Gesammelte Werke. Robert Musil

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Robert Musil страница 178

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Robert Musil

Скачать книгу

Stolz, Liebe, Hohn, Eifersucht, Adel und Gemeinheit bekleidet werden. Wenn eine angebetete Frau unsere Gefühle mit Füßen tritt, so wissen wir, daß wir ihr einen strafend seelenvollen Blick zuzuwerfen haben; wenn ein Schurke eine Waise mißhandelt, so wissen wir, daß wir ihn mit einem Schlag zu Boden schmettern müssen. Aber was sollen wir tun, wenn die angebetete Frau unmittelbar, nachdem sie unsere Gefühle mit Füßen getreten hat, die Tür ihres Zimmers zuschlägt, so daß sie unseren seelenvollen Blick nicht sieht? Oder wenn zwischen dem Schurken, der die Waisen mißhandelt, und uns ein Tisch mit Gläsern steht? Sollen wir die Tür einschlagen, um durch das Loch einen sanften Blick zu werfen, oder sorgfältig die teuren Gläser abräumen, ehe wir zum empörten Schlag ausholen? In solchen wirklich wichtigen Fällen läßt einen die Literatur immer im Stich; vielleicht wird das in einigen hundert Jahren, wenn noch mehr beschrieben ist, besser sein.

      Einstweilen aber gibt es deswegen jedesmal eine geradezu besonders unangenehme Lage für einen belesenen Charakter, wenn er sich in einer sogenannten Lebenslage befindet. Ein gutes Dutzend angefangener Sätze, halb erhobener Augenbrauen oder geballter Fäuste, gekehrter Rücken und pochender Brüste, die alle nicht ganz zu dem Anlaß passen und doch auch nicht unpassend wären, bleiben in ihm stecken und zerren an ihm; die Mundwinkel werden gleichzeitig hinauf-und hinabgezogen, die Stirn finster gerunzelt und hell beglänzt, der Blick will sich zur gleichen Zeit strafend hervorstürzen und beschämt zurückziehen, und das ist sehr unangenehm, denn man tut sich sozusagen selbst gegenseitig weh. Das Ergebnis ist dann jenes bekannte Zucken und Schlucken, das sich über Lippen, Augen, Hände und Kehle ausdehnt, ja mitunter den ganzen Körper so heftig erfaßt, daß er sich wie eine Schraube windet, die ihre Mutter verloren hat.

      Damals entdeckte mein Freund, wie viel bequemer es wäre, als einzigen Charakter seinen eigenen zu besitzen, und begann diesen zu suchen.

      Aber er geriet bloß in neue Abenteuer. Ich traf ihn nach Jahren wieder, als er im Bureau eines Rechtsanwalts arbeitete. Er trug Brillen, rasierte sich den Bart und sprach mit leiser Stimme. – Du siehst mich an? – bemerkte er. Ich konnte es nicht leugnen, irgend etwas hieß mich, in seiner Erscheinung eine Antwort zu suchen. – Rechtsanwälte – erklärte er mir – haben eine ganz bestimmte Art, durch ihre Kneifergläser zu blicken, die anders ist als zum Beispiel die der Ärzte. Vielleicht kann man auch sagen, daß alle ihre Bewegungen und Worte spitzer oder zackiger sind als die rundlichen und knorrigen der Theologen. Sie unterscheiden sich von ihnen wie ein Feuilleton von einer Predigt, mit einem Wort, so wenig ein Fisch von Baum zu Baum fliegt, so sehr sind Rechtsanwälte in ein Medium eingetaucht, das sie niemals verlassen.

      «Berufscharakter!» sagte ich. Mein Freund triumphierte.

      «Sag’ einmal, bemerkst du etwas davon an mir?» fragte er. Als ich verneinte, war er es zufrieden. «Siehst du,» fuhr er in seiner Auseinandersetzung fort, «das war eine große Schwierigkeit. Bis vor kurzem habe ich noch einen christusähnlichen Bart getragen. Denn das stimmt gar nicht zu dem Charakter der Rechtsanwälte. Aber Bart ist, wie du wissen wirst, zusammen mit starken Augenbrauen, behaarter Brust und einer Stimme, welche die Tonlagen zwischen Keller und erstem Stock bewohnt, ein sogenanntes sekundäres Merkmal des Geschlechtscharakters. Darum spreche ich jetzt leise und trinke kein Bier.»

      «Das sehe ich nicht ein,» sagte ich dagegen, «du könntest dich doch zum Beispiel wie ein Maler tragen oder wie ein Seefahrer?»

