Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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wie wenn man einen Fächer öffnet und schließt. Wer ihm das nicht glaubt, der kann es nachprüfen! Er braucht nur eine Wohnung dazu, auf die eine Straßenbahn in S-förmiger Schleife zukommt.

      Sobald diese Entdeckung gemacht war, sah sich der Entdecker natürlich die Frauen an. Und da enthüllte sich ihm die ganze Unverwüstlichkeit des Kuppelbaus. Was rund ist an der Frau und heute so sorgfältig verheimlicht wird, daß es bloß als kleine rhythmische Unebenheit im knabenhaften Fluß der Bewegung erscheint, wölbt sich in der Einsamkeit des Binokels zum steinernen stillen Kreis voll hochgehobenen Schweigens. Unerwartet viel Falten öffneten und schlossen sich aufgeregt ringsum im Kleid; sie drückten das Lob des Schneiders aus, alle möglichen öffentlichen und verborgenen Arten der Bewegung, Unwillkürlichkeiten, lüsternes Gewisper, deuteten Geheimnisse an; jede Frau wurde eine psychologisch belauschte Susanna im Bade des Kleides. Aber das merkwürdigste daran war doch, wie boshaft sich in der Ruhe des Triëderblicks dieses kennerhafte verfeinerte Verhalten ausnahm; es glich nur einem Gefackel und Geflacker zwischen ewigen, gleichbleibenden Werten, die keine Psychologie brauchen.

      Genug davon! Das beste Mittel gegen einen anzüglichen Mißbrauch dieses weltanschaulichen Werkzeugs ist es, an seine Theorie zu denken. Sie heißt Isolierung. Man sieht Dinge immer samt ihrer Umgebung an und hält sie gewohnheitsmäßig für das, was sie darin bedeuten. Heben sie sich aber einmal heraus, so sind sie schrecklich und unverständlich, wie es der erste Tag nach der Weltschöpfung gewesen sein muß, ehe sich die Erscheinungen aneinander und an uns gewöhnt hatten. Sie werden zwar auch deutlicher und größer unter dem Blick des Triëders, aber das ist nur eine Hilfe; vor allem werden sie ursprünglicher und bestialischer. Wie schön ist bekanntlich ein hoher Herrenhut, wenn er mit seinem geschweiften Glanz eine männliche Gestalt krönt, eins mit dem Ganzen des Mannes von Welt und Macht, durchaus ein nervöses Gebilde, vielleicht sogar Sitz des Willens, und zu welcher rohen Verkehrtheit entartet er auf dem Menschenleib, wenn vom Triëder dieser Zusammenhang durchschnitten wird, der nur aus Einbildung besteht. Wie sonderbar gestört wird das Gleichgewicht einer Frau, wenn man sie vom Rocksaum aufwärts als eine Einheit sieht und darunter zwei kurze, geknickt aus den Knien kommende Stelzchen. Wie beängstigend wird das Zähnefletschen der Liebenswürdigkeit und wie säuglingshaft komisch der Ausdruck des Zorns, wenn sie einsam und unschädlich hinter der Isolierschicht des Glases stecken. Zwischen unseren Kleidern und uns und zwischen unseren Manieren und uns besteht ein verwickeltes moralisches Kreditverhältnis, in welchem wir ihnen erst alles leihen, was sie bedeuten, und es uns dann mit Zinseszins von ihnen wieder ausborgen; darum sind wir immer abhängig von ihnen und in dem Augenblick wo wir ihnen den Kredit kündigen wollten, würden wir uns selbst bankerott fühlen.

      Da sind zum Beispiel die vielbelächelten Torheiten der Mode, die den Menschen ein Jahr lang verlängern und in einem anderen Jahr verkürzen, die ihn dick machen und dünn, die ihn bald oben breit und unten schmal, bald oben schmal und unten breit machen, die in einem Jahr alles an ihm empor und im nächsten alles an ihm bergab streichen, die seine Haare nach vorn und hinten, rechts und links kämmen. Sie stellen, ohne Mitfühlen betrachtet, eine überraschend geringe Zahl von geometrischen Möglichkeiten dar, zwischen denen auf das leidenschaftlichste abgewechselt wird, ohne diese Überlieferung durch etwas ganz Neues zu durchbrechen. Nimmt man die paar Moden der Haltung, des Gehens und Sprechens, des Handschlags und Lächelns hinzu, so erscheint das in seiner Gesamtheit dem vom Triëder geübten Auge nicht anders wie ein Pferch, zwischen dessen wenigen Wänden die Menschenherde besinnungslos hin und her stürzt. Und doch, wie willig folgen wir dabei den Führern, die eigentlich nur erschrocken voranfliehen, und welches Glück grinst uns aus dem Spiegel entgegen, wenn wir Anschluß haben, aussehen wie alle, und alle anders aussehen als gestern. Offenbar befürchten wir mit Grund, daß unsere Eigenschaften wie ein Pulver auseinanderfallen würden, wenn wir sie nicht in solche Tüten stecken könnten.

