Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Gesicht waren vornehm, und die Liebe ist eine Leidenschaft! Das war alles.

      «Ich bin dir nachgegangen; durch Tage …!» sagte der Fremde leise.

      Er fühlte in diesem Augenblick, daß es ganz unmöglich sei, einen Vogel in die Hand zu nehmen, und diese nackte Haut sollte sich an seine nackte und ungeschützte Haut pressen? Seine Brust sich aus ihrer mit Wärme füllen? Er suchte es mit Witzen zu verzögern. Sie waren gequält und ängstlich. Er sagte: «Nicht wahr, starke Frauen schnüren auch ihre Füße? Mit den Schuhen. Und oben am Bund quillt dann das Fleisch etwas über, und dort sitzt ein kleiner unnachahmlicher Geruch. Ein kleiner, wachsgelber Geruch, den es sonst nirgends in der Welt gibt? Kleider herunter!»

      Die unglückliche Frau, die, von einem Wunder angewandelt, ihren Namen verschwiegen hatte, war empört. «Sie irren,» rief sie aus, «sagen Sie mir dann nicht du, lassen Sie mich gehn; ich bin eine anständige Frau, eine Dame!»

      «Verzeih!» sagte der Fremde. Er sah wieder edel und leidend aus. So sah nur ein Mensch aus, der eines tiefen Gefühls fähig war. Den eine große sündhafte Leidenschaft quälte. Leopold kommt erst in zwei Tagen zurück, er kann mich auch nicht verstehn – fiel ihr ein – ich sollte trotzdem nach Hause telephonieren, daß ich die Nacht über wegbleibe. Das Blut, das sich ihr vor Unwillen in den Hals gehoben hatte, stürzte nun wieder kopfüber in die Hüften. Der Fremde hielt die Hand vor den Augen. Sie fühlte, daß sie ihm Unrecht getan hatte. Sie jubelte: Eifersucht? Süßer! Bitterer! Mußte es ihm nicht schwer fallen, ohne daß er sie kannte, sich zurechtzufinden! Sie wollte ihm sagen, daß Leopold zwar ein guter Mensch sei – –

      Aber der Unverständliche antwortete: «Ich beneide dich um ihn.» Und dabei war zum erstenmal Bewegung in seinem Ausdruck. Seine Augen brannten wie zwei Fackeln, und ihr schien, daß er sie in seinen Worten löschen wollte, so sonderbar begann der Blick zu glimmen. Er fuhr fort: «Ich war nie eifersüchtig. Ich liebe Zimmer wie dieses. Solch einen elenden Stuhl. Dieses Bettzeug; vielleicht lag vor einer Stunde ein Kerl mit Blattern darinnen!»

      Sie lächelte. «Du scherzt, Wilder! Sporengeber! Du willst mich bloß die Größe des Opfers fühlen lassen, das ich deiner Schönheit bringe.»

      «Nein,» sagte der Mann, «wenn du diese zwei Wachsstumpen ansiehst, sind sie nicht wie zwei niedergebrannte Glieder? Sie haben hier auf dich gewartet. Vielleicht wartet im Bett Ungeziefer, wird sich in den weichen süßen Teig deiner Haut haken und teilhaben an dir, während du dich vergißt. Ich danke dir, daß du gekommen bist. Unter solchen abgeblätterten, zahnlosen, warzigen Dingen traue ich mich erst auszugehn. Sinnlos rollend – ich versichere dir, manchmal ganz sinnlos rollend. Und wenn du schnell machst, ist ein Knarren in mir, ja ein Knarren, ein fürchterlicher, ganz unmenschlicher Laut wie ein Wagenrad.»

      «Es ist ein Dichter», antwortete sie sich, «oder ein Philosoph, sie sind heute so; man muß es jetzt lassen, später werde ich die Wirkung der distinguierten Frau auf ihn ausüben.» Sie begann sich entschlossen auszukleiden; sie war es ihrer Ehre schuldig.

      Er bekam nun Angst. Ihn quälte die Vorstellung: Aufmachen! Wie ein Kinderspielzeug, bis an die Räder, die in die Räder aller anderen greifen.

      Und die zweite Qual war: Sie verfolgt mich. Sie rollt so aus sich heraus. Immerzu knapp vor mir her. Was redet sie unaufhörlich?! Ich muß mich wie ein Hund auf den runden, rollenden Ball ihres Lebens stürzen.

      Sie saß nun bloß in Schuhen und Strümpfen vor ihm. Sie hatte sich ganz ausgezogen, weil er von Ungeziefer gesprochen hatte. Das erschien ihr sicherer. Ihre Hüften rollten in quellenden Falten herab. Sie begann zu zittern.

      Seine Augen zerrten wie Hunde an einer Kette hin und her.

      «Ziehst du dich nicht aus?» fragte sie.

      «Willst du nicht vorher tanzen?» fragte der Fremde.

