Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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habe an ihr mein Leben lang gearbeitet. Ich wollte mit ihr meine Zeit in die Luft sprengen. Ein Schutzmann hielt mich an und besah die Bombe. Ich sagte: Ich muß damit meine Zeit in die Luft sprengen, weil sie mir nicht folgt, Herr Schutzmann, das sind meine Werke. Die Bombe kam mir selbst in diesem Augenblick so groß vor, wie die riesigen Rollen Papiers, die vor den Zeitungsdruckereien abgeladen werden. «Ach, Sie sind von der Zeitung …», sagte der Schutzmann zärtlich, «Sie brauchen keinen Erlaubnisschein.»

III

      Meine Bombe rollte mit einer wunderbaren Wendung in das Tor unter der Parlamentsrampe, in die große Halle, wo immer die vielen Schutzleute sitzen, wenn eine Revolution angesagt ist. Ich durfte sie auch anzünden, aber sie löschte aus, weil oben geredet wurde. Als ich ausrief: «Das wird zwanzig Jahre nach meinem Tod eine Bombe sein!» stürzten sich alle Schutzleute auf mich. Ich hatte ein Instrument bei mir, das, glaube ich, Brustleier heißt; es ist ein Bohrer, den man gegen die Brust stemmt und mit einer Handkurbel antreibt, man bohrt mit ihm Löcher in Eisen; damit verteidigte ich mich. Ich setzte es einem Schutzmann zwischen dem zweiten und dritten Knopf an und drehte. Er wurde auch immer blasser. Aber die andern griffen nach meinen Armen, und wenn es ihnen auch nicht gelang, sie gleich festzuhalten, so entstand doch um meine Arme ein immer ärgeres Gewirr, unter dem sie schließlich nicht mehr vorwärts kamen.

      So wurde ich verhaftet.

IV

      «Herr Richter –!» sagte ich.

      «Herr Richter, ich habe vieles studiert und ausgeübt, weil ich ein Dichter werden und meine Zeit kennenlernen –, nicht nur –»: ich verteidigte mich schamlos, aber der Richter kannte das schon, lächelte und fragte:

      «Haben Sie Geld gemacht?»

      «Nie!» rief ich froh aus, «das ist doch verboten!»

      Da blickte der Vorsitzende dem Nebensitzenden ins Gesicht, der Rechtsanwalt dem Linksanwalt, der Staatsanwalt dem Berichterstatter, und alle lächelten. «Ich begehre Sachverständigengutachten!» rief der Verteidiger triumphierend.

      «Sie sind angeklagt, weil Sie kein Geld machen», sagte der Richter.

V

      Seither sitze ich im Gefängnis.

      Es fehlt ihm die Gelddrüse, haben die Sachverständigen erklärt, er entbehrt deshalb die moralischen Regulative und wird sofort reizbar, wenn man ihn unverschämt behandelt; außerdem leidet er an Gedankenflucht, er kann sich nicht merken, was andre schon hundertmal gesagt haben, sondern sucht immer neue Ideen. Und so weiter. Noch schlimmer waren die Gutachten der literarischen Sachverständigen. Im ganzen bin ich ein Minderwertiger, dem bloß die Strafbarkeit nicht abgesprochen wurde.

      Aber seit ich so weit bin, lebe ich in einem Märchen der Ordnung. Niemand tadelt mein unziemendes Betragen, im Gegenteil, ich falle unter den Zuchthäuslern wie eine holde Erscheinung auf. Meine Intelligenz ist überragend. Als Schriftsteller bin ich eine Autorität und darf sogar für die Aufseher Briefe schreiben. Alles lobt mich. Der ich in der Welt der Lebensgerechten ein Minderwertiger war, bin ich in der Welt der Ungerechten ein vom Consensus omnium getragenes moralisches und intellektuelles Genie. Und ich tue nichts für Geld, sondern alles für Lob und Selbstlob. Ich arbeite wieder als Schneider. Zauberhaftes Wesen der Arbeit, meine Seele ist eine Nadel; sie fliegt stundenlang aus und ein, tagelang, sie summt wie eine Biene, und in meinem Kopf ist so wenig darin, wie wenn man im Grab liegt, und die Bienen summen.

VI

      Sollte mir aber jemand beweisen, daß dies alles nicht wahr ist und ich kein minderwertig gewesener Schneider bin und nicht in einem Gefängnis lebe: dann würde ich den Präsidenten der Republik um einen Ehrenplatz in einem Irrenhaus bitten.

      Auch dort ist es schön. Ich wäre den Ansprüchen wohl gewachsen, und niemand würde sich darüber wundern, daß ich meine Dinge um ihrer selbst willen treibe. Ja, im Gegenteil, man würde mir auch da alle Hindernisse aus dem Weg räumen.

