Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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frisch erhalten. Es ist ein stilles, feines Tun, wo die groben Finger leise wie auf den Zehen gehen. Man muß sehr auf die Sache achten. Der Himmel hat sich darüber blau emporgewölbt, und die Möven kreisen hoch über Land wie Schwalben.

      Die fliegenden Menschen

[24. Dezember 1922]

      Es gab eine Zeit, wo man auf einem bolzsteifen Pferdchen pedantisch genau im Kreise ritt und mit einem stockgeraden Stäbchen nach kupfernen Ringen stieß, die ein Holzarm im Vorbeifahren hinhielt. Diese Zeit ist vorbei. Heute trinken die Fischerjungen Sekt mit Kognak. Und es hängen an dreißig mal vier eisernen Kettchen kleine Schaukelbrettchen im Kreis, ein Kreis innen und einer außen, so, daß man sich, wenn man nebeneinander fliegt, an Hand oder Bein oder den Schürzen fassen kann und dazu fürchterlich schreit. Dieses Ringelspiel steht auf dem kleinen Platz mit dem Ehrenstein für die gefallenen Krieger, neben der alten Linde, wo sonst die Gänse sind. Es hat einen Motor, der es zeitgemäß antreibt, und kalkweiße Scheinwerfer über vielen kleinen warmen Lichtern. Der Wind wirft, wenn man in der Dunkelheit nähertappt, Fetzen von Musik, Leuchten, Mädchenstimmen und Lachen einem entgegen. Das Orchestrion brüllt schluchzend. Die Eisenketten kreischen. Man fliegt im Kreis, aber außerdem, wenn man will, aufwärts oder hinab, auswärts und einwärts, einander in den Rücken oder zwischen die Beine. Die Burschen peitschen ihre Schaukeln an und kneifen die Mädel, an denen sie vorbeifliegen, ins Fleisch oder reißen die Aufschreienden mit sich; auch die Mädel haschen einander im Flug und dann schreien sie zu zweit erst recht so, als ob eine ein Mann wäre. So schwingen sie alle durch die Kegel der Helle ins Dunkle und werden plötzlich wieder in die Helligkeit gestürzt: anders gepaart, mit verkürzten Leibern und schwarzen Mündern, rasend bestrahlte Kleiderbündel, fliegen sie auf dem Rücken oder auf dem Bauch oder schräg gegen Himmel und Hölle. Nach einer ganz kleinen Weile diesen wildesten Galopps fällt das Orchestrion rasch in Trab, dann in Schritt zurück wie ein altes Manegepferd und steht schnell still. Der Mann mit dem Zinnteller geht im Kreis, aber man bleibt sitzen oder wechselt höchstens die Mädchen. Und es kommen nicht wie in der Stadt ein paar Tage lang zu dem Ringelspiel wechselnde Menschen, denn es fliegen hier immer die gleichen, vom Einbruch der Dunkelheit an, zwei bis drei Stunden, durch alle acht oder vierzehn Tage hindurch, solange, bis der Mann mit dem Zinnteller ein Nachlassen der Lust fühlt und eines Morgens weitergezogen ist.

      Schafe auf einer Insel

[März 1923]

      Sie haben die langen Gesichter und zierlichen Schädel von Märtyrern. Irgendwie schwarze Kapuzen und Socken der Fanatiker oder Todesbrüder.

      Ihre Lippen, wenn sie über dem kurzen, spärlichen Gras suchen, zittern nervös und stäuben den Ton einer erregten Metallsaite in die Erde. Schließen sich ihre Stimmen zum Chor, so klingt es wie das klagende Gebet der Prälaten im Dom von St. Peter. Singen aber ihrer viele, so bilden sie einen Männer-, Frauen-und Kinderchor. In sanften Rundungen heben und senken sie die Stimmen; wie ein Wanderzug im Dunkel, den in jeder zweiten Sekunde das Licht trifft, und es stehn dann die Stimmen der Kinder auf einem immer wiederkehrenden Hügel, während die Männer das Tal durchschreiten. Tausendmal schneller rollen Tag und Nacht durch ihren Gesang und treiben die Erde dem Ende entgegen. Manchmal wirft sich eine einzelne Stimme empor oder stürzt hinab in die Angst der Verdammnis. In den weißen Ringeln ihrer Haare wiederholen sich die Wolken des Himmels. Es sind alte katholische Tiere, uralte metaphysische Begleiter des Menschen. Er ist zwischen ihnen doppelt so groß als sonst und ragt wie der spitze Turm einer Kirche gegen Himmel. Unter seinen Füßen ist die Erde braun, und das schüttere Gras ist wie eingekratzte graugrüne Striche. Die Sonne glänzt schwer am Meer wie in einem Spiegel von Blei. Boote sind beim Fischfang wie zu St. Petri Zeiten. Das Kap schwingt den Blick wie ein Laufbrett zum Himmel und bricht lohgelb und weiß wie zur Zeit des verirrten Odysseus ins Meer.

