Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Überlegung, wieviele Menschen von dem Wort Dichter leben, findet kaum ein Ende, auch wenn man an der wunderlichen Lüge vorbeisieht, daß der ganze Staat behauptet, für nichts da zu sein, als die Künste und Wissenschaften zur Blüte zu bringen. Denn da kann man etwa mit den literarischen Professuren und Seminaren beginnen, kommt von ihnen auf den Anteil an Quästoren, Pedellen, Sekretären und dergleichen, der vom gesamten Universitätsbetrieb auf sie entfällt, und vielleicht noch zur Schutzpolizei, ohne die ein geordnetes Studium kaum noch zu denken ist. Oder man beginnt mit den Verlegern, kommt auf die Verlage mit ihren Beamten und Angestellten, auf die Sortimenter, die Druckereien, die Papier-und Maschinenfabriken, die Eisenbahn, die Zeitungen, die Ministerialdezernenten, die Intendanten: Kurz, je nach Geduld kann jedermann, der sich diese kreuz und quer führenden Zusammenhänge, die von Goethe bis zur Garderobenfrau reichen, ausmalen will, sich einen Tag lang damit beschäftigen, und das wirklich Merkwürdige ist, daß diese tausende Menschen bald gut, bald schlecht, bald ganz, bald teilweise davon leben, daß es Dichter gibt, obwohl niemand weiß, was ein Dichter ist, niemand mit Bestimmtheit sagen kann, daß er einen Dichter gesehen habe, und alle Preisausschreibungen, Akademien, Honorar-und Honoratiorenempfänge nicht die Sicherheit geben, daß man einen lebend fängt.

      Ich schätze, daß in der ganzen Welt heute einige Dutzend von ihnen noch vorhanden sind. Ob sie davon leben können, daß man von ihnen lebt, ist ungewiß; einige werden wohl dazu imstande sein, andere nicht: wenigstens könnte man etwas von dieser Art aus dem Vergleich mit ähnlichen Erscheinungen schließen. So gibt es unzählige Menschen, die davon leben, daß es Hühner oder, daß es Fische gibt, aber die Fische und Hühner leben nicht davon, sondern sterben daran; anderseits leben sie aber in gewissem Sinn doch auch davon, ja sie werden sogar gemästet, wenigstens eine Weile lang. Dieses Verhältnis ist so verwickelt wie eine Schlinge, in die man nicht ohne Not den Hals stecken soll, aber bei Fischen und Hühnern steht wenigstens fest, was sie sind, und sie bilden keine Störung der Fisch-und Hühnerzucht, wogegen der Dichter ganz entschieden eine Störung der Geschäfte bedeutet, die sich auf der Dichtung aufbauen.

      Hat er Geld oder Glück, so mag er noch hingehn; sobald er sich aber vermißt, ohne diese beiden sein Erstgeburtsrecht zu beanspruchen, wird er, wohin er auch kommen mag, nicht weiter wirken als ein Gespenst, das den Einfall hat, uns an ein Darlehn zu erinnern, das unseren Siebenmalurahnen gewährt worden ist. Nicht ganz ohne Scham wird man ihn fragen, ob er versichern könne, eine Dichtung zu verfassen, der ein Mindestabsatz von dreißigtausend Stück gewiß sei. Er aber wird erwidern müssen, daß er es nicht versichern kann, und wird bei Bühnenvertrieben und anderen Kultureinrichtungen eine berechtigte Mißstimmung erregen, denn man will ihm überall wohl und hat, da er weder Kassenstücke, noch Tonfilme zu schreiben vermag, das dunkle Gefühl, wenn man all das zusammentue, was dieser Mann nicht könne, so bleibe nur übrig, daß er eine ungewöhnliche Begabung sei. Aber da kann man ihm eben auch nicht helfen, und man müßte kein Mensch sein, wenn man ihm das schließlich nicht übelnähme, um Ruhe vor ihm zu haben.

      Als vor einiger Zeit ein solches Gespenst verdurstet um die Einnahmequellen Berlins strich, sagte ein junger, behender, üppiger Schriftsteller, der überall seinen Weg fand und doch das Gefühl hatte, daß er es auch nicht leicht habe: «Herrgott, wenn ich so viel Talent hätte wie dieser Esel, was würde ich damit anfangen!» Er irrte sich. Sollte man vermuten, daß ich vielleicht doch wisse, was ein Dichter sei und wozu nutze, so will ich es nicht leugnen, werde aber nie davon sprechen, denn ich tue es nur, wenn ich dazu aufgefordert werde.

      Eine unzeitgemässe Frage

[8. Oktober 1931]

      Können Sie mir sagen, was ein Dichter ist?

      Sie werden erwidern, daß Sie andere Sorgen haben, aber die sollen Ihnen ja auch nicht genommen werden. Ich behaupte nur das: mit Bestimmtheit wissen Sie, was Kaffee Hag, was ein Rolls Royce, was ein Segelflugzeug ist, und ich bin überzeugt, daß Sie nicht wissen, was ein Dichter ist. Sie werden dereinst in Verlegenheit geraten, wenn Ihre Urenkel Sie fragen: Urgroßpapa, zu deiner Zeit soll es ja noch Dichter gegeben haben, was ist das? Die Unwissenheit, die Sie dann zeigen werden, sollten Sie sich heute schon nicht gefallen lassen. Man hat Ihnen in den letzten zehn Jahren so viele Rätsel zum Raten gegeben, Sie sind so scharfsinnig dadurch geworden, daß nicht einzusehen ist, warum Sie nicht auch dieses lösen sollten: verlangen Sie von Ihrer Zeitung, daß sie dafür ein Turnier ausschreibe! Damit soll nicht behauptet sein, daß es wichtig wäre zu wissen, was ein Dichter sei, aber man muß es doch wissen, denn schließlich ist es ein Wort, das aus sechs Buchstaben besteht, und solche Worte sucht man manchmal sehr dringend!

