Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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langen Schlitz besaß, der in der heißen Zeit immer von oben bis unten offenstand. Vielleicht war das kühler; vielleicht war es aber auch eine Besonderheit des Hauses, denn auch Laura, das Stubenmädchen, das bei Tisch bediente, legte zu diesem Zweck zwar eine saubere Bluse an, die hinten zu schließen war, aber während der Zeit, die ich in Rom verbrachte, waren von allen Haken immer nur die zwei untersten geschlossen, so daß darüber das Hemd und weiterhin Lauras schöner Rücken zu sehen war wie in einem Kelch. Trotzdem waren es vorzügliche Wirte, die Nimmermehrs; die altmodisch luxuriösen Zimmer wurden gut gehalten, und was sie kochten, hatte Grazie. Während des Speisens stand Herr Nimmermehr persönlich als Maître d’hôtel neben der Anrichte und leitete die Bedienung, obgleich diese nur aus Laura bestand. Vorwurfsvoll hörte ich ihn einmal zu ihr sagen: «Herr Meier mußte sich selbst einen Löffel und das Salz holen!» – Laura tuschelte erschrocken: «Hat er etwas gesagt?» – Und Herr Nimmermehr legte die Würde eines königlichen Speisenchefs in die leise Zurückweisung: «Herr Meier sagt nie etwas!» – Zu solcher Höhe des Berufs konnte er sich erheben. Er war, soweit ich mich erinnere, groß, mager und kahl, hatte einen wässerigen Blick und Bartfäden, die sich langsam auf und nieder bewegten, wenn er sich mit der Schüssel zu einem Gast neigte, um diesen auf etwas besonders Gutes aufmerksam zu machen. Sie hatten einfach ihre Eigenheiten, die Nimmermehrs; ich glaube übrigens, daß sie das gar nicht wußten, sondern für deutsche Sehnsucht nach dem Süden hielten.

      Ich habe mir alle diese Kleinigkeiten aufgeschrieben, weil ich schon damals das Gefühl hatte: es kehrt nicht wieder. Ich will damit beileibe nicht behaupten, daß es besonders selten und kostbar gewesen sei; eher schon, es war besonders gleichzeitig. Wenn zwanzig Uhren an einer Wand hängen, und man blickt sie plötzlich an, so hat jedes Pendel eine andere Lage; sie alle sind gleichzeitig, jedes zeigt eine andere Zeit, und irgendwo muß doch auch noch die wirkliche Zeit sein, die man nicht sieht: das ist unheimlich. Alle, die wir damals in der Pension Nimmermehr wohnten, hatten dazu unsere besonderen Gründe; wir hatten alle irgendetwas außer der Zeit in Rom zu tun, aber da man in der Sommerhitze täglich nur ein kleines Maß davon tun konnte, so kamen wir immer wieder in unserem Heim zusammen. Da war zum Beispiel der kleine alte Schweizer Herr; er war da, um die Angelegenheit einer noch kleineren protestantischen Sekte zu betreiben, die ausgerechnet gerade im papistischen Rom ein evangelisches Gotteshaus bauen wollte. Er trug trotz der brennenden Sonne immer einen schwarzen Anzug, und am zweiten Westenknopf von oben war die Uhrkette befestigt, an der ein schwarzes Medaillon hing, in das ein goldenes Kreuz eingelassen war. Sein Bart saß links und rechts von ihm; so dünn sproß er aus dem Kinn, daß man ihn erst in einiger Entfernung davon bemerkte, gegen die Backen zu verlor dieser Bart sich ganz, und die Oberlippe war von Natur bartlos. Die Kopfhaare dieses alten Herrn waren blondgrau und unheimlich weich, und seine Gesichtsfarbe hätte wohl rosig sein können, aber da sie weiß war, war sie gleich so weiß wie frisch gefallener Schnee, in dem eine goldene Brille liegt. Dieser alte Herr sagte einmal, als wir uns alle im Salon unterhielten, zu Mme. Gervais: «Wissen Sie, was Ihnen fehlt? Es fehlt Ihnen ein König in Frankreich!» – Ich wunderte mich und wollte Mme. Gervais zu Hilfe kommen: «Aber Sie sind doch Schweizer und selbst Republikaner!» warf ich ein. Doch da wuchs der kleine Mann über seine goldenen Brillenränder hinaus und erwiderte uns: «Oh, das ist eine andere Sache! Wir sind es seit sechshundert Jahren und nicht seit fünfundvierzig!»

      So der Schweizer, der in Rom eine protestantische Kirche baute.

      Mme. Gervais, mit ihrem lieblichen Lächeln erwiderte: «Wenn die Diplomaten und die Zeitungen nicht wären, würden wir den ewigen Frieden haben.» – «Excellent, vraiment excellent!» – nickte der alte Herr wieder befriedigt, mit einem Kichern, das so fein und unnatürlich klang, als hätte er eine junge Ziege im Hals; er mußte ein Bein vom Boden heben, um sich in seinem Fauteuil zu Mme. Gervais zurückwenden zu können.

