Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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bloßgestellt fühlen, als sie. Sie machen keinen Schritt und machen doch immerwährend einen faux pas. Es ist eine verzweifelte Lage.

      Ich glaube, daß ich mit diesen Ausführungen einiges zum Verständnis von Denkmalsfiguren, Gedenktafeln und dergleichen beigetragen habe. Vielleicht sieht einer oder der andere daraufhin jene an, die an seinem Weg stehen. Was aber immer unverständlicher wird, je weiter man nachdenkt, ist, weshalb man, wenn die Dinge so liegen, gerade großen Männern Denkmale setzt? Es scheint eine ganz ausgesuchte Bosheit zu sein. Da man ihnen im Leben nicht mehr schaden kann, stürzt man sie, gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals, ins Meer des Vergessens.

      Türen und Tore

[28. September 1928]

      Türen gehören der Vergangenheit an, wenngleich die Hintertüren bei Bauwettbewerben gegenwärtig noch recht beliebt sein sollen.

      Läßt man, um berechtigte Empfindlichkeiten zu schonen, den zweiten Teil dieser Behauptung beiseite, so kann sich von der Richtigkeit des ersten jeder bei sich selbst überzeugen. Er braucht nur seine Tür zu öffnen, so sieht er einen rechteckigen, in die Mauer eingelassenen Holzrahmen, an dem ein drehbares Brett befestigt ist. Dieses Brett läßt sich gerade noch zur Not verstehen; denn es soll leicht sein, damit man es gut bewegen kann, und es paßt zu dem Eichen-oder Nußgehölz, das man bis vor kurzem in jedem ordentlichen Familienzimmer angepflanzt hat. Wenn man sie gut entölt, können Türen sogar im Winde stöhnen. Dennoch hat auch schon dieses Brett das meiste von seiner Bedeutung eingebüßt. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man noch an einer Tür horchen, und welche Geheimnisse erfuhr man da bisweilen! Der Graf hatte seine Stieftochter heimlich enterbt, und der Held, der sie heiraten sollte, erfuhr gerade noch rechtzeitig, daß er sie entführen müsse, damit man ihn nicht vergifte. Das sollte einer in einem zeitgenössischen Haus versuchen! Ehe er dazu käme, an der Tür zu horchen, würde er alles schon längst durch die Wände erfahren haben; ja nicht nur das: von dem ersten und leisesten Gedanken angefangen, der sich bildete, wäre er mit dabeigewesen. Warum hat sich noch kein Rundfunkdichter des Stoffes der Türen und Wände bemächtigt?! Geschärftestes Miterleben aller Sinne gestatten sie, in einer vorbildlichen Weise, mit dem Ausschluß einzig und allein des Gesichtssinns, zu verbinden.

      Noch viel sonderbarer als die Tür selbst ist ihr Rahmen. Blickt man bei geöffneten Türen durch eine Zimmerflucht, so glaubt man den Angsttraum eines Fußballstürmers zu erleben, der ein Tor hinter dem anderen schießen muß. Es gibt auch eine Sorte von Galgen, an die es erinnert. Warum macht man so etwas? Technisch könnte man heute ein gutes Schließen der Tür weit besser ohne diese Pfähle erreichen; sie sind in der Tat nur da, um das Auge zu erfreuen. Dem Auge würde es zu kahl erscheinen, wenn die Tür an die Mauer oder ein unsichtbares Metallband schlösse. Das wäre für das zivilisierte Auge nicht anders, als wenn zwischen Hand und Ärmel keine Stulpe hervorgucken würde, und wirklich haben diese Türrahmen eine ähnliche Geschichte wie die Röllchen. Als man noch die Zimmer wölbte, kannte man sie nicht; die Tür drehte sich um zwei schöne schmiedeeiserne Mauerhaken. Später lernte man flache Decken bauen, und sie wurden von schweren Holzbalken getragen; mit Stolz auf das Neue zeigte man die Balken, verkleidete die Felder zwischen ihnen auch mit Holz, und es entstanden die schönen getäfelten Decken. Noch später versteckte man die Balken hinter einer Stuckdecke, aber an den Türen ließ man ein Rändchen von Holz auch noch weiterhin hervorschauen. Schließlich baut man heute in Eisen und Beton, statt in Ziegel und Holz, aber das hölzerne Rändchen, von nirgendwo kommend, angeklebt, einsam, sinnlos, nur mit den Fensterrahmen verschwistert, muß die Sitte wahren. Ist das nicht fast aufs Haar genau die Geschichte des Hemdes, das zuerst in einem breit dem Auge geöffneten Ausschnitt der Kleidung, mit Hals-und Handkrause begann? Dann verschwand es unter dem Rock, aber Kragen und Stulpe ragten noch aus dem Anzug. Dann trennten sich Kragen und Stulpe vom Hemde ab, und zum Schluß, ehe wieder ein Wandel zum Besseren eintrat, wurden Kragen und Röllchen einsame Symbole der Kultur, die man, um zu zeigen, was sich gehört, an irgendeine geheime Unterlage knöpfte.

