Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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und strahlt allabendlich wie ein Gletscher süßen Puders über dem Ausschnitt. Ich weiß, daß nichts Sie im Anfang wird abhalten können, dieses duftende Wunder, wenn es auf Station Gornergrat in Wildlederschuhen aus der Zahnradbahn steigt, abseits zu versprengen und mit Ihrer zügellos phantastischen Bockserotik zu erschrecken. Aber Sie dürften bald einsehen, daß daraus nichts folgt als ein rasches, kaltes Durcheinanderrieseln im Rückenmark und dann wieder glatte Wasserfadheit.

      So finden Sie das berühmte «Leben» hier in Zusammendrängung. Schöne Frauen von «betörender Eleganz», Männer, die von hier aus beim schwarzen Kaffee ihre großen Geschäfte regieren, Jugend, die die Gefahr sucht und ihr Leben bedenkenlos einsetzt. Es ist dieses «starke, leidenschaftliche Leben» tatsächlich nicht eine Erfindung unbegabter Romanschriftsteller, sondern es ist vorhanden, und die Kunst der Familienblätter ist der wahre und aufs fürchterlichste ernste Realismus.

      Pan, die wahrhaft großen Leidenschaften stehen auf dem Papier, über dem man nachgedacht hat, denn nicht, daß man sein Leben für etwas einsetzt, entscheidet, sondern was man in sein Leben einsetzt. Sie werden bald die Lust verlieren, in wirklichem Menschenmaterial zu arbeiten. Ich bin nur ein jüngerer und Ihnen wahrscheinlich noch unbekannter Schriftsteller, auf dessen Worte Sie wenig zu achten brauchen, aber Sie werden hier von selbst die Legende von den großen Leidenschaften des Lebens bezweifeln lernen. Vor die Wahl gestellt, Gott in dieser Welt zu sein oder die Theodizee einer neuen bloß zu schreiben, werden Sie sich letzterem zuneigen. Nicht aus eitlem Stubenrationalismus, sondern als Lebensrettung. Und dann werden Sie – Flötengott – Bücher zu schreiben beginnen, die kein Literaturbaedeker mit jenen Sternchen versieht, womit er gute Gasthöfe und umfassende Fernsichten auszeichnet.

      [Fritze]

[Ohne Titel – vor Juli/August 1914]

      Fritze ist ein Mittelding zwischen Individuum u Allgemeinheit. Er haranguirt uns zu sehr um die sympathische Gleichgültigkeit gegenüber den ungekannten Millionen zu genießen u. ist uns zu wenig wert, als daß wir mit Respekt von ihm sprechen würden. Man kann nie mit Recht sagen: ein … Fritze, denn man meint auch dann den bestimmten, den Kolonialfritze oder den Zigarrenfritze an dessen Laden man täglich vorübergeht oder doch irgend einen, von dem man etwas gehört hat, das ihn aus den Vielen heraushebt ohne ihn zu den Wenigen zu rechnen, mit denen man sich gleich fühlt. Hierin ist auch der Durchschnittsberliner aristokratisch, antisozial od. wenn man will ur-sozial. So ’n Fritze hat immer irgend etwas angestellt, einen Mord begangen, defraudirt, seine Frau versetzt oder ein Theaterstück geschrieben. Es ist nach beiden Richtungen ein Index für die Anschauung des Sprechenden, was ihm noch als Fritze gilt. Eine Tat, die ihm entsetzlich dünkt, verknüpft er nicht mehr mit diesem Wort, eine Tat, die er ernstlich schätzt, auch nicht. Ein Verbrecher ist für einen Pastor oder Justizrat kein Fritze mehr, vielleicht aber für lustige Studenten od. junge Künstler. Ein Dramatiker ist für einen Gardeleutnant häufig ein Fritze, für andere Leute wieder ist er es nicht.

      Man fragt nicht: was ist er? u. antwortet: Möbelfritze; – sondern: kennen sie den u den? Wie heißt er? So u so. Ah, den Möbelfritzen, da in der Lützowstraße.

      Der Fritze ist ein Kapitel aus der Psychologie des Ruhms. Das Mittelding zwischen Anonymität u Anerkennung. Zweiter Rang. Hinterhausbewohner im Ruhm. Es ist vergnüglich dabei einmal überhaupt über die verschiedenen Arten von Ruhm nachzudenken. Bleiben wir dabei: es gibt hier ein Vorderhaus u ein Hinterhaus, den großen, offiziellen Ruhm, den erarbeiteten indem man auf Ruhm hinarbeitet u. den zufälligen. Und dann gibts die Millionen Obdachloser. Im Vorderhaus gibts große Wohnungen u. wenig Mieter, es ist dort langweilig. Das Hinterhaus ist lustig u bevölkert u die Kontrakte sind kurzfristig. Man kann sagen, vorn wohnt man in desto besseren Etagen je länger man tot ist; Göthe. Viele von denen, die vor dem Haus lungern, kommen nach ihrem Tod hinein u. dann mit jedem Jahrzehnt vornehmer. Manche von denen, die bei Lebzeiten drin wohnen, werden nach ihrem Tod hinausgeworfen.

