Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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dies endlich erkannt zu haben.

      Um aber zu unserem Kranken zurückzukehren: er gesundete natürlich. Der Arzt sagte zu ihm: «Kritisieren Sie, so viel Sie wollen; üble Laune ist ein Zeichen der Genesung.» – «Das kann man eigentlich gut verstehen» – dachte der Patient melancholisch. Er hatte längst aufgehört, sich nach Wald, großen Gläsern mit kühlen Getränken, nach säuselndem Wind, Gesang, Haselnüssen, Sauerampfer, behaglichem Reichtum und natürlichen Menschen zu sehnen. Aber die Sehnsucht nach dieser Sehnsucht lag noch winzig klein in ihm wie am Ende von unendlich vielen Jahren.

      Denkmale

[10. Dezember 1927]

      Denkmale haben außer der Eigenschaft, daß man nicht weiß, ob man Denkmale oder Denkmäler sagen soll, noch allerhand Eigenheiten. Die wichtigste davon ist ein wenig widerspruchsvoll; das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, daß man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgendetwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert, und diese rinnt Wassertropfen-auf-Ölbezug-artig an ihnen ab, ohne auch nur einen Augenblick stehen zu bleiben. Man kann monatelang eine Straßen gehen, man wird jede Hausnummer, jede Auslagenscheibe, jeden Schutzmann am Weg kennen, und es wird einem nicht entgehen, wenn ein Zehnpfennigstück auf dem Gehsteig liegt; aber man ist bestimmt jedesmal sehr überrascht, wenn man eines Tages nach einem hübschen Stubenmädchen ins erste Stockwerk schielt und dabei eine metallene, gar nicht kleine Tafel entdeckt, auf der in unauslöschlichen Lettern eingegraben steht, daß an dieser Stelle von achtzehnhundertsoundsoviel bis achtzehnhundertundeinigemehr der unvergeßliche Soodernichtso gelebt und geschaffen habe. Es geht vielen Menschen selbst mit überlebensgroßen Standbildern so. Man muß ihnen täglich ausweichen oder kann ihren Sockel als Schutzinsel benützen, man bedient sich ihrer als Kompaß oder Distanzmesser, wenn man ihrem wohlbekannten Platz zustrebt, man empfindet sie wie einen Baum als Teil der Straßenkulisse und würde augenblicklich verwirrt stehen bleiben, wenn sie eines Morgens fehlen sollten, aber man sieht sie nie an und besitzt gewöhnlich nicht die leiseste Ahnung davon, wen sie darstellen, außer daß man vielleicht weiß, ob es ein Mann oder eine Frau ist.

      Man darf sich durch einige Ausnahmen nicht täuschen lassen. Etwa durch jene paar Standbilder, die der Mensch mit dem Baedeker in der Hand suchen geht, wie den Gattamelata oder den Colleone, was eben ein ganz besonderes Verhalten ist; oder durch Gedenktürme, die eine ganze Landschaft versperren; oder durch Denkmäler, die einen Verein bilden, wie die über ganz Deutschland verbreiteten Bismarckdenkmale; oder endlich durch die Siegesallee in Berlin, welche so unvergeßlich bleibt, weil eine Postenkette aus Marmor sonst nirgends in der Kriegsgeschichte vorkommt. Solche energische Denkmäler gibt es; und dann gibt es auch noch die, welche Ausdruck eines lebendigen Gedankens und Gefühls sind; aber der Beruf der meisten gewöhnlichen Denkmale ist es wohl, ein Gedenken erst zu erzeugen oder die Aufmerksamkeit zu fesseln und den Gefühlen eine fromme Richtung zu geben, weil man annimmt, daß es dessen einigermaßen bedarf, und diesen ihren Hauptberuf verfehlen Denkmäler immer. Sie verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten. Man kann nicht sagen, wir bemerken sie nicht; man müßte sagen: sie entmerken uns, sie entziehen sich unseren Sinnen: es ist eine durchaus positive, zur Tätlichkeit neigende Eigenschaft von ihnen!