      Der Vorstadtgasthof

[1924]

      Um zwölf Uhr, ohne Unterschied der Nacht, wurde das schwere Holztor der Einfahrt geschlossen, und zwei armbreite Eisenstangen wurden dahintergelegt; bis dahin erwartete eine verschlafene, bäurisch aussehende Magd verspätete Gäste. Nach einer Viertelstunde führte sein langsamer, weiter Rundgang einen Schutzmann vorbei, der die Sperrstunde der Wirtschaften überwachte. Um ein Uhr tauchte aus dem Nebel der anschwellende Dreischritt einer Patrouille auf, die von der nahegelegenen Troßkaserne kam, hallte vorbei und wurde wieder kleiner. Dann war lange Zeit nichts als das kalte, feuchte Schweigen dieser Novembernächte. Erst um drei Uhr kamen die ersten Wagen vom Land herein. Mit schwerem Lärm brachen sie über das Pflaster; in ihre Tücher gewickelt, taub von Geprassel und Morgenkälte, schwankten die Leichname der Kutscher hinter den Pferden.

      In einer solchen Nacht war kurz vor der zwölften Stunde das Paar gekommen und hatte ein Zimmer verlangt. Die Magd schien den Herrn zu kennen, sie schloß vorerst ohne alle Eile das hohe Tor, legte die schweren Riegel vor und ging danach, ohne weiteres zu fragen, voraus. Es kam erst eine steinerne Treppe, dann ein langer, fensterloser Gang, kurz und unerwartet zwei Ecken, eine Treppe mit fünf, von vielen Füßen ausgemuldeten Steinstufen, und wieder ein Gang, dessen gelockerte Fliesen unter den Sohlen schwankten. An seinem Ende führte, ohne daß dies die Besucher befremdete, eine Steige von wenigen Sprossen zu einer kleinen Diele empor, in welche drei Türen mündeten; sie standen nieder und braun um das Loch im Boden.

      «Sind diese hier besetzt?» fragte der Herr, auf die anderen Türen deutend. Die Alte schüttelte verneinend den Kopf, während sie, sich mit der Kerze leuchtend, eines der Zimmer aufschloß; dann stand sie mit hochgehobenem Licht und ließ die Gäste eintreten. Es war ihr noch nicht oft vorgekommen, daß sie hier seidene Unterröcke rauschen hörte und das Trippeln hoher Absätze, die erschreckt jedem Schatten auf den Fliesen auswichen. «Oh, wie schauerlich! Huh, wie romantisch!» hatte die Dame mehr als einmal ausgerufen, und die Alte, mißtrauisch gegen die Seidene, hatte das wohl als einen Tadel verstanden. Störrisch und stumpf sah sie der Dame, die jetzt an ihr vorbeitreten mußte, ins Gesicht. Die nickte ihr in der Verlegenheit herablassend zu und mochte wohl vierzig Jahre alt sein oder einiges darüber. «Jeder war einmal jung;» – dachte die Magd, – «oder mit dem eignen Mann in Gottes Namen noch, wenn’s nun einmal so ist; aber da geht so eine auf Abenteuer aus!» Dann nahm sie das Geld für das Zimmer, löschte im Hausflur das letzte Licht aus und legte sich in ihre Kammer.

      Kurz danach war im ganzen Haus kein Laut. Das Licht der Kerze hatte noch nicht Zeit gefunden, in alle Winkel des elenden Zimmers zu kriechen. Der fremde Herr stand wie ein flacher Schatten am Fenster, und die Dame hatte sich, das Ungewisse erwartend, auf dem Bettrand niedergelassen. Sie mußte quälend lange warten; der Fremde rührte sich nicht auf seinem Platz. War es bis dahin schnell gegangen, wie ein Traum anhebt, so stak jetzt jede Bewegung in zähem Widerstand, der kein Glied losließ. Er fühlte, diese Frau erwartete etwas von ihm. Daß sie das durfte?! Sie erwartete, ihn «zu ihren Füßen» zu sehn. Er wußte, du sollst sie jetzt «mit Küssen bedecken». Es wurde ihm übel. Ihr Kleid war hochgeschlossen, ihr Haar kunstvoll: Das öffnen, war, die unvorstellbare Höhle eines Lebensinneren, die Tür eines Gefängnisses aufschließen. In der Mitte stand ein Tisch; daran saßen die Dinge ihres Lebens; in Hausschuhen, mit Gesichtern. Er beobachtete es feindselig und ängstlich. Sie wollte ihn fangen; ihre Hand drückte die seine unaufhörlich gegen die Klinke. Zum Schluß würde nur übrigbleiben, wie eine Granate hineinzuspringen und die Tapeten in Fetzen von den Wänden zu reißen! Mit äußerster Anstrengung gelang es ihm endlich, diesen Widerständen wenigstens einen Satz abzuringen: «Hattest du mich denn gleich bemerkt, als ich dich ansah?»

      Ach, es gelang. Ein Redebrunnen sprang auf. «Deine Augen waren wie zwei schwarze Stechäpfel!» – oder hatte sie «Sterne» gesagt? – «Dein wilder Mund –»

      «Und du warst sofort von Leidenschaft erfaßt?»

      «Aber

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