      Der Tod spielt auch im Hinterhaus eine Rolle. Ich muß sagen, wenn ich ein ehrgeiziger Mensch wäre, würde ich mich auf nichts so sehr freuen als auf den Tag nach meinem Tode. Da kommt man in die Zeitung. Man erfährt plötzlich, daß man ein treuer, ehrlicher u geschätzter Mitarbeiter seines Chefs war u. muß das glauben, denn auch die Kollegen versichern ihre Sympathie, was an diesem Tage sicher wahr ist. Oder man liest gedruckt bestätigt, daß man eine zärtliche Gattin hat. Man fährt im Wagen u. es wird eine Rede auf einen gehalten. Wann passiert einem sonst soviel Angenehmes an einem Tag? Gehört man einer größeren Körperschaft an, gar noch einigen Vereinen, so kann man sicher sein, daß Hunderte von einem sprechen. Und das ist schon Ruhm. Irgend ein guter Lyriker sagen wir beispielsweise Rilke hat keinen viel größeren Kreis u. wie muß er sich dafür anstrengen; ich muß sagen, für meinen Teil ziehe ich den erwähnten Weg vor, er ist viel natürlicher. Doch verlassen wir dieses heikle Gebiet; es gibt im illegitimen Ruhm sonst viel heiterere Fälle.

      Übrigens ernstlich gesprochen, bei wie viel jugendlichen Selbstmördern spielt die Vorstellung der Wirkung ihres Todes eine Rolle!

      Ein Soldat erzählt

[1915/16]

      Der Fliegerpfeil (Die Feuer Taufe) Ein Fliegerpfeil ist …. Wenn er an der Schädeldecke eindringt, tritt er bei der Fußsohle aus Wir standen damals in einem toten Winkel der Front, die sich dort von der Cima di V. an den Caldonazzosee zurückbog und von dort über die zwei Hügel von Tenna u. Colle di .. zu den …. Bergen hinauflief. Es war im Oktober, die Hügel lagen wie große welke Kränze unter unseren Füßen als wir an den Stellungsbauten zu schaffen hatten. Heroisch braun von Winterlaub [?] u Sonne lag das Suganer Tal vor uns. Von Gott wie ein Posaunenstoß geschaffen. Ich denke an spätere Nächte als wir dort eine vorgeschobene Stellung hielten. Mit Steinen hätten sie uns damals erschlagen können. Wir konnten uns nicht rühren. Aber wenn ich die Nase herausstreckte, sah ich die Brentagruppe hell himmelblau wie aus Glas steif gefältelt. Und in den Nächten waren die Sterne groß und wie aus Goldpapier gestanzt und flimmerten fett wie aus Teig gebacken und der Himmel war noch in der Nacht himmelblau und die dünne mädchenhafte Mondsichel ganz silbern oder ganz golden lag auf dem Rücken mittendrin u. schwamm in Entzücken. Und man ging nur in der Nacht aber zwischen schwarzgrünen Bäumen spazieren, wie das Gefieder wie zwischen den Federn grüner Nachtpapageien. (Sterne wehten wie vergoldete Ahornblätter)

      In dieser für ein froheres Ereignis geschaffenen Landschaft erhielt ich meine Feuer Taufe und wurde in die unsichtbare Kirche aufgenommen.

      Dort war ich geritten und – das Mädchen mit der Hand – und alles war so bewegt, weil der Tod damit zusammenhing. Es war nicht das schauerliche Gerippe, das man täglich an uns vorbeitrug, von Lavarone herunter, nicht der wahnsinnige Tod, dessen Abglanz in der veränderten Kompanie zu sehen war nicht der zweckbefangene, geschäftige Tod, sondern der lebendige, der geistliche Tod, der der Philosophen. Der nur an stilleren Fronten zuhause ist, wo keiner weiß, daß er stirbt und doch in jeder Woche einige sterben.

      Die Battn. ringsum begannen sich wahnwitzig zu ereifern, der helle Himmel war im Nu von weißen Wölkchen wie mit einer Puderquaste betupft …. und zwischendurch schwamm wundervoll mit ausgespannten Flügeln der Aeroplan. Die Unterseite seiner Tragflächen war in den ital. Farben bemalt, die Sonne schien von unten darauf od. von oben hindurch u. das Rotweißgrün leuchtete wie das Gefieder eines tropischen Wundervogels. Es ist das eine niedere Erregung aber eine starke. Im gleichen Augenblick während ich gänzlich hingerissen hinaufstarrte, fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, daß wir hier – eine Gruppe wie Rennbesucher beisammenstehender Offiziere, ein verlockendes Ziel bieten mußten. Im nächsten Augenblick hörte ich ein leises Singen. Ein Schuss war es nicht; aber natürlich kann es auch umgekehrt vor sich gegangen sein Er hat einen Pfeil abgeworfen, dachte ich mir; aber ich war nicht erschrocken, sondern noch mehr verzückt. Ich wunderte mich, daß die andren nichts hörten. Ganz fern aus dem Äther kam es näher (heran) Es war ein hoher, dünner, singender Laut.

      Lange, sehr lange hörte ich ihn näher kommen. Er wurde körperlicher, schwoll an, bedrohlicher. Aber das Musikhafte verlor er nicht. Ich vermochte mich

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