Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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hatte, solange er ein Genie war: eine jener Frauen, die eine ernste, wirkliche Anspannung nicht erlauben, weil sie vor dem Geiste lächerlich und vielleicht im Grunde widrig sind, die zu anständig sind, um ohne eine solche Anspannung genommen werden zu können und von denen ein schweres, flaches, brotduftendes Verlangen nach ihrer Alltäglichkeit ausströmt, ihren gutmütigen Häßlichkeiten, schlechten, kleinen Gewohnheiten und ihrer treuen, unbeholfenen, haustüchtigen Unkeuschheit. Und er fühlte jetzt niedergeschlagen, daß er gleich zu Beginn sich schlecht bei ihr eingeführt hatte. Ihre enttäuschte Stimme bei seinem Kommen klang ihm noch einschüchternd in den Ohren. Er wurde mutlos. Aber je unfähiger er sich fühlte, desto häufiger lenkten sich seine Blicke unwillkürlich jetzt wieder auf Toronto. Der war heiter und sicher und sprach so vergnügt mit dieser Frau, wie man an einer schon längst kurz gerauchten Zigarre kaut. Und allmählig begann Grauauge den Biegungen, dem Fall und Knarren dieser Stimmen zu folgen, er suchte sich die Art der Leidenschaften vorzustellen, die in ihnen eingefaltet sein mochten und empfand eine Sinnlichkeit, die gar nicht ihm, sondern den Besitzern dieser Wohnung zu gehören schien, die immer dunkler wurde und diese drei Menschen wie mit einer gemeinsam satten weichen Flaut umspannte.

      G. fiel plötzlich ein: der Fruchtsack – das gedärmhaft keimende Leben.

      Eine sonderbar beruhigende Vorstellung: er wird Sinnlichkeit durch T. empfinden. Er kann nicht mehr anders. (Ev. als Inhalt der nächsten Tage) So gerät er unter Ts Sinnlichkeit; eine Atmosphäre von Verbrechen u Erotik

      Grauauges nebligster Herbst [III]

[Um 1908]

      An einem alten Haus der L-straße baumelte ein Zettel im Wind; zwei Treppen rechts war ein Zimmer zu vermieten. Ein jüngerer, völlig rasierter Herr hielt ihn mit zwei Fingern fest und las ihn. Es war unfreundliches Wetter. Dann trat er ein paar Schritte in die Straße zurück und besah das Haus. Es war ein gewöhnliches Haus mit Karyatiden und über den Fenstern geschwungenen Gesimsen. Sein Anblick (das) schien den Herrn zu befriedigen, denn er trat ein und stieg die Treppe empor; eine breite Holztreppe mit bauchigen Geländersäulchen, einem Läufer aus palmengrünem Mattenstoff und friedlosem Schnörkelwerk an den Wänden. Oben stand an der großen, einzigen Tür: Medinger.

      Als das Mädchen ihn meldete, hörte Grauauge gedämpftes hastiges Sprechen; eine enttäuschte Frauenstimme und einen Mann, der sagte: «Aber du sollst doch …!» Dann kam Frau Medinger heraus, erwiderte kurz seinen Gruß und zeigte ihm das Zimmer. Es gefiel ihm sehr; es hatte eine Einrichtung aus gepreßtem Peluche, ein Sofa mit einem Aufbau, auf dem allerhand Photographien standen, Ansichtskarten, Porzellanfigürchen und eine kleine Kaiserbüste aus Gips; neben dem Fenster aber wiegte sich ein graugrünes Gewächs über einem flammenden Majolikatopf. Es war alles gerade so, wie er es jetzt suchte. Er mietete das Zimmer und ging weg seine Sachen besorgen.

      Als Frau Medinger zu Toronto in das Wohnzimmer zurückkehrte, sagte sie gleich: «Er gefällt mir nicht; er hat so etwas Schleichendes.» Und nach einer Weile schüttelte sie plötzlich wieder tadelnd den Kopf und äußerte: «Das ist doch kein Mann.» Sie wußte eigentlich selbst nicht warum. «…Aber was will man machen,» schloß sie mit einem Seufzer. Das Zimmer hatte fünf Wochen leergestanden und Frau Medinger war, seit sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, darauf angewiesen, es zu vermieten. Toronto meinte: «Nun, ich werde ihn ja bald sehen.»

      Der Fremde zog ein. Er hieß Grauauge. Er brachte einen Koffer mit Kleidern und Wäsche, einige Engelhornbände, die er sich angeschafft hatte, nichts was auf einen Beruf oder eine Neigung hätte schließen lassen. Seine Möbel, seine Bibliothek, seine Bilder hatte er verkauft, selbst seine Kleider, für die er sich einfachere hatte machen lassen. Es gefiel Frau Medinger nicht, daß er lange schlief. Um zehn Uhr, mochte er geläutet haben oder nicht, brachte sie ihm rücksichtslos den Kaffee. Er lag dann gewöhnlich noch im Bett und sah sie verschlafen, in einer ihr unangenehmen, verstörten Weise an. Doch verbat er es sich niemals. Schweigend stellte sie das Frühstück auf seinen Schreibtisch und kehrte – von seiner demütigen, unnachgiebigen Trägheit stets von neuem gereizt – zurück. (So lebten sie das unklare Verhältnis zwischen Zimmerherr u Vermieterin, das zwischen zwei einander gleichgültigen Menschen gattenmäßige Vertraulichkeiten ruhig hin und her schlurren läßt.) Oft ging er erst gegen Abend aus, es war ruhig im Zimmer, sie wußte nicht was er trieb. Er tat nichts.

