Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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reden sollten. Sie saßen hinter den unverhangenen Scheiben und paßten auf die Frauen, die, im Nebel für einen Augenblick angeleuchtet, an dem Glas wie hinter den Wänden eines Aquariums vorbeiglitten. Es war eine stumpfe, verlaufene Sinnlichkeit. Toronto war zweiundzwanzig Jahre alt und nahm alle schon in der bloßen Möglichkeit für sich. Und Grauauge – er wußte nicht woran – war das angenehm zu fühlen. Ihm schien, daß seine Wünsche immer zu spät kamen; die heftige Männlichkeit dieses jungen Menschen schnitt ihn vom Leben ab und beschämte ihn leise; seine Gedanken schweiften. Und plötzlich schien ihm während irgend einer Sekunde alles wie früher. Dieses ganze Unterliegen vor gewöhnlichen Menschen war nichts Neues mehr. Es war natürlich, daß die Beliebigen draußen zu Toronto gehörten. Willenskraft glühte in ihm. Die Leute um ihn schmolzen ein. Er hatte keine Vergnügungen mit ihnen gemeinsam, er erregte nicht ihre Teilnahme und empfand keine für sie. Ihm, der eine Schere war, die hindurchgehen mußte, fehlten die kleinen Kräuselungen und Häkchen, mit denen die Natur die Menschen untereinander zu einem Gewebe verfilzt. Er fühlte geheimnisvoll, daß er nichts diesen Leuten Faßbares besaß, das sie hindern konnte, ihn zu verachten. Und zuweilen sagte er unvermittelt ein paar Worte, wie aus einer Vorrede, zu Toronto, bloß um sie wieder zu hören.

      Mit jener Gewaltsamkeit, ohne die er jetzt überhaupt kaum mehr sich zu sprechen traute, stieß er hervor: «Wo das Wissen aufhört, fängt heute die Oper an,» und schwieg, als hätte ein solcher einsamer Satz überhaupt schon eine Bedeutung. Oder er sagte: «Die Gefühlsamkeit ist durch die Angst vor dem Denken verdorben worden, als ob es so sein müßte. Man darf aber das Gefühl nicht den geistig Schwachen überlassen, bloß weil es jenseits des Wissens liegt.» Und ein unverständlicher Druck lag auch auf solchen allerweltsfarbenen Sätzen, an denen von innen wie an einem Tor gerüttelt zu werden schien. Toronto sah ihn dann fragend und verständnislos an, ernst in seinen Stuhl gelehnt, und eine kleine alltägliche Ärgerfalte, weil er so redete, saß zwischen seinen Augen; die schöpferische Ungeduld steigerte sich dadurch in Grauauge zum wegfegenden Haß.

      Im nächsten Augenblick aber stürzte die Wirklichkeit über ihn zusammen. Er war aus der Gemeinschaft der Geistigen ausgeschlossen und für die Sinne der Gewöhnlichen war sein Witz witzlos, seine Vernunft tatsächlich gering, seine Eigenschaften waren löchrig schlecht aneinandergewachsen, wie ein Schwamm, aus dem das Lebendige herausgestorben ist; die Reste seiner Kraft waren zu Schwächen geworden. Grauauge starrte bestürzt Toronto an; ihre Augen liefen wieder eine Weile miteinander hinter den Frauen her; und plötzlich brach er zusammen. Die Überlegenheit eines Menschen ist sonderbar, man braucht bloß ihrer Einbildung nachzugeben und das Vertrauen in sich ein wenig zu unterdrücken, so wird sie wirklich und beinahe körperlich drückend. Grauauge sah vollständig ein, daß Toronto ihm überlegen war; er erschien ihm vollkommen. Der vollendete Durchschnittsmensch ist so gut eine Harmonie der Kräfte wie das Genie und er glaubte ihn in Toronto zu erkennen. Ein fast kindliches Handfaßgefühl beschlich ihn. Für unbekannte Frauen empfand er jetzt Sympathie, weil sie Toronto gefielen. Er hätte ihm in die Tasche schlüpfen und sich mittragen lassen mögen.

      Grauauges nebligster Herbst [II]

[Um 1908]

      In der Schirmer’schen Pension wurde pünktlich um zwei Uhr gegessen. Aber Herr Eugenio Toronto erschien selten früher als zehn Minuten vor halb drei und niemand nahm es ihm übel. Signora Quengha aus Mexiko pflegte dann die Reste des ersten Gangs mit dem Zahnstocher aus ihrem Mund wieder zu entfernen, eh Eugenio, ciao schrie Herr Tripodo aus Bologna jeden Mittag über den ganzen Tisch herüber und Herr Nikotakopulo aus Athen vergaß nie hinzuzufügen: gut geschlafen heute? Wobei seine Lippen zweideutig gefettet sich spalteten und seine Hand stets nach irgend etwas in den Taschen seiner weiten Pantalons suchte. Frau Schirmer machte ein nachsichtiges Duldergesicht, Eugenio Toronto’s Augen aber lächelten, seine Stirn war glatt unter den gescheitelten, trocken üppigen Haaren und seine Lippen strahlten. Er fühlte dann, daß er eine Ausnahmsstellung hatte. Die Lenden dieses jungen Menschen waren mager, alle bewunderten seine Brust, die wohlgewölbt und stets mit einem battistenen Hemd und einer zart entzückenden Weste bekleidet war, und seine langen, schmalen Finger brachen das Brot mit jugendlicher Federkraft. Es ging etwas unterleibhaft Angreifendes von ihnen aus, geheim; in ihren Spitzen lag, niemandem bewußt, etwas wie das Schwirren einer Maultrommel. Fräulein Landauer, die Vorsitzende des Säuglingsheimvereins, sagte einmal von ihnen: «Als ob Flügel daran wären!»