      Wenn Sie mir gestatten, Sie ein wenig darauf vorzubereiten, sage ich Ihnen, daß ich es auch nicht weiß. Es ist auch kaum anzunehmen, daß Ihre Zeitung ohneweiters auf Ihren Vorschlag eingehen würde. Sie würden vielmehr daraus die Frage formen: Wer ist gegenwärtig der größte deutsche Dichter? Das würde eine Rundfrage sein, es würden je nachdem einige hundert oder einige tausend Antworten einlaufen, und aus diesen würde vielleicht ein halbes Dutzend Namen hervorgehn, die vierzig, zwanzig, sechs, vier Prozent aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Die Frage könnte auch lauten: Welcher ist Ihr Lieblingsdichter? Welchen Dichter halten Ihre Bekannten für den interessantesten? Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr den besten Eindruck gemacht? Welchen unserer Dichter würden Sie persönlich kennen zu lernen wünschen? Haben Sie Ihren Hund «Wolf» nach einer Dichterfigur getauft, und wenn, nach welcher?

      Man kann aus solchen Rundfragen, die zum Teil schon da waren, zum Teil erst kommen werden, erlernen, welche Arten Dichter es gibt: größte, bedeutendste, große, Lieblings-, wahre und wirkliche, echte deutsche, revolutionäre, verkannte, gelesenste, abgründige Dichter und so weiter usw., denn so etwas weiß die Welt oder will es wissen, aber was der Dichter ohne Beiwaage sei, diese Frage ist seit Menschengedenken nicht gestellt worden. Man lasse sich nicht dadurch irreführen, daß es andere Worte von ähnlicher Art auch gibt, zum Beispiel Teufel. Was, pfui Teufel, ein armer Teufel, ein Zankteufel usw. ist, weiß man, und das gibt es, aber ob es den Teufel gibt, darüber ist man im Unklaren; so etwas gehört zum Leben der Sprache, und auf das Leben der deutschen Sprache würde keine Unfallversicherungsgesellschaft auch nur das geringste geben: Das Wort Dichter gehört aber außerdem zum Wirtschaftsleben, und das ist beiweitem etwas anderes! Eine Überlegung, wie viele Menschen von dem Wort Dichter leben, findet kaum ein Ende, auch wenn man an der wunderlichen Lüge vorbeisieht, daß der ganze Staat behauptet, für nichts da zu sein, als die Künste und Wissenschaften zu göttlicher Blüte zu bringen. Denn da kann man etwa mit den literarischen Professuren und Seminaren beginnen, kommt von ihnen auf den Anteil an Quästoren, Pedellen, Sekretären und dergleichen, der vom gesamten Universitätsbetrieb auf sie entfällt, und vielleicht noch zur Schutzpolizei, ohne die ein geordnetes Studium kaum noch zu denken ist; oder man beginnt mit den Verlegern, kommt auf die Verlage mit ihren Beamten und Angestellten, auf die Sortimenter, die Druckereien, die Papier-und Maschinenfabriken, die Eisenbahn, die Zeitungen, die Ministerialdezernenten, die Intendanten: kurz, je nach Geduld kann jedermann, der sich diese kreuz und quer führenden Zusammenhänge, die von Goethe bis zur Garderobenfrau reichen, ausmalen will, sich einen Tag lang damit beschäftigen, und das wirklich Merkwürdige ist, daß diese tausende Menschen bald gut, bald schlecht, bald ganz, bald teilweise davon leben, daß es Dichter gibt, obwohl niemand weiß, was ein Dichter ist, niemand mit Bestimmtheit sagen kann, daß er einen Dichter gesehen habe, und alle Preisausschreibungen, Akademien, Honorar-und Honoratiorenempfänge nicht die Sicherheit geben, daß man einen lebend fängt.

      Ich schätze, daß in der ganzen Welt heute einige Dutzend von ihnen noch vorhanden sind. Ob sie davon leben können, daß man von ihnen lebt, ist ungewiß; einige werden wohl dazu imstande sein, andere nicht: wenigstens könnte man etwas von dieser Art aus dem Vergleich mit ähnlichen Erscheinungen schließen. So gibt es zum Beispiel unzählige Menschen, die davon leben, daß es Hühner oder daß es Fische gibt, aber die Fische und Hühner leben nicht davon, sondern sterben daran; anderseits leben sie aber in gewissem Sinn doch auch davon, ja sie werden sogar gemästet, wenigstens eine Weile lang. Dieses Verhältnis ist so verwickelt wie eine Schlinge, in die man nicht ohne Not den Hals stecken soll, aber bei Fischen und Hühnern steht wenigstens fest, was sie sind, und sie bilden keine Störung der Fisch-und

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