Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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wollten nach ihnen sehen»; dann musterte er das Zimmer. Bisher hatten sie sich nur auswärts getroffen – ein Eindringen Grauauge war das unangenehm, er fühlte sich ertappt und bloßgestellt, als ob ihn dieses gleichgültige Zimmer hätte verraten können; unbestimmt wartete er auf etwas. «Was für einen schönen Zigarrenspitz sie haben», sagte Toronto, «ich habe sie doch noch nie rauchen gesehn?» «Früher,» antwortete Grauauge. Es gehörte zu seiner Askese, zu den Gewohnheiten, von denen er das Gefühl hatte, daß er sie sich nicht mehr gestatten dürfe, und es ergriff ihn, daß Toronto sofort auf diese Spur seiner einstigen Männlichkeit gestoßen war.

      Sie spielten, das schmale Zimmer füllte sich mit Lärm und Rauch, Nikotakopulo erzählte mit seiner fettheiseren Stimme in den Pausen schmierige Geschichten. Grauauge kam sich um zehn Jahre zurückverschlagen vor, da gab es Kameraden und manchmal solche Stunden. Er war nicht zimperlich und hatte seinen Teil Schmutz auf den Fingern gehabt, in jungen Jahren, aber heute wollte es ihm nicht mehr gelingen. Es war nicht Moral, sein Gehirn gab bloß diese Gedankenverbindungen nicht mehr her, und mit einemmal fiel ihm ein, es war seine Arbeit. In der Lade des Tischs vor seinem Platz lag ein letzter Packen Blätter, den er noch nicht vernichtet hatte, Menschen tauchten auf mit Stirnen und kühlen Augen, Freunde, Genossen, eine Gemeinschaft, aus der er sich ausgeschlossen hatte. Er sah zu Toronto hinüber. Dessen Freude war wie etwas Übertriebenes gewichen, er blickte, ernst in seinen Stuhl gelehnt, auf die Karten und eine kleine, alltägliche Ärgerfalte saß zwischen seinen Augen. Wenn er die Stiche einholte, bewegte sich seine Hand wie das runde Kreisen eines Torflügels, der sich schloß. Ein kindliches Handfaßgefühl beschlich Grauauge. Toronto fühlte sich gleich ihm in diesem Augenblick unwohl und würde ihn befreien. Hinter der niederen schönen Stirne bereitete es sich vor; er hätte sie bewundernd küssen mögen. Er antwortete jetzt Tripodo und dem andern lebhaft, rasch, zwischen ihre Scherze eingekeilt mit ihnen dahinlärmend, und hatte seitlich ein Bewußtsein von dem sich verfinsternden Anblick Torontos, als ob er ihn nur durch einen schmalen Augenspalt sähe. Dann vermochte er, sich mit dem Gedanken zu quälen, daß er Ehrfurcht empfinde und daß Toronto in seiner jetzigen Lage für ihn das gleiche bedeute, was er einst selbst für andere gewesen war. Eine fremde uneinsichtig gesetzte Ordnung wehte körperlich zu ihm herüber, er bemühte sich einzuschieben, daß ihre Zusammenhänge gute seien und wenn es gelang erlebte er in bitterer Demut den verschüchternden Eindruck des Genies, den er aus einem harmlosen jungen Mann zu erzeugen vermochte.

      Endlich legte Toronto die Karten hin und machte dem Spiel ein Ende. Er tat es so klar und melancholisch, daß niemand gleich widersprach. Dann beklagte sich Tripodo ärgerlich und ein wenig, aber Toronto ließ ihn abgleiten. Nikotakopulo empfahl sich und während er sich anzog, entschloß sich auch Tripodo zu gehen. Als sie fort waren, sah Toronto eine Weile auf die Tür, dann zuckte er ärgerlich die Achseln und sagte: «Wissen Sie, dieser Grieche ist ein schmieriger Mensch, – so alt und solche Geschichten! Und Tripodo ist ein guter Bursch, aber er ist kein Kopf. Sie sind glaube ich ein Kopf!» Grauauge antwortete nicht. «Sie sind – aber habe ich nicht ein Talent so etwas zu erraten? Wissen Sie, ich habe so etwas Psychologisches, – Sie sind ein Kopf? Sie stellen sich bloß anders!» Beide schwiegen. «Ach, Grauauge,» sagte endlich Toronto, «ich bin ein schrecklich verurteilenswerter Mensch,» und seufzte schwer. «Aber wissen Sie, wir Italiener haben solch ein unbezähmbares Temperament. Sie werden das gar nicht verstehen, Sie mit ihren kalten Fischaugen.»

      Eine Zimmerpalme spreitete neben Grauauge auf einem schmalen Ständer reglos in einer unabsehbaren Öde ihre Blätter; die Vorstellung, daß das ein lebender Körper sei, erfüllte ihn plötzlich mit einer unbestimmten, unheimlich erregenden Lebensmöglichkeit. «Sie ist ein erhabenes und edles Geschöpf,» sagte Toronto, «und ich bin ihrer nicht würdig.» Grauauge fühlte, daß er sich ihm zu eröffnen begann; er schwieg und zitterte in den Knien. «Ich bin ihrer nicht würdig,» wiederholte Toronto. Wie ein zäher Pflanzensaft wand sich die Erwartung von Torontos Liebesschicksal bis in Grauauges Arme; ein neues wuchernd sinnloses Leben begann ihn zu füllen. Toronto sagte: «Sie sollen sie kennen lernen. Sie sollen mir beistehn. Ich habe es ihr gesagt. Sie sind der einzige anständige meiner Freunde, dem ich mich anvertrauen kann.»

