Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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ist von der alten Sage übrig geblieben. Das Zeitalter des gebildeten Bürgers bewahrte von der wilden, jungen Raubfrau, welche danach brennt, ihre Pfeilspitze hinter Mannesrippen zu landen, bloß das moralische Beispiel, wie sich unnatürliche Triebe wieder in natürliche verkehren, und außerdem höchstens kümmerliche Reste in den Theatern, Kinos und Erzählungen sechzehnjähriger Lebemänner, wo das dämonische Weib, die Salonschlange oder der sinnliche Vampyr von fern an ihre männermordenden Vorgängerinnen erinnern.

      Aber die Zeiten sind in ewigem Fluß. Es soll nicht von weiblichen Bureauvorstehern gesprochen werden, um die sich der männliche Untergebne rankt wie der bescheidene Efeu um die starke Eiche, denn es gibt Geschichten, die dem Mittelpunkt der männlichen Eitelkeit näher liegen. Da wohnte zum Beispiel der berühmte Chemiker Kratochwil vor einiger Zeit einer Versammlung bei, wo die Opposition unter weiblicher Führung stand. Es war nicht gerade eine politische Versammlung, aber immerhin eine von jenen, wo der neue geistige Weltzug seinen Zusammenstoß mit dem alten hat. Kratochwil, als verdienstreicher Mann, saß bequem in den Polstern des alten. Er war nicht im geringsten gelaunt, sich für Weltanschauungen zu ereifern, und begrüßte das Auftreten der Damen zunächst nur als eine Abwechslung. Während sie oben redeten, sah er unten ihre Füße in den Halbschuhen an. Aber dann fesselte ihn eine Einzelheit: er hörte sie sagen, die Herren von der Mehrheit seien Esel. Sie sagten es in einer reizenden Weise; nicht gerade mit diesem Wort, wohl aber ungefähr mit diesem Grad von Achtung. Wenn die eine sich niedersetzte, stand ausgeruht die andere auf und wiederholte es. Auf ihrer Stirn bildeten sich vor Ärger und Anstrengung kleine lotrechte Falten; ihre Handbewegungen waren pädagogisch, wie wenn man Kindern auseinandersetzen muß, wie denkfaul sie seien; und die Sätze wurden sorgfältig vom Mund gegliedert, wie von einem geschulten Koch, der Fasanen zerlegt.

      Der berühmte Chemiker Kratochwil lächelte; er war kein Esel, er stand über der Situation, er durfte sich ihrem Reiz vorurteilslos hingeben; bei der Abstimmung würde sich ja schon zeigen, was er für richtig halte. Aber er warf zufällig einen Blick auf die anderen Herren von der Mehrheit. Sie saßen bocksteif wie die Weibchen, denen ein Mann den überwältigenden Zauber der Logik beibringen will, wogegen sie keine andere Waffe haben, als nach jedem neuen Schluß zu erwidern: Ich will aber nicht! Da fühlte Kratochwil, daß es ihm eigentlich gar nicht anders erging. Er betrachtete tändelnden Sinns Beine und Fingerspitzen, Mundfalten oder Bewegung des Leibes, währenddessen er hören mußte, daß sein Wille eingeschlafen und seine Intelligenz die eines dicken Bürgers sei, der sich nicht gern bewege. Nun geschah das, was allerdings nicht immer geschieht, Kratochwil fühlte sich halb überzeugt. Wenn er an seinen chemischen Ruhm dachte, so kam er sich vor wie eine brave Hausfrau, die daheim mit Fläschchen und Töpfchen am Herd hantiert, während diese Damen auf schäumendem Roß durch die Welt sprengten. Mit einer käthchenhaften Begeisterung folgten seine Gedanken den wilden Taten ihres Geistes. Gewiß, er konnte eine Menge besonderer Dinge herstellen, aber was nützte ihm das in solchen allgemeinen Fragen, deren Unsicherheit einen – beinahe hätte er gesagt, einen ganzen Mann brauchte?! Schon fand er, daß strenge Einwände des Verstandes nur ängstlich seien.

      Was ihn im Gleichgewicht hielt, war, daß auf der Gegenseite auch Männer aufstanden, die zusammenhangloses Zeug redeten. Dann richteten sich seine Stacheln wieder auf. Die Versammlung wurde stellenweise bewegt, und keiner ließ den anderen ausreden. In diesem wirren Männergeschrei schwiegen die Rednerinnen lächelnd, und es schien, daß sie ein Zeichen gaben. Dann erhob sich jedesmal ein fett-kräftiger junger Mann mit großem Gesicht und dichtem Haar und entfaltete ein wahres Phänomen von Stimme, deren Zwischenrufe wenig Vernunft hatten, aber mit einem Satz zwanzig feindliche Stimmen über den Haufen fegten, so daß man die Rednerinnen wieder hörte. – Ah, ein Mann! – dachte Kratochwil anfangs geschmeichelt. Aber wie er sich das in der Stimmung, in der er sich nun einmal befand, näher überlegte, fand er, daß eine starke Stimme doch auch nur etwas Sinnliches sei, wie in seiner Jugendzeit ein langer Zopf oder ein üppiger Busen. Kratochwil fühlte sich von diesen Gedanken, die auf einem ihm ganz ungewohnten Gebiet lagen, müde. Er hatte nicht übel Lust, seine Partei im Stich zu lassen und sich aus der Versammlung zu schleichen. Dunkle Gymnasialerinnerungen bewegten ihn: die Amazonen? – Verkehrte Welt! – dachte er. Aber dann dachte er auch: Ganz eigentümlich ist es, sich einmal eine verkehrte Welt vorzustellen. Es bereitet eine gewisse Abwechselung. Er richtete sich an diesen Gedanken auf; eine gewisse Kühnheit lag in ihnen, eine freimütige männliche Neugierde. – Wie dunkel ist die Zukunft der Zivilisation! – dachte er. – Ich bin ein Mann, aber das wird bald etwas sehr Weibliches bedeuten. Und als die Abstimmung kam, stimmte er trotzdem für die Reaktion.