      Nun, man kann das ohne Zweifel erklären. Alles Beständige büßt seine Eindruckskraft ein. Alles, was die Wände unseres Lebens bildet, sozusagen die Kulisse unseres Bewußtseins, verliert die Fähigkeit, in diesem Bewußtsein eine Rolle zu spielen. Ein lästiges dauerndes Geräusch hören wir nach einigen Stunden nicht mehr. Bilder, die wir an die Wand hängen, werden binnen wenigen Tagen von der Wand aufgesogen; es kommt äußerst selten vor, daß man sich vor sie hinstellt und sie betrachtet. Bücher, die man halb gelesen in die prächtigen Bändereihen der Bibliothek einstellt, liest man nie mehr zu Ende. Ja, es genügt bei sensiblen Personen, daß sie ein Buch, dessen Anfang ihnen gefallen hat, kaufen, und sie werden es nie wieder in die Hand nehmen. In diesem Fall wird der Vorgang schon aggressiv; man kann seinen unerbittlichen Ablauf aber auch an höheren Gefühlen verfolgen, und dann ist er es immer, zum Beispiel im Familienleben. Wenn man den Klagen der Gattinnen glauben darf, wollen die Männer das nicht bemerken, was sie besitzen; sie achten nicht auf die Toiletten und Frisuren, die ihnen ehelich zu eigen sind, während sie auf die kleinsten Veränderungen im Aussehen der Frauen anderer sogleich reagieren. Und wer hätte noch nicht die ganz ähnliche Klage aller Eltern gehört, daß ihre undankbaren Kinder die Liebe nicht fühlen, von der sie täglich umgeben sind? – Du behandelst mich «wie Luft»! – klagen die Treuen. – Luft ist leider etwas nicht sehr Sichtbares, aber sie ist etwas sehr Wichtiges und Unentbehrliches – könnten die Ungetreuen erwidern. – Wenn ich tot bin, wirst du schon merken, was dir fehlt! – sagen die Unwandelbaren. – Könnten wir nicht einmal jeder allein reisen, um einen kleinen Vorschuß auf die ewige Trennung zu nehmen? – entgegnen die Wandelbaren. – Das Beständige verliert eben seinen Wert! – seufzen die Beständigen. – Es verliert ihn nicht! Es verändert ihn bloß und gewinnt einen neuen! – versichern die Unbeständigen. – Du liebst mich nicht mehr! – sagen die Gekränkten. – Die ökonomische Ausnützung meiner nervösen Kräfte fordert von mir – erwidern die anderen –, daß ich das, was sich ein für allemal erledigen läßt, nicht jeden Tag neu erledige! – So scheidet sich mit dem Satze: Muß ich dir denn in jeder Viertelstunde erneut sagen, daß ich dich liebe?! – unzähligemal die unlösliche eheliche Zusammengehörigkeit von der flatterhaften Lust. Und in welch erhöhtem Maße müssen sich diese psychologischen Nachteile, denen das Beständige ausgesetzt ist, bei Erscheinungen aus Erz und Marmor geltend machen!

      Wenn man es gut mit Monumenten meint, muß man daraus unerbittlich den Schluß ziehen, daß sie einen wider unsere Natur gerichteten Anspruch an uns stellen und zu seiner Erfüllung ganz besonderer Anstalten bedürfen. Wollte man die Warnungstafeln für Kraftwagen so diskret einfarbig ausgestalten wie Denkmale, so wäre das ein Verbrechen. Auch die Lokomotiven pfeifen schrille und keine versonnenen Klänge, und selbst den Briefkästen gibt man eine auffallende Farbe. Mit einem Wort, auch Denkmäler sollten sich heute, wir wir alle, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehen und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen. – Wenn man erst diesen Gedanken erfaßt hat – der sich dank gewisser Strömungen in Kunst und Journalistik langsam durchzusetzen beginnt – erkennt man, wie rückständig unsere Denkmalskunst ist, verglichen mit der zeitgenössischen Entwicklung des Anzeigenwesens. Warum greift der in Erz gegossene Held nicht wenigstens zu dem anderwärts längst überholten Mittel, mit dem Finger an eine Glasscheibe zu klopfen? Weshalb drehen sich die Figuren der Marmorgruppe nicht umeinander, wie es bessere Figuren in den Geschäftsauslagen tun, oder klappen wenigstens die Augen auf und zu? Das Mindeste, was man verlangen dürfte, um die Aufmerksamkeit zu erregen, wären bewährte Aufschriften wie «Goethes Faust ist der beste!» oder «Die dramatischen Ideen des bekannten Lyrikers X. sind die billigsten!»

      Leider wollen das die Bildhauer nicht. Sie verstehen, wie es scheint, nicht unser Zeitalter des Lärms und der Bewegung. Wenn sie einen Herrn in Zivil darstellen, dann sitzt er reglos auf einem Stuhl oder steht da, die Hand zwischen dem zweiten und dritten Knopf seines Rockes, auch hält er zuweilen eine Rolle in der Hand, und es zuckt keine Miene in seinem Gesicht. Er sieht gewöhnlich aus wie die schweren Melancholiker in den Nervenheilanstalten. Wenn die Menschen nicht für Denkmale seelenblind wären und bemerken würden, was oben vorgeht, so müßten sie, wenn sie vorbeikommen, das Gruseln haben wie an den Mauern eines Irrenhauses. Noch gruseliger ist es, wenn die Bildhauer einen General oder einen Prinzen darstellen. Die Fahne flattert in der Hand, und es geht kein Wind. Das Schwert ist gezückt, und niemand fürchtet sich davor. Der Arm weist gebieterisch vorwärts, aber kein Mensch denkt daran, ihm zu folgen. Selbst das Pferd, das sich mit sprühenden Nüstern zum Sprung erhoben hat, bleibt auf den Hinterhufen stehen, starr vor Staunen darüber, daß die Menschen unten, statt zur Seite zu weichen, ruhig ein Wurstbrot in den Mund stecken oder eine Zeitung kaufen. Bei Gott, Denkmalsfiguren stellen sich mit der leidenschaftlichsten oder innerlichsten Gebärde ihres Lebens hin, voll von Feierlichkeit oder Aufregung, und sind wie arme Komödianten, die vor einem unruhigen und unaufmerksamen Haus spielen

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