      So gingen sie zu Frau Bertha. Es war kalt und neblig; sie gingen immer in der gleichen krystallinisch matt um sie geschliffenen Feuchtigkeit dahin, die sie nur einander sehen ließ, während die nächsten Gegenstände schon verschwammen. «Sie ist so gut,» klagte Toronto, «ich bin für sie Italien, Rom, wissen sie, der Süden. Sie hat so viel gelitten; sie ist älter als ich. Aber sie müssen mir schwören zu schweigen! Sie hat sich von ihrem Mann getrennt; vor vier Jahren, sie mußte. Sie verstehen das, Grauauge? Eine Frau wie sie konnte nicht mit einem solchen Mann …, sie war eine Dulderin. Ein Scheusal von einem Mann, ohne Phantasie, ohne Ideale, ohne Feuer! Sie mußte ihm ihr Kind lassen und er läßt sich nicht scheiden.» «Sie sind für sie geschaffen,» antwortete Grauauge, «sie strahlen Gewißheit aus!» Er schmeichelte in diesem Augenblick beinahe ohne Hinterhältigkeit. Aber es war nicht das, was Toronto meinte. «Ich bin zu jung,» seufzte er, «ich habe noch keinen Charakter.» Sie waren an das Haustor gelangt. Grauauge blickte rasch aufwärts, die Mauer entlang, es war ein gewöhnliches Haus mit Karyatiden und über den Fenstern geschwungenen Gesimsen. Im Innern führte sie eine breite Holztreppe mit bauchigen Geländersäulchen und einem Läufer aus Mattenstoff, dessen Farbe Grauauge an die Palme seines Mietzimmers erinnerte, zwei Stockwerke empor. Dort stand an einer einzigen großen Tür: Medinger. Als das Dienstmädchen geöffnet hatte, ging Toronto rasch hinein und Grauauge, der seinen Überrock zögernd auf das tuchüberzogene Brett mit dem unvermeidlichen Spiegel hing, hörte den überraschten Ausruf einer Frauenstimme, dann enttäuschtes Flüstern und Toronton, der ärgerlich sagte: «Aber du sollst ihn kennen lernen!»

      Der Empfang schüchterte ihn ein. Aber während er Frau Medinger ansah, fühlte er den neugiervollen und boshaften Reiz des ungebetenen Eindringens in ein fremdes Haus. Vor seinen Augen drehten sich noch einmal die Säulchen des Treppengeländers, die hochgezogenen Gesimse, das friedlose Schnörkelwerk der Verzierungen und wie in einer Ecke dieses inneren Gesichts, durch das er diebisch schlich, stand vor ihm diese Frau, die ihn feindselig betrachtete. Er begriff ohne Schwierigkeit, was man ihm noch nicht gesagt hatte. Sie mußte um mindestens zehn Jahre älter sein als dieser junge, liebenswürdige, freche Hund von Toronto, der ersichtlich ihren einzigen und schmerzlichen Glücksbesitz bildete. Sie hatte sich seinetwegen, – mochte es auch schon geschehen sein, bevor sie ihn kannte, – von ihrem Mann getrennt und nun betrog er sie mit dem ganzen Durst seiner zweiundzwanzig Jahre. Es schien Grauauge nicht sicher zu sein, daß sie es wissen müsse, aber jedenfalls ahnte sie es. Und weil der Zufall sie so lang hatte warten lassen, bis er ihr diesen einen brachte, oder weil sie festsaß auf einem Vorurteil von Scham wie ein Meertier auf seinem Stiel, suchte sie keinen andern, sondern verachtete Torontos Charakter, liebte ihn noch in solchen langen, ahnungsschweren Stunden und empfing Grauaugen mit kampfbereiten Mißtrauen wie ein häßliches hartes Werkzeug, mit dem ihre Zuflucht aufgebrochen werden sollte. Grauauge empfand ein selbstsüchtiges, auf der ähnlichen Verknüpfung ihrer Schicksale mit Toronto ruhendes Mitleid für diese Frau; sein erster Gedanke war ihr beizustehn und Toronton zu bessern. Seltsamerweise rieselte er ihm beinahe sinnlich, wie das Zusammenziehn haardünner Schlingen, bis in die Fußsohlen.

      Frau Medinger hatte Kaffee auftischen lassen und machte die Wirtin. Toronto erzählte von der Pension, vom gestrigen Tag, von seinen Freunden und baute Hoffnungen auf einen Umschlag des Wetters. Frau Medinger hörte zu, schmollte über die Freunde und hoffte gleichfalls, daß man noch einen Ausflug werde machen können, bevor die Wälder völlig entlaubt wären. «Dann kommen sie mit,» sagte Toronto zu Grauaugen, und Frau Medinger schwieg dazu. Danach erzählte sie von Bekannten. Frau Wagner aus der Friedrich Schultzestraße sei gestern bei ihr zum Kaffee gewesen und der Sohn von Frau Trentlein, der erst vor wenigen Tagen vom Militär zurückgekommen war, sei in diesem einen Jahr groß und ordentlich männlich geworden. Grauauge sah ihr zu. Sie hatte ruhige graue Augen, stattliche Hände und mußte runde, feste Waden haben. Ihr Gesicht aber war eins jener schon ein klein wenig durch die Jahre entkleideten Frauengesichter, die so verwirrend reizlos sind wie eine baumlose Hügellandschaft. Es dämmerte im Zimmer und roch leise nach Kaffee, die Möbel schatteten hoch und behaglich, Grauauge horchte auf die Worte Frau Medingers und eine bürgerliche Sinnlichkeit

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