      Die Schafe sind ängstlich und blöd, wenn der Mensch kommt; sie haben Steinwürfe und Schläge des Übermuts kennen gelernt. Aber wenn er ruhig stehen bleibt und in die Weite starrt, vergessen sie ihn. Sie stecken die Köpfe zusammen und bilden, zehn oder fünfzehn, einen Strahlenkreis, mit dem großen schwarzen Mittelpunkt der Köpfe und den Strahlen der Rücken. Die Schädeldecken pressen sie fest gegeneinander. So stehn stundenlang sie und der Mensch in der hohen Kapsel von Himmel und Meer, und das Blut pocht gegen die kleine Knochenkapsel ihrer Schädel. Immer lächerlicher, trauriger und unerträglicher wird der Sekundenschlag der Unendlichkeit.

      Wie spritzt das Blut, wenn der Mensch, um sich von solcher Gesellschaft zu befreien, nach einem Tier greift und es schlachtet! Sein Herz wird wieder groß und hart. Aber die übrigen Herzen setzen den Wanderzug fort, Hügel auf und ab im Dunkel, uralte Begleiter des Menschen; sie haben die weißen Felle übergeworfen, und aus den schwarzen Hauben des Todes spähn ihre unergründlichen Augen nach Futter.

      Der Malsteller

[1. Juli 1923]

      Wenn man durch mehrere Jahre gezwungen ist, Gemäldeausstellungen zu besuchen, so muß man eines Tages den Begriff Malsteller erfinden. Er verhält sich zum Maler wie der Schriftsteller zum Dichter. Das Wort bringt Ordnung in verwirrte Erscheinungen. Es leben die Schriftsteller seit Beginn unserer Zeitrechnung von der Umstellung der zehn Gebote Gottes und einigen Fabeln, welche ihnen die Antike überliefert hat; die Hypothese ist daher schon an sich nicht unwahrscheinlich, daß auch die Malerei nur von zehn malerischen Grundeinfällen lebt, und das ist gar nicht wenig. Denn wenn man diese zehn Einfälle richtig variiert, das heißt, in wechselnder Reihenfolge anwendet, so gibt das 3,628.800 verschiedene Kombinationen. Man kann also viele Kilometer Bilderwände zurücklegen und zählen: 1, 2, 3, 4, 5 …; 2, 1, 3, 4, 5 .. 3, 2, 1, 4, 5 … usw.: es ist jedesmal etwas anderes und doch immer das Gleiche.

      Bestätigt wird das durch den Eindruck, den die Bilderausstellungen machen. Es scheint nämlich, daß es ungefähr nach der ersten Million den Malstellern selbst zu dumm wird, und sie wechseln dann die Richtung. Was eine «Richtung» ist, sieht man auf den ersten Blick, wenn man in einen Ausstellungssaal eintritt. Man würde es viel schwerer erkennen, wenn man vor ein einzelnes Bild träte; aber von der Tür aus erkennt man mühelos, daß die ganze Wand eine einheitliche Tapete ist. Die Richtungen unterscheiden sich dann nur durch das Tapetenmuster. Ich will den Malstellern damit nicht nahetreten, sie geben rechtschaffene Arbeit, können viel und sind durchaus Individualitäten. Aber die Statistik ebnet das ein.

      Einen Nachteil haben die Malsteller überhaupt: daß sie offen an der Wand hängen; Bücher haben den Vorteil, daß sie eingebunden und unaufgeschnitten sind, dadurch bleiben sie länger berühmt. Dafür haben aber die Malsteller den Vorteil, daß sie «gefragt werden» und «notieren». Wenn es den Kunsthandel nicht gäbe, wie schwer wäre es zu unterscheiden, ob einem 1, 2, 3 oder 2, 1, 3 besser gefällt! Christus hat seinerzeit die Händler aus dem Tempel getrieben; ich bin aber überzeugt: wenn man den rechten Glauben besitzen könnte, dann könnte man ihn auch verkaufen, dann könnte man sich auch mit ihm schmücken, und dann gäbe es sehr viel mehr Glauben in der Welt als jetzt. Ein anderer Vorzug der Malerei ist ihre Technik. Schreiben kann jedermann. Malen kann zwar auch jedermann, aber man weiß es nicht so. Man erfindet Techniken, um es zu verheimlichen. Denn so malen wie ein anderer: das kann nicht jedermann; das muß man studiert haben. Die mit Recht jetzt beliebten Zeichnungen der Volksschulkinder würden in der Akademie durchfallen, wogegen der umlernende Akademiker viel Mühe darauf verwenden muß, um sich an Stelle seiner Konvention das kindliche Zeichnen anzueignen. Es ist ein historischer Irrtum zu glauben, daß die Meister Schule machen, die Schüler machen sie.

      Genauer betrachtet, ist es aber gar nicht wahr, daß jedermann schreiben kann; im Gegenteil, niemand kann es, jeder schreibt bloß ab und mit. Es ist unmöglich, daß ein Gedicht von Goethe heute auf die Welt käme, und wenn es durch ein Wunder dennoch geschähe, so wäre das herrliche alte ein anachronistisches, unbegreifliches, ja schlechtes neues Gedicht, und zwar offenbar aus keinem anderen Grund, als weil es von keinem zeitgenössischen Gedicht abgeschrieben ist. Gleichzeitigkeit ist immer Abschreiben. Unsere Ahnen schrieben Prosa in langen, schön wie Locken gedrehten Sätzen, wir – obgleich auch wir es noch in der Schule so gelernt haben – tun es in kurzen, die Sache rasch zu Boden setzenden,

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