Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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rauchen müsse; aber wenn sie sich nicht beobachtet fühlte, hatte sie ein ganz braves Gesicht, das in dem anderen darin stak wie der kleine Däumling in den Siebenmeilenstiefeln. Ihr Ideal, das sie noch nicht erreicht hatte, war die Löwenjagd, und sie fragte uns alle, ob wir glaubten, daß sehr viel Kraft dazu gehörte? Mut, – meinte sie – Mut hätte sie wohl genügend, aber ob sie auch den Strapazen gewachsen sei? Ihr Neffe rede ihr zu, weil er gerne mitgenommen werden wolle; aber für solch einen zweiundzwanzigjährigen Lausbuben sei das doch noch etwas anderes, nicht? Die gute, weltumsegelnde Tante! Ich bin überzeugt, daß sie ihrem Neffen unter der Sonne Afrikas einen kleinen forschen Klaps auf die Schulter geben wird und daß sich die Löwen davonschleichen werden, so wie Mme. Gervais und ich es taten, wenn wir konnten.

      Ich flüchtete mich dann sogar zuweilen zu Frau Nimmermehr ins Büro oder schlich auf den Gang und spähte, ob ich Ottavina sähe. Ich hätte auch einen Blick auf Gottes Sterne werfen können, aber Ottavina war schöner. Sie war das zweite Stubenmädchen, eine neunzehnjährige Bäuerin, die daheim einen Mann und einen kleinen Knaben hatte; sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Sage niemand, es gebe viel verschiedene Schönheit, Schönheit in vielerlei Art und Stil: das weiß man. Aber die Art von Ottavinas Schönheit könnte mir gestohlen werden; es war Raffaels Art, gegen die ich eine unerlaubte Abneigung habe; was trotz dieser Schönheit das Auge bezwang, war Ottavinas Schönstheit! Zum Glück darf man sagen, daß sich so etwas dem, der es nicht gesehen hat, nicht beschreiben läßt. Wie abstoßend wirken die Worte Harmonie, Gleichmaß, Vollkommenheit, edel! Wir haben sie gemästet; sie stehen wie dicke Frauen auf winzigen Füßen da und können sich nicht rühren. Wenn man aber einmal wirkliche Harmonie und Vollkommenheit sieht, so ist man erstaunt darüber, wie natürlich sie ist. Sie kommt zu ebener Erde herbei. Sie fließt wie ein Bach; gar nicht regelmäßig, mit der unbekümmerten Selbstherrlichkeit der Natur, ohne Anstrengungen zur Großartigkeit oder Vollendung. Wenn ich von Ottavina sage, sie war groß, kräftig, adelig, vornehm, so habe ich das Gefühl, diese Worte seien von anderen Menschen genommen. Ich habe das Bedürfnis, sogleich etwas hinzuzufügen. Sie war groß, aber ohne Verlust an Lieblichkeit. Kräftig, aber nicht voll. Adelig ohne Verlust an Ursprünglichkeit. Eine Göttin und das zweite Stubenmädchen. Ich konnte mit der neunzehnjährigen Ottavina nicht sprechen, weil sie mein gebrochenes Italienisch für unpassend fand und auf alles, was ich sagte, nur mit einem sehr höflichen Ja oder Nein antwortete; aber ich glaube, ich betete sie an. Ich weiß es natürlich nicht sicher, weil auch das bei Ottavina etwas anderes bedeutete. Ich begehrte sie nicht, ich litt keinen Mangel, ich schwärmte nicht; im Gegenteil, so oft ich sie sah, suchte ich mich so unauffällig zu benehmen wie ein Sterblicher, der in die Gesellschaft von Göttern geraten ist. Sie lächelte, ohne daß eine Falte in ihrem Gesicht entstand. Ich konnte sie mir nicht anders in den Armen eines Mannes denken, als mit diesem Lächeln und einem sanften Erröten, das sich wie eine Wolke über sie ausbreitete, hinter der sie dem Zugriff der Begierde entschwand.

