Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Stimme: Aber Fräulein Bertha … Ich wußte nämlich, daß er sich vor kurzem erst mit einer jungen in Rom lebenden Deutschen verlobt hatte, und hoffte, ihn durch die Erinnerung daran in den Wiederbesitz seiner bürgerlichen Fähigkeiten zu bringen. Aber ich irrte mich, seine Phantasmagorie war bereits vorgeschrittener als ich dachte, er antwortete nur kurz: Fräulein .. wird mich begleiten.

      Danach trennten wir uns. Die Sonne war untergegangen, die Wagen rollten wieder zurück. Gruppen von Menschen schlenderten gegen die Stadt zu. Aus dem Pincio begannen die kühlen Fieberdünste aufzusteigen. Es kam mir alles so wirr vor. Unten lag mit trüben Lichtern die Stadt. Beim Geländer ober der Scala … war Lachen, Stimmen, Hinunterblicken, Cigaretten glimmten im Dunkel. Ich drückte mich erschüttert in den Schatten der stillen Via … Unterwegs suchte ich meine Gedanken zu ordnen. Es schien mir kein Zweifel, daß X. erkrankt sei. Und doch diese wunderbare Logik seines Calculs? Ich begann mir selbst zu mißtrauen, ich fühlte Mitleid … unklar ging alles in mir durcheinander, bis mir einfiel, daß ich schon seit mehreren Tagen meinem Blatt – ich war damals Zeitungskorrespondent – nichts depeschiert hatte, – das riß mich mit einem Ruck nach rechts zur Piazza .. hinunter, einfach u. notwendig. Vielleicht war ich noch erschüttert – u. ich glaube sogar, daß ich es war – vielleicht erschien es mir trotz allem auch noch nicht sicher, daß X. irr sprach, ich war, als ich mich meines Berufes erinnerte, froh wie ein entlaufenes Kind von der harten Hand eines Erwachsenen gepackt zu werden. Noch am Postamt sagte ich mir: Vielleicht ist es gemein, so unbedacht abzuurteilen … vielleicht ist es töricht, nicht besser den Versuch des Verstehens zu machen … Aber dann telegrafierte ich: «In Rom ist der bekannte junge Gelehrte X. gelegentlich umfangreicher Forschungen über den jüngsten Kometen infolge Überarbeitung von einer schweren Psychose befallen worden. Die Ärzte erklären seinen Zustand für bedenklich, wenn auch nicht aussichtslos.» Und ich fühlte fast, wie mir Generationen von Journalisten wohlwollend über die Schulter sahen u. murmelte im Nachhausegehen krankhaft mir vor: daß unsere Zeit die Schnelligkeit liebt, sie ist impressionistisch, pointillistisch, feuilletonistisch u. die Treppe zum Forum hinaufsteigend, wo ich damals wohnte, fühlte ich mich als der Sohn dieser Zeit, als der Sohn elektrischer Erfindungen, der Dampfturbinen, Aeroplane u. Expreßzüge u. überlegte mir, ob ich nicht eigentlich besser über dieses Thema meiner Depesche noch einen Artikel nachsenden könnte ..

      Ich sah dann X. noch einmal nach Jahr u Tag in Berlin. Er bohrte sich finster, die hohe Gestalt gebeugt, durch die Menge. Er war auffallend mager. In Erinnerung an unser letztes Beisammensein u. weil mein Telegramm mit der Zeit doch ein wenig mein Gewissen belastete, wäre es mir lieber gewesen, ihm zu entgehen. Aber sein Auge, das scheinbar dumpf u verschleiert vor sich hinstarrend doch mit einer eigentümlichen huschenden, fast bösartigen Hast nach allen Seiten umherlief, hatte mich erkannt, u. kam geradenwegs auf mich zu. «Ich suche sie schon seit Tagen, sagte er kurz, beinahe ohne Begrüßung, ich muß sie sofort sprechen, ich hab keine Zeit mehr.» Ich bat ihn, zu mir zu kommen. Unterwegs erarbeiteten sich meine Gedanken die Befriedigung, daß er – wenn er mich wegen jener unglückseligen Depesche hätte ohrfeigen wollen – dies wohl schon getan haben müßte, und ich sah mit ungetrübter Neugierde seinen Mitteilungen entgegen. – Das war zeitig am Vormittag als wir uns so getroffen hatten, gegen ein Uhr nachts verließ er meine Wohnung. Er schüttelte mir zum Abschied die Hand u. sagte: «sie waren ungläubig u. gemein u. wenn ich damals Zeit gefunden hätte, würde ich sie wohl verprügelt haben, aber sie waren der erste der mich mit Kot bewarf, u. heute empfinde ich das merkwürdigerweise fast wie eine Erinnerung an schönere Zeiten. Sie sind sozusagen mein Freund geworden, wie man den Anfang eines Unglücks liebt, weil ihn die Entfernung dämpft .. Und ich nehme Abschied vom Leben.»

      Ein Packet mit Aufzeichnungen u Schriften ließ er bei mir zurück.