      «Nein! Das ist eben das Sonderbare! Es gibt natürlich Rechtsanwälte, die sehen wie Dichter aus, und dann wieder Dichter, die in ihrem Äußern gern mit einem Diplomaten verwechselt werden möchten, auch Gemüseverkäufer mit Denkerköpfen gibt es. Sie alle haben aber etwas von einem Glasauge oder einem angeklebten Bart. Es ist eben das Schlimme, daß an dieser Sache mit dem Berufscharakter wirklich etwas daran ist. Denn nun gibt es, wie du weißt, doch noch ebenso wie den Berufs-und den Geschlechtscharakter des Mannes verschiedene andere Charaktere, die er hat, seinen National-, seinen Staats-, seinen Klassen-, seinen geographisch bedingten Charakter, den Charakter, der zu seiner Handschrift gehört, den, welchen man an seinen Handlinien, an seiner Schädelform, an der Konstellation der Gestirne im Augenblick seiner Geburt und an was weiß ich noch erkennt. Lauter solche Charaktere habe offenbar auch ich, ohne es zu wissen. Ich merkte es nicht. Es ist mir unheimlich. Ich wünsche, dem zu entrinnen. Aber wahrscheinlich gerate ich, wenn ich den einen abstreife, in den anderen hinein. Zum Glück habe ich eine Braut, welche behauptet, daß ich überhaupt keinen Charakter besitze und sie nie heiraten werde. Ich werde sie gerade deshalb heiraten; denn sie ist mir wahrhaftig eine Stütze.»

      «Wer ist deine Braut?»

      «Dem Nationalcharakter nach Deutsche, im Berufscharakter die Tochter eines kleinen Kaufmanns, dem Klassencharakter nach Bourgeoise, geographisch an der Abendland und Morgenland verbindenden West-Ost-Linie der Donau geboren,» zählte er geläufig auf. «Aber weißt du,» unterbrach er sich, «sie weiß trotzdem immer, was sie will! Sie war ursprünglich ein reizend hilfloses kleines Mädchen – ich kenne sie schon lange; aber sie hat sehr viel von mir gelernt. Wenn ich lüge, findet sie es entsetzlich; wenn ich morgens nicht rechtzeitig ins Bureau gehe, so behauptet sie, daß ich niemals eine Familie erhalten könnte, wenn ich mich nicht entschließen kann, eine Zusage zu halten, die ich gegeben habe, so weiß sie, daß das nur ein Schuft tut.»

      Mein Freund lächelte. Er war damals ein liebenswürdiger Mensch, und jeder Mensch sah freundlich lächelnd auf ihn herab. Niemand nahm ernstlich an, daß er es zu etwas bringen werde. Schon an seiner äußeren Erscheinung fiel auf, daß, sobald er zu sprechen anfing, jedes Glied seines Körpers eine andere Lage einnahm; die Augen gingen irgendwohin zur Seite, Achsel, Arm und Hand bewegten sich nach entgegengesetzten Richtungen, und mindestens ein Bein federte im Kniewinkel wie eine Briefwage. Wie gesagt, er war damals ein liebenswürdiger Mensch, bescheiden, schüchtern, ehrfürchtig, und manchmal war er auch das Gegenteil davon.

      Als ich ihn wiedersah, besaß er ein Auto, eine Frau, die sein Schatten war, und eine angesehene, einflußreiche Stellung. Wie er das angefangen hatte, weiß ich nicht; aber was ich vermute, ist, daß das ganze Geheimnis darin lag, daß er dick wurde. Sein eingeschüchtertes, bewegliches Gesicht war weg. Genauer besehen, es war noch da, aber es lag unter einer dicken Hülle von Fleisch. Seine Augen, die einst, wenn er etwas angestellt hatte, so rührend sein konnten wie die eines traurigen Äffchens, hatten eigentlich ihren aus dem Innern kommenden Glanz nicht verloren, aber zwischen den hoch gepolsterten Wangen hatten sie jedesmal Mühe, wenn sie sich nach der Seite drehen wollten, und stierten darum mit einem hochmütig gequälten Ausdruck. Seine Bewegungen fuhren innerlich immer noch umher, aber außen, an den Beugen und Gelenken der Glieder wurden sie von stoßdämpfenden Fettpolstern aufgefangen, und was herauskam, sah wie Kurzangebundenheit und entschlossene Sprache aus. So war nun auch der Mensch geworden. Sein irrlichternder Geist hatte feste Wände und kompakte Überzeugungen bekommen. Manchmal blitzte noch etwas in ihm auf, aber es verbreitete keine Helligkeit mehr in dem Menschen, sondern war ein Schuß, den er abgab, um damit zu imponieren oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es war nun eigentlich viel weniger an ihm als früher; von allem, was er äußerte, ging zwölf auf ein Dutzend, wenn es auch ein Dutzend guter, verläßlicher Ware war. Seine Vergangenheit behandelte er selbst nun so, wie man sich an eine Jugendtorheit erinnert.

      Aber das Sonderbare war, – weshalb ich mir diese Erinnerungen niederzuschreiben erlaube –, daß ich immerdar, wenn ich ihn ansah, das Empfinden hatte, der alte Mensch sei noch in ihm. Er stand in ihm, von der fleischigen größeren Wiederholung der ursprünglichen Gestalt eingeschlossen. Sein Blick stach im Blick des andern, sein Wort im Wort. Es war unheimlich. Ich habe ihn inzwischen noch oft wiedergesehen, und dieser Eindruck hat sich jedesmal wiederholt; er wohnt eingekerkert in seinem Körper. Ich glaube heimlich, er gäbe etwas darum, wenn er einmal einen Tag lang wieder keinen Charakter haben könnte. Ich habe ihm natürlich eine Abmagerungskur angeraten, aber er hat nicht den Mut dazu; er erklärt, daß solche Kuren nervöse Angstzustände hervorrufen und überhaupt nicht ungefährlich seien.

      Wer hat dich, du schöner Wald ..?

[27. Juli 1927]

      Wenn

Скачать книгу