      Immerhin hatte Ottavina einen ehelichen Knaben, und ich verzog mich zuweilen zur alten Frau Nimmermehr ins Büro, um im Gespräch mit ihr wieder Anschluß an die Wirklichkeit zu finden. Sie ließ, wenn sie durchs Zimmer ging, die Arme mit den Handrücken nach vorn hängen, hatte den breiten Buckel und Bauch einer Matrone und beschönigte das Leben nicht mehr. Wenn man sie, vom Forschungstrieb geplagt, fragte, ob ihre große schwarze Katze Michette denn eigentlich ein Kater oder ein Weib sei, sah sie einen nachdenklich an und meinte philosophisch: «O je, das kanma gar nicht sage; die is ein Kaschtrath!» – In jüngeren Jahren hatte Frau Nimmermehrs Herz einen einheimischen Freund besessen, Sor Carlo, und wo immer man sich in Frau Nimmermehrs Bereich bewegte, konnte man am Ende einer Perspektive von Türrahmen Sor Carlo sitzen sehen. Zwischen Ostern und Oktober, versteht sich; denn er war ein Wrack und selbst jetzt, außerhalb der Saison, war sein Dasein das eines allen Mitbewohnern zwar bekannten, aber öffentlich nicht zugegebenen Gespenstes. Er saß immer an irgendeiner Wand, reglos in einem schmutzigen hellen Anzug, die Beine wie Säulen gleich dick von oben bis unten, das edle Gesicht mit dem schwarz gefärbten Cavourbart von Fett und Leiden entstellt. Nur wenn ich nachts nach Haus kam, sah ich ihn in Bewegung. Wenn alle Augen, die ihn beaufsichtigten, schliefen, schleppte er sich stöhnend durch die Gänge, von Bank zu Bank, und kämpfte mit Atemkrämpfen. Da lebte er sich aus. Ich versäumte nie, ihn zu grüßen, und er dankte mir mit Würde. Ich weiß nicht, ob er für das Gnadenbrot dankbar war, das ihm Frau Nimmermehr bot, oder ob er gegen Undank protestierte und aus gekränkter Würde tagsüber mit offenen Augen zu schlafen schien. Es verriet auch nichts, wie Frau Nimmermehr für ihren alten Sor Carlo empfand. Man darf wahrscheinlich annehmen, daß die schöne Ausgeglichenheit des Alters sie schon längst der Wichtigkeit enthoben hatte, die ein jüngerer Mensch solchen Dingen beimißt. Wenigstens traf ich sie einmal in ihrem Büro so mit Sor Carlo an: Sor Carlo saß an der Wand und hatte seinen schlafenden Blick durch die gegenüberliegende Wand ins Unendliche gerichtet, und Frau Nimmermehr saß am Tisch und hatte ihren Blick durch die offene Tür ins Dunkle gerichtet. Diese beiden Blicke gingen, von ungefähr einem Meter Raum getrennt, parallel aneinander vorbei, und unter dieser Blickebene saß neben dem Tischbein Michette, die Katze, mit den beiden Hunden des Hauses. Der blonde Spitz Maik, mit dem zarten, ausfallenden Haar und der beginnenden Altersdarre im Rücken, versuchte an Michette etwas, das sonst nur Hunde an Hunden tun, und der dicke rotblonde Spitz Ali kaute indessen gutmütig an ihrem Ohr; niemand wehrte es, Michette nicht und die beiden alten Menschen nicht.

      Wer es bestimmt verwehrt hätte, wäre Miß Frazer gewesen; aber es ist anzunehmen, daß sich Maik in ihrer Gegenwart so etwas gar nicht erlaubt hätte. Miß Frazer saß jeden Abend in unserem Salon auf der Kante eines Fauteuils; den Oberkörper hatte sie brettgerade zurückgelehnt, so daß er die Stuhllehne nur am obersten Rand berührte, und die Beine ungebogen so von sich gestreckt, daß sie die Erde nur mit den Hacken berührten; in dieser Stellung häkelte sie. Wenn sie damit fertig war, setzte sie sich an den ovalen Tisch, mitten in unsere Konversation hinein, und schrieb ihre tägliche Lektion. Wenn diese beendigt war, legte Miß Frazer mit schnellen Fingern zwei Patiencen. Und wenn die Patiencen aufgegangen waren, sagte sie good night und verschwand. Dann war es zehn Uhr. Ausnahmen gab es nur, wenn einer von uns in dem tropisch glühenden Salon ein Fenster öffnete; dann stand Miß Frazer auf und schloß es wieder. Wahrscheinlich vertrug sie den Luftzug nicht. Wir wußten ebensowenig den Grund wie wir den Inhalt ihrer täglichen Lektion kannten oder den Gegenstand ihrer Handarbeit. Miß Frazer war ein altes englisches Fräulein; ihr Profil war ritterlich und scharf wie das eines Edelmanns, ihr Anblick von vorn rund und rot, wie der eines Apfels, mit einer liebenswürdigen Beimischung von Mädchenhaftigkeit unter ihren weißen Haaren. Ob sie auch liebenswürdig gesinnt war, wußte niemand. Außer den unvermeidlichen Liebenswürdigkeiten wechselte sie mit uns kein Wort. Vielleicht verachtete sie unser Nichtstun, unsere Geschwätzigkeit und unsere Unmoral. Nicht einmal den Schweizer, der schon seit sechshundert Jahren Republikaner war, würdigte sie einer Vertraulichkeit. Sie wußte alles von uns, weil sie immer in der Mitte saß, und war der einzige Mensch, von dem wir nicht wußten, warum er da war. Alles in allem, mit ihrer Häkelarbeit, ihrer Lektion und dem menschenfreundlichen Lächeln eines roten Apfels, wäre sie sogar imstande gewesen, nur zum Vergnügen da zu sein und unsere Gesellschaft zu teilen.

      Was ist ein Dichter?

      Eine unzeitgemässe Frage

[3. August 1931]

      Können Sie mir sagen, was ein Dichter ist?

      Sie werden erwidern, daß Sie andere Sorgen haben, aber die sollen Ihnen ja auch nicht genommen werden! Ich behaupte nur das: mit Bestimmtheit wissen Sie, was eine Karosserie, was ein Segelflugzeug ist, und ich bin überzeugt, daß Sie nicht wissen, was ein Dichter ist. Sie werden dereinst in Verlegenheit geraten, wenn Ihre Urenkel Sie fragen: Urgroßpapa, zu deiner Zeit soll es ja noch Dichter gegeben haben, was ist das?

      Die Unwissenheit, die Sie dann zeigen werden, sollten Sie sich heute schon nicht gefallen lassen. Man hat Ihnen in den letzten zehn Jahren so viele Rätsel zum Raten gegeben, Sie sind so scharfsinnig dadurch geworden, daß nicht einzusehen ist, warum Sie nicht auch dieses lösen sollten. Damit soll nicht behauptet sein, daß es wichtig wäre zu wissen, was ein Dichter sei, aber schließlich ist es ein Wort, das aus sechs Buchstaben besteht, und solche Worte

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