      Ich begegnete ihm dann nur noch ein einzigesmal u. teilweise, nämlich bloß seinem Namen u. das war ein Journal für Psychiatrie u. wenige Wochen nachher ……

      Was ich hier jetzt veröffentlichen werde, ist der Inhalt seiner fragmentarischen Aufzeichnungen, ergänzt durch das, was er mir selbst erzählte. Alles Mathematische, Berechnungen, astronomische Ortsbestimmungen, Beweise für die Wirklichkeit seiner Entdeckungen udgl. lasse ich weg, teils zur Bequemlichkeit meiner Leser teils – um es aufrichtig zu sagen – weil ich bis heute noch nicht die Scheu überwinden konnte, mich in dieses Formel-u Zahlenmaterial zu vertiefen. Ich habe einigemale hineingeblickt u. wurde so fortgerissen von dem klaren, zwingenden Aufbau dieser Überlegungen u. zur Bestätigung mitgeteilten Tatsachen, daß mein Verstand zu zittern begann, wie ein dünnes von einem überstarken Motor angetriebenes Boot, den es nicht auszuhalten vermag. Es ist nicht ehrenvoll, aber ich vermied diese Beweise, weil ich fürchtete, ihnen glauben zu müssen u. ihnen doch nicht glauben wollte. Aber ich denke mich einer Schuld zu entledigen, indem ich das Übrige hier zu seinem Gedenken veröffentliche.

      Der rote Hut

[1911/12]

      Ein roter Hut zwischen blauen u. braunen Hüten, zwischen Zylindern und entblößten Köpfen und den blassen, schon etwas nachgedunkelten, etwas gelähmten und mühsamer sprechenden Veteranen der Lichtschlacht an den Wänden. Ein roter Hut, wie Wasser des Springbrunnens immer in die Höhe geworfen u. doch immer zurückkommend. Im Kampf mit der kühlen, ungesättigten Skala Manet’s siegreich, wie ein roter Lampion endlich in einem ununterschiedlichen Grau schwebend.

      Von den Wänden schauen die Menschen Manet’s. Sie haben einen Zug von schmerzhaftem sich nicht mehr ganz deutlich machen können auf den Lippen, in den Gliedern. Und überhaupt – roter Hut, wehend wie ein Kirschbaum mit glänzenden Früchten – ist es nicht überhaupt seltsam, wenn Menschen, einer neben dem anderen von glatten Wänden schauen? Oder fühlst Du es nicht?

      Die Dreidimensionalität, deren Fiktion im Bild noch gewahrt ist, wird durch das Nebeneinanderhängen von Bildern fast auf zwei Dimensionen zusammengepreßt. So sind es bald Menschen wie wir, bald seltsam in einer Fläche lebende Wesen. Wenn in einem Puppentheater einer plötzlich seinen Kopf abnimmt und unter dem Arm weiter trägt, so ist das nicht sonderlich seltsam, wenn er dabei aber Zug um Zug des Gesichts und in jeder Bewegung Deiner Cousine gleicht, oder Dir, wie wird Dir? Wenn etwas ganz Unsinniges, traumvoll Verwundenes und Geschlungenes ganz plötzlich dicht an Dich herantritt und mit unschuldigem Lächeln gut bekannt tut, so daß Du die Abwehr nicht findest?

      Vielleicht wird ein Anderer einmal das Malen malen. Die Ähnlichkeit der Menschen mit Bildern. Das phantastisch Leblose im Menschen.

      Um die Gründung des literarischen Vorwärts

[1911/12]

      Unsere .. Mitarbeiterin fand in der Oranienstraße in der Nähe des Lokals der Heils Armee einen sehr großen, perlengestickten Ridicule, eine Tasche, in dieser Zeit, die uns noch zwingen wird uns von Kunstgewerblern tätowieren zu lassen, einen absichtlich geschmacklosen, mit einem Notizbuch das die folgenden Aufzeichnungen einer nahe stehenden Persönlichkeit enthielt, welche einen interessanten Einblick in jene Bewegung gewähren, die zur Gründung der .. führte, und die ganz gewiß das deutsche Geistes u Gesellschaftsleben revoltieren wird.

      Die Leute um Benj. Constant, die Mdm. de Charrières, die Staël lebten diese intellektuell-erotischen Verhältnisse, für die heute erst ein Apostel nötig ist. Constant trat für den Liberalismus ein u. war ein glänzender Kopf. Heute schlägt man alles mit der Realpolitik tot, deren traurigstes Zeichen das Prestige der christlich-sozialen Partei in Österr. ist. Im – auf die Frauen schimpfenden, nur die Mädels lobenden – Knurr, der einzige Politiker dieses Stils.

      Es wäre mir egal, ob aristokratisch od. sozialistisch – es kommt darauf an, Bedürfnisse hinaufzuleiten. Unsere Literaten – was fingen sie mit der Macht an?! Ich bin nun einmal Chemikerin, das ist das Traurige, daß man heute da nicht mehr heraus kann. Das einzige wäre eine erweiterte Erotik, eine πολις-Erotik. Ich möchte die Geschichte jener Zeit lesen, aber ich kann nicht, meine ehem. Arbeit nimmt mich von neuem ganz in Anspruch, mehr als je, obgleich ich gedacht hatte … Wenn man wenigstens anständige Zeitungen hätte.

      …

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