      So kluge Antworten gab aber auch nur Frau Gervais. Das Profil ihres zarten Tituskopfes auf dem schlanken Hals mit einem köstlichen Ohr geschmückt, hob sich im Speisesaal von dem Fenster ab, vor dem sie saß, als ich sie zum ersten Male sah, wie ein geschnittener rosa Stein von himmelblauem Samt. Mit vollendeten Händen, die Arme mit Messer und Gabel korrekt an sich gezogen, rasierte sie einem Pfirsich, den sie aufgespießt hatte, die Haut vom Leibe. Ihre Lieblingsworte waren: Ignoble, mal élevé, grand luxe und très maniaque. Auch Digestion und digestif sagte sie oft. Mme. Gervais konnte erzählen wie sie, die Katholikin, einmal in Paris in der protestantischen Kirche war. Am Geburtstag des Empereur. «Und ich versichere Sie,» fügte sie hinzu, «es war viel würdiger als bei uns. Viel einfacher. Keine so unvornehme Komödie.» – So war Mme. Gervais.

      Sie schwärmte für die deutsch-französische Verständigung, weil ihr Gatte Hotelier war. Richtiger gesagt, er stand in der Hotelkarriere; man muß alles durchmachen, Speisesaal, Bar, Zimmerdienst, Büro. «Wie ein Ingenieur am Schraubstock arbeiten muß,» erklärte sie. Sie war aufgeklärt. Sie empörte sich bei der Erinnerung daran, wie ein Negerprinz, ein vollendeter Gentleman, in einem Pariser Hotel von Amerikanern boykottiert worden war. – «So machte er bloß, so!» – zeigte sie und brachte ein entzückend verächtliches Rümpfen der Lippe hervor. Die klassischen, vornehmen Ideale der Humanität, Internationalität und der Menschenwürde bildeten in ihr mit der Hotelkarriere eine vollendete Einheit. Allerdings flocht sie auch gerne ein, daß sie als Mädchen mit ihren Eltern Automobilreisen gemacht habe, daß sie mit dem oder jenem Attaché oder Legationssekretär da und dort gewesen seien oder daß schon ihre Bekannte, die Marquise Soundso, das oder jenes gesagt habe. Aber sie machte es nicht weniger vornehm, wenn sie aus der Hotellaufbahn erzählte, daß ein Freund ihres Mannes in einem Haus mit Trinkgeldverbot achthundert Mark im Monat an Trinkgeldern verdient habe, während ihr Mann in einem Haus ohne Verbot nur sechshundert Mark einnahm. Sie hatte immer frische Blumen an sich und reiste mit einem Dutzend kleiner Deckchen, mit deren Hilfe sie aus jedem Pensionszimmer eine kleine Heimat machte. Dort empfing sie ihren Mann, wenn er dienstfrei war, und hatte mit Laura ein Abkommen getroffen, daß ihr diese die Strümpfe wasche, sowie sie sie auszog. Sie war eigentlich eine tapfere Frau. Ich bemerkte einmal, daß ihr kleiner Mund auch fleischig wirken könne, obgleich die ganze Gestalt wie ein etwas überlanger, äußerst zarter Engel war; auch die Backen hoben sich, wenn man genau zusah, beim Lachen viel zu hoch über die Nase; aber merkwürdigerweise, obgleich ich sie nun weniger schön fand, sprachen wir seither ernster miteinander. Sie erzählte mir von der Trauer ihrer Kindheit, von lange dauernden Krankheiten ihres Körpers und von den Qualen, die ihr die Launen eines an Paralyse erkrankenden Stiefvaters bereitet hatten. Einmal vertraute sie mir sogar an, daß sie deshalb ihren Mann geheiratet hatte, ohne ihn zu lieben. Bloß weil es Zeit war, sich zu versorgen, sagte sie. «Sans enthousiasme; vraiment sans enthousiasme!» – Aber das vertraute sie mir erst einen Tag vor der Abreise an: Sie wußte eben immer etwas Passendes zu sagen und sprach den Zuhörern aus der Seele.

      Gerne würde ich etwas Ähnliches auch von der Dame aus Wiesbaden berichten, die gleichfalls zu unserem Haus gehörte; aber ich habe leider viel von ihr vergessen, und das wenige, was mir geblieben ist, läßt schließen, daß sich das übrige nicht recht dieser Absicht fügen würde. Ich weiß nur, daß sie immer einen der Länge nach breit gestreiften Rock trug, so daß sie aussah wie ein großes Holzgatter, auf dem oben eine ungeplättete weiße Bluse hing. Wenn sie sprach, widersprach sie, und meistens ungefähr in der folgenden Weise: Man sagte zum Beispiel, daß Ottavina schön sei. Ja – ergänzte sie sogleich – ein schöner römischer Typus. Dazu blickte sie einen so feststellend an, daß man um der Sicherheit des Weltlaufes willen sie berichtigen mußte, ob man wollte oder nicht, denn Ottavina, das Stubenmädchen, war aus Toscana. Ja – sagte sie –, aus Toscana. Aber ein römischer Typus! Alle Römerinnen haben Nasen, die von der Stirn gerade Weggehen! Nun war Ottavina nicht nur aus Toscana, sondern sie hatte auch keine Nase, die von der Stirn gerade wegging; aber wenn die Dame aus Wiesbaden etwas sagen wollte, so überlegte sie es mit solcher Heftigkeit, daß ihr plötzlich ein fertiges Urteil aus dem Munde sprang, bloß weil es die anderen fertigen Urteile aus ihrem Kopf verdrängten. Ich fürchte, sie war eine unglückliche Frau. Und vielleicht war sie nicht einmal Frau, sondern Mädchen. Sie war im Schiff um Afrika gefahren und wollte nach Japan. Sie hatte eine Freundin, die sieben Glas Bier trank und vierzig Zigaretten rauchte, und sie nannte sie einen ganz famosen Kameraden. Ihr

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