      Die Opposition unterlag; die Versammlung war zu Ende. Mit bewegtem Gewissen suchte Kratochwil den Blick seiner konsequenten Gegnerinnen. Aber diese legten eben frischen Puder auf und hatten ihre kleinen silbernen Spiegel hervorgezogen. Mit der gleichen Sachlichkeit, wie sie vorhin mörderische Worte gesprochen hatten, taten sie es. Bloß niedliche Männerköpfe machen sich unnütze Gedanken.

      Einige Schwierigkeiten der schönen Künste

[1. Mai 1927]

      Da wäre von allen Schwierigkeiten doch gleich die zu nennen, daß auf eine Umdrehung des Lebens mindestens fünf Umdrehungen der Kunst kommen. Betrachtet man als nächstliegendes Beispiel die letzten hundert Jahre, so sieht man die gesamte Gegenwart in einer glatten, ununterbrochenen Bewegung aus der Vergangenheit heraussteigen, während zum Beispiel die Dichtung in der gleichen Zeit klassisch, romantisch, epigonisch, impressionistisch und expressionistisch war. (Kleinigkeiten wie Büchner, Grillparzer, Hebbel nicht zu rechnen.) Es ist leichter vorauszusagen, wie die Welt in hundert Jahren aussehen wird, als wie sie in hundert Jahren schreiben wird. Nicht einmal hinterdrein kann man das prophezeien. Denn wenn man etwa, wie das ja zuweilen vorkommt, ein Theaterstück oder einen Roman wiedersieht, die vor zwanzig Jahren die Seelen mitgerissen haben, so erlebt man etwas, das eigentlich noch kein Mensch erklärt hat, weil es scheinbar jeder für natürlich hält: der Glanz ist weg, die Wichtigkeit ist weg, Staub und Motten fliegen bei der Berührung auf. Aber warum das so sein muß und was sich da eigentlich geändert hat, weiß niemand. Die Komik aller Kunstjubiläen besteht darin, daß die alten Bewunderer so feierlich beunruhigte Gesichter machen, als ob ihnen der Kragenknopf hinter die Hemdbrust gerutscht wäre.

      Es ist nicht das gleiche, wie wenn man einer alten Jugendgeliebten begegnet, die mit den Jahren nicht schöner geworden ist. Denn dann begreift man zwar auch nicht mehr, was man einstens gestammelt hat, aber das hängt wenigstens mit der rührenden Vergänglichkeit alles Irdischen und dem bekannt unanständigen Charakter der Liebe zusammen. Aber eine Dichtung, die man wiedersieht, ist wie eine Jugendgeliebte, die zwanzig Jahre lang in Spiritus gelegen ist, so daß sich an ihr nicht ein Haar und nicht eine Schuppe der rosigen Epidermis geändert hat. Ein Schauer faßt dich an! Denn, da sie sich in nichts geändert hat, erscheint dir alles, wie wenn du dich bloß zweimal rasch umgedreht hättest, ohne auch nur das Gespräch zu unterbrechen, und dennoch kannst du im selben Augenblick weder dich, noch sie wiedererkennen! Das ist doch wohl um einen Grad unheimlicher.

      Es ist auch nicht so, wie man sonst den Gespenstern alter Erregungen und Begeisterungen begegnet; Feinden, Freunden, durchlärmten Nächten, überstandenen Leidenschaften. Dies alles ist samt seinen Bedingungen versunken, wenn es vorbei ist; es hat irgend einen Zweck erfüllt und ist von der Erfüllung aufgesogen worden; es war eine Strecke des Lebens oder eine Stufe der Person. Aber die gewesene Kunst diente zu nichts, ihr Einst hat sich unmerklich verloren und verlaufen, sie ist niemandes Stufe. Denn fühlt man sich wirklich höher stehen, wenn man auf das einst Bewunderte herabblickt? Man steht nicht höher, sondern bloß anderswo! Ja, ehrlich gesagt, wenn man auch vor einem älteren Bild mit befriedigtem Gähnen feststellt, daß man nicht mehr begeistert zu sein braucht, so ist man noch lange nicht begeistert davon, daß man nun die neuen bewundern muß. Man fühlt sich bloß von einem neurotischen Zwang in den nächsten geraten, was keineswegs ausschließt, daß man sich höchst freiwillig und aktiv gebart; Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit sind ja nicht durchaus Gegensätze, man kann etwas halb unfreiwillig tun und dafür die freiwillige Hälfte sozusagen verdoppeln, so daß man schließlich das Freiwillige unfreiwillig übertreibt oder das Unfreiwillige freiwillig, was fast schon das gleiche ist.

      Dennoch

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