      Dies war das einzigemal, daß Walther Grauauge, der neben ihr saß, ihr widersprach. Er sagte leise: «Im Gegenteil, man spürt ein standhaftes Wohlgefühl in den Füßen, wenn man ihn ansieht. Man spürt dort ein Gefühl für ihn; eine Nebenseele, die zufrieden wäre, wenn sie mit der seinen, und überhaupt wie in einem Rudel Hunde laufen könnte …» Seine Nachbarin sah ihn erstaunt an, sie wußte nicht recht, sah dann nach der andern Seite und schwieg. Auch Herr Grauauge schwieg. Er sank wieder in sich zusammen und betrachtete aufmerksam den jünglinghaften Gott, der hastig die Suppe in sich hineinlöffelte und rasch – gleichsam mit dem Munde ihnen nachgallopierend – die übrigen einholte. Bald jedoch erschrack er heftig, denn Fräulein Landauer war mit sich fertig geworden und sagte laut: «Hören sie, der Herr neben mir hat in den Füßen eine zweite Seele»; und es gelang ihm auch diesmal nichts, was er diesem dummen und höhnischen Überfall hätte entgegenstellen können.

      Sein Ansehen stand nicht gut in der Pension. Er wohnte außerhalb und kam nur zum Speisen. Oft saß er mit ganz unbeteiligtem Gesicht, wenn alle andern über einen Scherz lachten. Und manchmal lächelte er, wenn er selbst irgend etwas gesagt hatte, und kein Mensch verstand, wo daran ein Witz gewesen sein sollte. Meistens lächelte er aber nur aus Liebenswürdigkeit und oft viel zu spät, was diese Leute für ein sicheres Zeichen von Dummheit hielten. Es gelang ihm nicht, in diesem untergeordneten Kreis auch nur jenes Mindestmaß von Achtung zu gewinnen, dessen Fehlen jedesmal eine fahrlässige Beleidigung ist. Frau Schirmer ließ nie die Mädchen bei ihm mit der Bedienung beginnen, und nie richtete sie ihr Wort an ihn; wenn ihn aber einer der andern ansprach, sahen ihn alle an, als warteten sie auf etwas sehr Komisches. Das geschah, trotzdem er sich höflich und keineswegs lächerlich benahm. Es war böser Zufall. Er hätte, um ihm auszuweichen, bloß ein andres Haus zu suchen brauchen; allein er kam ihm seltsam genug vor um zu bleiben. Er schlief unsicher und hatte oft in den Nächten die Empfindung von tastenden Augen, die wie ein Haufen Kerbtiere rings um ihn lebendig waren; mittags aber faßte ihn zuweilen ein plötzliches Abströmen seiner Gedanken, wie ein ungewisses Bild in diesem dunklen sich leerenden Trichter schien er seine Lage wiederzuerkennen und etwas wie Traum schlug in ihm auf, Abersinn, Schläfrigkeit, während er reglos spürte, wie unfreundlich man ihn betrachtete.

      Bloß Toronto erwies ihm von Anfang an ein kleines, wohlwollend lustiges Interesse. Er sagte: «Dieser Grauauge ist ja nicht sehr geweckt, aber er hat etwas Zuverlässiges.» Und vor ihm sagte er: «Grauauge, seien sie lebendiger!» Oder: «Was haben sie nur in ihrer Mappe, die sie immer ans Fenster legen; ich glaube gar, sie sind ein heimlicher Philosoph.» Und: «Grauauge, haben sie schon je eine Frau geliebt? Wie ist das für sie? Kommen sie doch einmal mit mir, wir wollen bummeln.» Grauauge aber hielt an sich, zwang sich mit Willen in einen gleichen Ton, errötete über das Ungeschick, das er dabei zeigte, und mußte deshalb darüber nachdenken, welche von diesen Frauen wohl Toronto’s Geliebte sein mochte, denn er fühlte wie einen fremden, in ihn noch nicht ganz hineinpassenden Reiz die Hingabe, die Toronto durch seinen Sieg über ihn in ihr erwecken mußte.

      Es war schon weit im Herbst, als Grauauge die Gesellschaft Eugenio Toronto’s zu suchen begann. Er wußte nicht warum; seine Nähe tat ihm unbestimmt wohl. Es regnete viel. Auf dem glänzenden Asphalt schwammen gelbe Blätter. Die Tage glitten neblig dahin und schon gegen fünf Uhr begannen sie leise zu zerrinnen. Um sechs Uhr zitterten die Lichter der Laternen feucht in langen Reihen. Frauen gingen mit höher gehobenen Röcken als sonst. Sie tauchten unmittelbar vor den Augen auf, so daß man erschrocken in die Kugel ihrer Ausdünstung geriet, und schon verflossen sie wieder in dem allgemeinen Geruch von feuchter Luft und unbekannten nassen Kleidern. Es war der erste Herbst, wo Grauauge nicht arbeitete; qualvoll in einer Weise, die er sich vordem nie vorgestellt hatte.

      Die einfachsten Überlegungen wuchsen zu einem Dickicht in die Quere, durch das

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