      Tränen des Zorns stiegen irgendwo auf. Die Dame bereute das Abenteuer und wäre weggerauscht, wenn sie gekonnt hätte. Aber was blieb ihr übrig, als ihn interessant und ungewöhnlich zu finden. Ach, die Liebe ist eben ein schaumbedeckt dahinsprengendes Pferd, auch wenn es zitternd stehenbleibt.

      «Du mußt wunderbar tanzen», sagte er wieder verzögernd. «Musik sitzt manchmal bloß an der Grenze des Daseins und bläst hinüber. Aber Bewegungen –!»

      «Nein, ich tanze nicht», antwortete sie. «Sei gut, hör auf, solchen Unsinn zu schwätzen. Ich liebe dich trotzdem, du Ungezogener. Weshalb küßt du mich nicht?!»

      Ein Schweigen folgte. Dann fragte er vorsichtig: «Sind die Mädchen ausgegangen, die in deinem Leib wohnten?» Aber gleichzeitig hörte er sich den sinnlosen Satz sagen: «jung ist, wer liebt», und im selben Augenblick hingen ihre Arme um seinen Hals. Seine Augen stürzten wie Fische im Dunkel hin und her.

      «Laß deine Augen, Geliebter, Geliebter, du siehst so edel und elend aus!»

      Da hob er mit der Kraft der Verzweiflung die Last hoch und küßte sie. «Was macht dein Kungfutse?» fragte er leise. Sie hielt das für einen Fachausdruck aus einer Herrengesellschaft; sie wollte sich keine Blöße geben; er heimelte sie an. Eine Mahnung sagte ihr auch, es wird besser werden, wenn wir erst weiter sind. Die Zungenspitze des Mannes berührte ihre Lippen. Dieses alte Menschenverständigungsmittel, welche Stirnen immer über solchen Lippen sitzen, war ihr bekannt. Sie machte langsam ihre Zunge breit und schob sie vor. Dann zog sie sie rasch zurück und lächelte schalkhaft. Ihr schalkhaftes Lächeln – das wußte sie – war schon berühmt, als sie noch ein Kind war. Und sagte aufs Geratewohl, vielleicht von einer unbewußten Klangverknüpfung bestimmt: Kungfutse freut sich – kein leiser Gedanke verriet ihr, daß sie dieses Wort je schon in einem andren Sinn gehört habe.

      Da seufzte der Unbekannte. Die runde Kugel der Welt rollte auf ihn. «Noch einmal!» bat er mit wankenden Knien. Und dann dauerte es lange, bis seine Zähne ganz durch ihre Zunge kamen. Aber endlich fühlte er sie dick im Munde. Der Sturm einer großen Tat wirbelte ihn empor. In seinen Kreiseln riß er die weiße, blutende, in einer Zimmerecke um sich schlagende, um einen hohen, heiser kreischenden Ton, um den taumelnden Rumpf eines Lauts sich drehende Masse der unglücklichen Frau hinweg.

      Brief Susannens

[15. Januar 1925]

      Meine Liebe – ich kann jungen Männern von entsprechendem Aussehen nur raten, sich ein Auge verbinden zu lassen; auch in der Liebe ist weniger mehr. Auf unserer letzten Reise saß mir ein Mann gegenüber, der nur ein Auge hatte, das andere lag unter einer schwarzen Binde; ich versichere Dir, es ist melancholisch, dieses schwarze, verdeckte, von der Welt zurückgezogene, abenteuerliche Auge; Du kannst Dir zehnmal klar machen, daß dieser Mann sich wahrscheinlich bloß mit unsauberen Fingern ins Auge gegriffen haben wird, die Phantasie glaubt nicht an einen Katarrh. Du magst Dir auch klar machen, so viel Du willst, daß (wenn diese Einäugigkeit wirklich eine poetische Ursache hätte) diese Poesie der Einäugigkeit von Wotan bis Wagner im Grunde doch nichts ist als der Mensurkitsch unsrer Brüder, oder die Ausrede unserer Gatten, welche, sobald sie in die majestätischen Jahre kommen und bequem zu werden beginnen, bekanntlich gern auf das Beispiel Odins hinweisen, der seine Weisheit mit einem Verlust an Sinnlichkeit bezahlte. Es hilft Dir nichts, das schwarze Auge spielt auf Dir Chopin.

      Du hast mehr gelernt als ich: ich glaube, irgend so etwas nennt man eine Minusvariante. Für die Vernunft ist’s ein Defekt, aber er regt auf. So war’s bei mir. Sicher ist die Erfindung des Monokels auch von der Einäugigkeit hergekommen. Ich sehe daran, von welcher Art die Genüsse unserer Zeit sind: während das schwarzverbundene Auge das freie unterstützt und bildhaft geheimnisvoll macht – man sucht geradezu das andere Auge –, schlägt das «bewaffnete» Auge seinen Zwilling aus dem Feld; ich erinnere mich in der Tat bei keinem einzigen unserer monokeltragenden Bekannten an die Farbe seiner Augen, und so soll es wahrscheinlich auch ihrer Meinung

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