      Er sah auf die Straße, wartete auf die Dienstmädchen, die in ihren Kattunkleidern rasch noch querüber durch den Regen etwas besorgen liefen, und hatte nichts anderes, worauf er warten konnte. Zuweilen – so allein mit seiner Taschenuhr und dem leisen Knarren seiner Schuhe, wenn sich der Druck seines Körpers ein wenig anders verteilte – fiel ihm mit einemmal ein, daß man ihn beobachten und daß seine ewig gleiche, reglose Erscheinung hinter den dunklen Fensterscheiben sich herumsprechen könnte. Sooft er ein Geräusch hörte oder unten sich ein Kopf hob, erschrack er dann, aber er wußte, riß er sich vom Fenster los, ging an den Tisch und machte Licht, so stand er gegenüber dem Nichts. Er kaufte Karten und legte Patiencen. Dann wieder ging er plötzlich viel spazieren. Er schien ein sehr unregelmäßiges u. planloses Leben zu führen.

      «Er gefällt mir nicht» wiederholte Frau Medinger mehrmals zu Toronto, «ich kann ja nicht klagen, er ist höflich und ordentlich, aber es ist etwas an ihm.» Sie hätte ihm am liebsten wieder gekündigt, aber das Geld (hielt sie zurück) und dann hatte sie ohnedies Sorgen. Toronto war nicht mehr so wie er sollte; er blieb manchmal unter allerlei Entschuldigungen aus und an andern Tagen wieder kam er nur mit einigen Freunden, die er zu ihr eingeladen hatte. Ihr ahnte, daß er sie betrog; er war fast um zehn Jahre jünger als sie und Italiener. Wenn sie allein waren, wußten sie jetzt schon nach wenigen Minuten nichts miteinander zu reden oder kamen – obgleich sie schon ungezähltemale davon gesprochen hatten – wieder auf die Zeit zurück, wo sie sich kennen gelernt hatten und erinnerten einander an diese und jene Einzelheit und wie sie gleich damals alles gespürt hatten. Frau Medinger wußte genau, daß an solchen Tagen Toronto den Wunsch hatte sich und sie in zärtliche Stimmung zu bringen, diese Absichtlichkeit beleidigte sie und doch unterlag sie selbst jedesmal wieder der Lockung dieses trag süßen Erinnerungspiels. Mißtrauisch empfing sie seine Liebkosungen, witterte in ihnen neue Gewohnheiten, die er sich bei Kokotten angeeignet haben mochte, obwohl sie von solchen nur eine sehr unklare Vorstellung hatte, und die Wollust keuchte in ihrem großen widerstrebenden Körper wie ein schweres Pferd, bevor sie ihn bewegte, (es ihr gelang ihn in Bewegtheit zu bringen) Hinterher fühlte sie sich gedemütigt; aber weil der Zufall sie solang warten lassen und verschüchtert hatte, bis er ihr diesen einen Menschen brachte, oder weil sie festsaß auf einem Vorurteil von Scham und Stolz wie ein Meertier auf seinem Stiel, brachte sie es nicht über sich ihrem Geliebten etwas entscheidendes zu sagen und dachte an keinen andern, sondern verachtete Torontos unbeständigen Charakter, liebte ihn noch in solchen langen ahnungsschweren Stunden und verursachte bloß wegen irgend einer Äußerlichkeit manchmal einen derben Auftritt; denn sie wäre zu gern nichts als gut und glücklich gewesen.

      Zuweilen kam sie in Grauauges Zimmer, wenn er nicht zuhause war, und suchte nach Beschädigungen der Möbel, nach liegengelassenen Briefen, vergessenen Haarnadeln, in der uneingestandenen Hoffnung etwas zu finden, das sie in die klare Notwendigkeit versetzen würde, ihm zu kündigen. Allein das Zimmer sah wie unbewohnt aus und statt beruhigt zu sein, fühlte sie einen unbestimmten Argwohn dadurch neu gewachsen. Einmal bat sie sogar Toronto, mit ihr das Zimmer zu durchsuchen. Grauauge hatte sie beim Weggehen zum erstenmal gebeten gehabt, ihn am nächsten Morgen nicht zu wecken. Sie öffneten seinen Schrank und durchstöberten seine Sachen, öffneten seine Laden und den Koffer, aber sie fanden nichts außer den Spielkarten, harmlosen Büchern, Wäsche und Kleidern. Erst als sie schon zu Ende und wirklich enttäuscht waren, bemerkte Toronto noch eine große graue Mappe, die an der Wand unter dem Fenster lehnte. Als sie sie aufmachten, sahen sie japanische Farbendrucke und allerhand Radierungen und Frau Medinger fuhr plötzlich, nachdem sie das erste Blatt begriffen hatte, mit rotem Kopf zurück, hielt sich schutzsuchend an Torontos Arm fest und schob vorsichtig das Gesicht wieder über seine Schulter nach vorne. «Pornographien», erläuterte T. bedeutungsvoll. «Solch ein Schwein!» sagte Frau Medinger; «Du wirst sehn, wir bekommen es seinetwegen noch mit der Polizei zu tun.» Als Grauauge

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