[25. Dezember 1921]

      Auch mein Zimmer war sonderbar. Pompejanisch Rot mit türkischen Vorhängen; die Möbel hatten Risse und Fugen, in denen sich der Staub wie feinste Geröllrinnen und -bänder hinzog; dadurch war es stellenweise voll jener übermächtigen Tatsächlichkeit der Hochgebirgshalden, die so ungeheuer da sind, und in gar kein Geschehen mehr verflochten sind, und nur vom Steigen und Sinken der Flut des Lichts und der Dunkelheit bespült werden.

      Als ich das Haus zum erstenmal betrat, war es ganz vom Gestank verwester Mäuse erfüllt. In das Vorzimmer, das meines von dem der Lehrerinnen trennte, warfen diese alles, was sie nicht mehr liebten oder des Aufhebens nicht mehr für wert hielten; künstliche Blumen, Speisereste, Fruchtschalen, zerrissene schmutzige Wäsche, die das Reinigen nicht lohnte. Selbst mein Diener beklagte sich, als ich ihn Ordnung schaffen hieß, und doch war die eine schöner als ein Engel, und ihre ältere Schwester war zärtlicher als eine Mutter und malte ihr die Wangen täglich mit naiven Rosenfarben, damit ihr Antlitz außerdem auch noch so schön sei wie das der Bauernmuttergottes. Von den kleinen Schulmädchen, die oft kamen, wurden beide geliebt, und auch gegen mich, den Fremden, waren beide so gütig wie warme Kräuterkissen, als ich später erkrankte. Als ich aber einmal ihr Zimmer untertags betrat, um etwas zu verlangen, und beide im Bett lagen, und ich mich natürlich zurückziehn wollte, sprangen sie hilfsbereit unter den Decken hervor und waren völlig bekleidet; sogar die schmutzigen Straßenschuhe hatten sie im Bett an den Füßen behalten.

      Das war die Wohnung, in der ich stand, als ich dem Begräbnis zusah; eine dicke Frau war gestorben, die schräg meinen Fenstern gegenüber auf der andren Seite der breiten, hier etwas ausgebuchteten Reichsstraße wohnte. Zuerst brachten die Schreinerjungen den Sarg; es war Winter und sie brachten ihn auf einem kleinen Handschlitten, und weil es ein schöner Vormittag war, schlitterten sie mit ihren Nagelschuhen auf der Straße daher, und die große schwarze Schachtel hinter ihnen sprang von einer Seite zur andren. Jeder, der es sah, hatte das Gefühl, was für hübsche Jungen das sind, und blieb neugierig, ob der Schlitten umwerfen würde oder nicht.

      Nachmittags stand die Trauergesellschaft vor dem Haus, Zylinder und Pelzmützen, modische Hüte und winterliche Kopftücher; dunkel gegen das lichte Schneegrau des Himmels. Und die Geistlichkeit kam, schwarz und rot, und gezackte weiße Hemdchen darüber, quer über den Schnee. Und ein zottiger brauner, großer junger Hund sprang ihr entgegen und bellte sie an wie einen Wagen. Und wenn man es sagen darf, hatte er damit keine falsche Beobachtung ausgedrückt, denn tatsächlich war in diesem Augenblick weder Heiliges, noch selbst Menschliches in den Nahenden, sondern nur die schwierige Bewegung der mechanischen Seite ihrer Existenz auf dem glatten Straßenbelag.

      Dann aber wurde es überirdisch. Ein ruhiger Baß stimmte ein wunderholdes trauriges Lied an, in dem ich nur die fremden Worte für süße Marie verstand, ein hellbraun wie Kastanien schimmernder Barriton fiel ein, und noch eine Stimme, und ein Tenor schwang sich über alle hinweg, während gleichzeitig aus dem Haus ohne Ende Frauen mit schwarzen Tüchern quollen, die Kerzen vor dem Winterhimmel blaßgolden brannten, und die Geräte blitzten. Da mußte man weinen; aus keinem andren Grund, als weil man bereits ein Mensch über dreißig war.

      Vielleicht auch ein wenig, weil sich hinter der Trauergesellschaft die Buben pufften, oder weil der aufrechte junge Herr, dem der Hund gehörte, über alle Köpfe hinweg so regungslos nach den heiligen Hantierungen sah, ohne daß man wußte, warum. Denn so ängstlich voll mit Tatsachen, die nicht recht fest standen, war alles wie ein Porzellanschrank. Und während ich kaum mehr die Tränen zurückhalten konnte, bemerkte ich, daß der junge Herr eine Hand am Rücken hielt, und der große junge Hund mit ihr zu spielen begonnen hatte. Scherzend biß er an ihr herum und suchte sie mit seiner warmen Zunge aufzutaun. Mit qualvoller und atemloser Spannung wartete ich nun vorsichtig ab, was geschehen würde. Und endlich, nach einer langen Weile, während das Gesicht zu meiner Befriedigung nach wie vor gerichtet und weit weg blieb, begann sich die Hand hinter dem Rücken als selbständig zu erklären und fing mit dem Maul des Hundes zu spielen an, ohne daß es ihr Herr wußte.

      Das rückte mir die Seele wieder ins Lot, die damals, in jener ungewohnten Umgebung, auch ohne zureichende Gründe in Unordnung oder Ordnung geriet; und warm durchströmte mich die Vorstellung des Händedrucks, den mir nach dem Begräbnis meine Lehrerinnen sicher anbieten würden, zusammen mit einem Gläschen von ihrem Schnaps, denn das Unglück rückt die Menschen aneinander, wie sie dabei zu sagen pflegten.

      Fischer auf Usedom

[24. August 1922]

      Am Strand wird mit den Händen eine kleine Kute ausgehoben, und dahinein werden aus einem Sack mit schwarzer Erde die dicken Regenwürmer geschüttet; die lockere schwarze Erde und das Gewürm geben eine mulmige, ungewisse anziehende Häßlichkeit im blanken Sande. Neben sie wird eine Holzlade gelegt; sie sieht aus wie eine ordentliche, lange, nicht sehr breite Tischlade oder ein Zahlbrett voll mit sauberem Garn, und eine leere Lade wird auf die andere Seite gelegt; die hundert Haken, welche am Garn sitzen, sind manierlich auf eine kleine eiserne Stange am Ende der Lade gereiht und werden einer nach dem anderen heruntergenommen und in die andere Lade gebettet, deren Ende mit reinem nassen Sande gefüllt ist. Zwischendurch sorgen vier lange, magerkräftige Hände so sorgfältig wie Kinderfrauen dafür, daß auf jede Angel ein Wurm kommt.

      Zwei Männer hocken auf Knien und Fersen im Sande, mit mächtigen, knochigen Rücken, langen, gütigen Gesichtern, eine Pfeife im Mund, und unverständlichen Worten, die so sanft aus ihnen herauskommen, wie die Bewegungen ihrer Hände. Der eine nimmt einen fetten Regenwurm mit zwei Fingern, holt die gleichen zwei Finger der anderen Hand herzu und reißt ihn in drei Stücke, so sanft und präzise, wie ein Schuster das Papierband abknipst, nachdem er Maß genommen, während der andere diese sich bäumenden Stücke sanft und achtsam über die Angel stülpt. Ist

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