      Ich widme diese Entdeckung, daß unsere Holztüren Röllchen sind, dem namhaften Architekten, der herausgefunden hat, daß der Mensch auf der Klinik geboren wird und im Spitale stirbt, weshalb auch seine Wohnräume von antiseptischer Nüchternheit erfüllt sein müßten, um die unserem Leben eigene Schönheit zu zeigen. Es gibt da noch vieles zu tun. Aber die Baukunst ist heute in einer schweren Lage. Der Mensch früherer Zeiten, Schloßherr wie Städter, lebte in seinem Haus; seine Stellung im Leben zeigte sich dort, speicherte sich dort auf. Man empfing noch in der Biedermeierzeit bei sich; heute macht man das bloß nach. Das Haus hat dem gedient, was man scheinen wollte, und dafür hat man immer Geld übrig; heute aber sind andere Dinge da, die diesen Zweck erfüllen, Reisen, Automobile, Sport, Theater, Winteraufenthalte, Appartements in Luxushotels. Die Phantasie des Zeigens, was man ist, geht in dieser Richtung, und wenn ein reicher Mann sich trotzdem noch ein Haus baut, so bleibt etwas Künstliches daran, etwas Privates, das keine Erfüllung einer allgemeinen Sehnsucht ist. Und wie soll es Türen geben, wenn es kein «Haus» gibt?! Die einzige originelle Tür, die unsere Zeit hervorgebracht hat, ist die gläserne Drehtür des Hotels und des Warenhauses.

      Die Tür hat früher als Teil für das Ganze das Haus vertreten, so wie das Haus, das man besaß, und das Haus, das man machte, die Stellung des Besitzers zeigen sollte. Die Tür war ein geeignetes Symbol für eine Gesellschaft von Bevorzugten, die sich dem Ankömmling, je nachdem, wer er war, öffnete oder verschloß, was gewöhnlich sein Schicksal entschied. Ebensogut eignete sie sich aber auch für den kleinen Mann, der außen nicht viel zu bestellen hatte, jedoch hinter seiner Tür sofort den Gottvaterbart umhängte. Sie war darum allgemein beliebt. Die vornehmen Leute öffneten oder verschlossen bloß ihre Türen, aber der Bürger konnte mit ihnen außerdem ins Haus fallen. Er konnte sie offen einrennen. Er konnte zwischen Tür und Angel seine Geschäfte erledigen. Konnte vor seiner oder einer fremden Tür kehren. Er konnte jemand die Tür vor der Nase zuschlagen, konnte ihm die Tür weisen, ja er konnte ihn sogar bei der Tür hinauswerfen: das war eine Fülle von Beziehungen zum Leben, und sie zeigen jene treffliche Mischung von Realistik und Symbolik, welche die Sprache nur aufbringt, wenn uns etwas sehr wichtig ist.

      Aber man lasse sich dadurch nicht täuschen: die großen Zeiten der Türen sind vorbei! Es ist sehr romantisch, jemand zuzurufen, daß man ihn zur Tür hinauswerfen werde, aber wer hat je wirklich jemand hinausfliegen sehen? Dem Schreiber dieser Zeilen ist das nur ein einziges Mal im Leben zu beobachten geglückt, und das geschah bei einer Bauernrauferei. Da flogen aber bezeichnenderweise gleich der Hinausgeworfene und der Hinauswerfer zum Wirtshaus hinaus, und wenn auch draußen der Befugte den Minderbefugten auf der Erde verdrosch, so hatte der Vorgang doch gar nichts von jener großartigen Einseitigkeit, die seinen Reiz ausmacht, sondern die Kompetenzen ließen sich nicht recht unterscheiden. Man schlägt auch niemand mehr die Tür vor der Nase zu, sondern nimmt schon die telephonische Anmeldung seines Besuchs nicht entgegen, und vor seiner eigenen Tür zu kehren, ist eine unverständliche Zumutung geworden. Das sind längst unvollziehbare Redensarten; freundliche Einbildungen, die uns vielleicht mit Wehmut beschleichen, wenn wir alte Tore betrachten. Historisches Dunkel um das Loch, das der Zimmermann vorläufig noch in der Gegenwart gelassen hat.

      Pension Nimmermehr

[9. August 1928]

      Es gab einmal eine deutsche Pension in Rom. Deutsche Pension, das war damals ein bestimmter Begriff in Italien, wenn er auch sehr verschiedene Sonderwesen umschloß. Mit Entsetzen denke ich heute noch an die Pension Wacker zurück, wo ich ein anderesmal gewohnt habe; alles war dort zum Weinen einwandfrei. Aber in der Pension, von der ich hier spreche, war es nicht so. Als ich ins Büro trat und zum ersten Male nach dem Herrn des Hauses fragte, antwortete mir seine Mutter: «Oh, der kann jetzt nit komme; der ischt grad über seine Hühnerauge!» Ich will ihn Herrn Nimmermehr nennen. Seine Mutter, Frau Nimmermehr also, war eine von einem gewaltigen Mieder umspannte Matrone, deren Fleisch mit den Jahren ein wenig eingegangen war, so daß ihr Korsett rings um sie einen unregelmäßigen Rand in die Luft zeichnete, der mit einer Bluse überzogen war; irgendwie erinnerte das an einen umgekippten, verlorengegangenen Regenschirm, wie man solche zuweilen an verlassenen Orten findet. Ihr Haar wurde zwischen Ostern und Oktober,

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