      Im Triëder kann man sie zum Auseinanderfallen bringen, aber auch das Umgekehrte geschieht, daß unbeachtete Eigenschaften den Zusammenhang offenbaren, den sie mit dem Ganzen haben. Um von nichts Schwierigerem als von den Füßen zu reden, wie unheimlich sind sie an Mann und Frau! Man weiß ja einiges davon schon aus dem Kino, wo berühmte Helden und Heldinnen eilig aus dem Hintergrund hervorwatscheln wie Enten. Aber das Kino ist ja noch voll Illusion. Viel besser sieht man durchs Triëder, wie die Beine sich oben von den Hüften abstoßen und wie sie unten auf Absatz und Sohle landen; das schwankt nicht nur und kommt mit der Ferse voran an, sondern vollführt in neun von zehn Fällen dabei die aufschlußreichsten persönlichen Grimassen. Der Mann, welcher das Triëdern entdeckte, hatte kaum einen jungen Kavalier mit Sportkappe aufs Korn genommen, dessen Socken wie der Hals einer Ringeltaube gestreift waren, als er bemerkte, wie dieser sicher neben seinem Mädchen durchs Leben Schlendernde bei jedem seiner langsamen Schritte mit einem angestrengten winzigen Ruck das Bein aus dem Stand schleuderte; nicht das Mädchen, nicht er, kein Arzt, kein Mensch ahnte noch das Grauen, das ihm bevorstand; aber das Triëder, indem es die kleine Gebärde aus der Harmonie der Feschheit herauslöste, zeigte die Zukunft. An einem freundlichen, rundlichen Mann in den besten Jahren, der rasch daherkam, war mit freiem Auge nichts zu bemerken gewesen als eine wohlwollende, sanguinische Art des Gehens; nach einem Schnitt durch die Mitte, der die Beine herauspräparierte, kam hervor, daß der Fuß ganz scheußlich einwärts und gekantet aufgesetzt wurde; nun pendelten auch die Arme dünn aus den Schulterpfannen, die Schultern zogen am Hals, und statt eines Ganzen des Wohlwollens war mit einem Male ein eigensinniges menschliches System da, das nur mit Mühe darauf bedacht war, sich selbst zu behaupten, und gar nichts für andere übrighatte.

      So ging es fort. Es zeigte sich, daß ein Fernglas ebenso gut zum Verständnis des einzelnen Menschen beiträgt wie zu einer tiefen, und wenn man so sagen darf, stuporösen Verständnislosigkeit für das Menschsein. Da sagte sich der Mann mit dem Glas: das Triëder, indem es alle gewohnten Zusammenhänge zerstört, ersetzt eigentlich das Genie oder ist wenigstens eine Vorübung dazu. Aber weil er ein bescheidener Mann war, legte er es in diesem Augenblick wieder in den Kasten zurück.

      Indes, wenige Menschen sind heute so unsinnig bescheiden wie er. Und weil es als Folge davon ohnedies schon viele Reformpläne gibt, die den Menschen schöner, weiser, intuitiver, seelenvoller, schwingender, dynamischer, rapider und wesentlicher machen sollen, darf wohl auch dieser empfohlen werden.

      Unter Dichtern und Denkern

[13. November 1926]

      Ich erinnere mich, seit Jahren selten ein Buch zu Ende gelesen zu haben, außer es war ein wissenschaftliches oder einer jener ganz schlechten Romane, in denen die Augen stecken bleiben, als ob man einen großen Teller in Schnaps getränkter Makkaroni hinunterschlingen würde. Wenn ein Buch aber wirklich eine Dichtung ist, kommt man selten über die Hälfte; mit der Länge des Gelesenen wächst in steigenden Potenzen ein bis heute unaufgeklärter Widerstand. Es ist nicht anders, als ob die Pforte, durch die ein Buch eintreten soll, sich krampfhaft gereizt fühlte und eng verschließen würde. Man befindet sich, wenn man ein Buch liest, alsbald in keinem natürlichen Zustande mehr, sondern glaubt sich einer Operation unterworfen. Man fühlt, jetzt wird ein Nürnberger Trichter an den Kopf gesetzt, und ein fremdes Individuum versucht, seine Herzens-und Gedankenweisheit einem einzuflößen; eigentlich kein Wunder, daß man sich diesem Zustand entzieht, sobald man nur kann!

      Man sagt, die Bücher seien schuld daran, und die deutschen Schriftsteller könnten nicht schreiben. Das ist eine liebenswürdige und einleuchtende Hypothese. Aber wie alle Hypothesen hüllt sie eine Tatsache in einen Überschuß ein, und wenn man sich nackt an die Wahrheit halten will, so vermag man nicht mehr festzustellen, als daß die deutschen Leser nicht mehr lesen können. Das ist das einzige, was feststeht und wovon man ausgehen kann. Alles andere ist äußerst unklar. Es ist auch unklar, wer und was die Schuld hat. Darum ist es päßlich, sich wohl oder übel vorerst umzusehen, wie eigentlich ein Mensch liest, der heute am Lesen von Büchern keine Freude empfindet und dennoch seine Zeit an Bücher abgibt? Wir wollen aber unter Mensch nicht die glückseligen Opfer der Literatur in Fortsetzungen verstehen, unter denen noch wirkliche Leseleidenschaft wütet, sondern nur solche Menschen, welche mit jenem Ernste lesen, mit dem man einen Parteivorstand wählt oder den Namen für den erstgeborenen Sohn.

      Wenn

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