Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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mehr der kleinen Tänzerin widmete. Jetzt aber nicht nur, weil sie wundervoll tanzte, sondern auch weil sie schlecht rezitierte und mit ihren ängstlichen Bemühungen P. A. klein machte. Eine lässige Sehnsucht stieg auf. Diese Sehnsucht ist, fühlte er, wie der halbbeleuchtete Zirkus, wenn man zu früh vor der Vorstellung kommt. Blanche wird erscheinen, Blanche wird Zulächeln, Blanche wird die Einladung des Herrn Bezirkskommissärs annehmen. Sie wird nachts von ihm in den großen leeren Zirkus, wo nur ein Gasstern brennt, zurückgelegt werden und wenn man das Tor öffnet, wird sie verwandelt duften, wie die Kleider in Mamas Truhe. Und noch zuhause, während er das Zimmer, in dem er saß, im Spiegel betrachtete und ein wenig unwirklich fand, sagte er sich: Man sollte dem mehr nachgehn … Nie wirklich gewordene Gefühle, plötzliches, unverantwortliches Aufleuchten … also wie war das damals .. und vor einer Stunde noch? … Man sollte doch solche Dinge nicht gleich wieder vergessen …

      Dann dachte er daran, wie er Blanche ja noch einmal wiedergesehen hatte, es war der einzige Kuß, den sie ihm je gab, am Weg zum Bahnhof in Leoben, er war fünfzehn Jahre alt, Blanche war schon etwas scharf im Gesicht. «Wir reisen morgen fort, aus Europa weg,» sagte sie; «nach Spanien ….»

      Grauauges nebligster Herbst [I]

[Um 1908]

      In der Schürer’schen Pension wurde pünktlich um zwei Uhr gegessen. Aber Herr Eugenio Toronto erschien selten früher als zehn Minuten vor halb drei und niemand nahm es ihm übel. Signora Quengha aus Mexiko pflegte dann die Reste des ersten Gangs mit dem Zahnstocher aus ihrem Mund wieder zu entfernen, «eh Eugenio, ciao» schrie Herr Tripodo aus Bologna jeden Mittag über den ganzen Tisch herüber und Herr Nikotakopulo aus Athen vergaß nie hinzuzufügen: «gut geschlafen heute?» Wobei seine Lippen zweideutig gefettet sich spalteten und seine Hand stets nach irgend etwas in den Taschen seiner weiten Pantalons suchte. Frau Schürer machte ein nachsichtiges Duldergesicht, Eugenio Toronto’s Augen aber lächelten, seine Stirn war glatt unter den gescheitelten, trocken üppigen Haaren und seine Lippen strahlten. Er fühlte dann, daß er eine Ausnahmsstellung hatte. Die Lenden dieses jungen Menschen waren mager, alle bewunderten seine Brust, die wohlgewölbt und stets mit einem battistenen Hemd und einer zart entzückenden Weste bekleidet war, und seine langen, schmalen Finger brachen das Brot mit jugendlicher Federkraft. Es ging etwas unterleibhaft Angreifendes von ihnen aus, geheim; in ihren Spitzen lag, niemandem bewußt, etwas wie das Schwirren einer Maultrommel. Fräulein Landauer, die Vorsitzende des Säuglingheimvereins, sagte einmal von ihnen: «Als ob Flügel daran wären!»

      Dies war das einzigemal, daß Walther Grauauge, der neben ihr saß, ihr widersprach. Er sagte leise: «Im Gegenteil, man spürt ein standhaftes Wohlgefühl in den Füßen, wenn man ihn ansieht. Man spürt dort ein Gefühl für ihn; eine Nebenseele, die zufrieden wäre, wenn sie mit der seinen und überhaupt wie in einem Rudel Hunde laufen könnte …» Seine Nachbarin sah ihn erstaunt an; sie wußte nicht recht, sah nach der andern Seite und schwieg. Auch Herr Grauauge schwieg. Er sank wieder in sich zusammen und betrachtete aufmerksam den jünglinghaften Gott, der hastig die Suppe in sich hineinlöffelte und rasch – gleichsam mit dem Munde ihnen nachgallopierend – die übrigen einholte. Bald jedoch erschrack Grauauge heftig, denn Fräulein Landauer war mit sich fertig geworden und sagte laut: «Hören Sie, der Herr neben mir hat in den Füßen eine zweite Seele!» Und es gelang ihm auch diesmal nichts, was er diesem dummen und höhnischen Überfall hätte entgegenstellen können.

      Sein Ansehen stand nicht gut in der Pension. Er wohnte außerhalb und kam nur zum Speisen. Oft saß er mit ganz unbeteiligtem Gesicht, wenn alle andern über einen Scherz lachten. Und manchmal lächelte er, wenn er selbst irgend etwas gesagt hatte, und kein Mensch verstand, wo daran ein Witz gewesen sein sollte. Meistens lächelte er aber nur aus Liebenswürdigkeit und oft viel zu spät, was diese Leute für ein sicheres Zeichen von Dummheit hielten. Es gelang ihm nicht, in diesem untergeordneten Kreis auch nur jenes Mindestmaß von Achtung zu erringen, dessen Fehlen jedesmal eine fahrlässige Beleidigung ist. Er wußte, daß Frau Schürer nie die Mädchen bei ihm mit der Bedienung beginnen ließ, und nie richtete sie ihr Wort an ihn; wenn ihn aber einer der andern ansprach, sahen ihn alle an, als warteten sie auf etwas sehr Komisches. Das geschah, trotzdem er sich höflich und keineswegs lächerlich benahm.

      Es war böser Zufall. Er hätte, um ihm auszuweichen, bloß ein andres Haus zu suchen brauchen; allein er kam ihm seltsam und bezeichnend genug vor um zu bleiben. Er schlief unsicher und hatte oft in den Nächten die Empfindung von tastenden Augen, die wie ein Haufen Kerbtiere rings um ihn lebendig waren; mittags aber faßte ihn zuweilen ein plötzliches Abströmen seiner Gedanken, wie ein ungewisses Bild in diesem dunklen sich leerenden Trichter schien er seine Lage wiederzuerkennen und etwas wie Traum schlug in ihm auf, Abersinn, Schläfrigkeit, während er reglos spürte, wie unfreundlich man ihn betrachtete.

      Bloß Toronto erwies ihm von Anfang an ein kleines, wohlwollend lustiges Interesse. Er sagte: «Dieser Grauauge ist ja nicht sehr geweckt, aber er hat etwas Zuverlässiges.» Und vor ihm sagte er: «Grauauge, seien sie lebendiger!» Oder: «Was haben sie nur in ihrer Mappe, die sie immer ans Fenster legen; ich glaube gar, sie sind ein heimlicher Philosoph.» Und: «Grauauge, haben sie schon je eine Frau geliebt? Wie ist das für sie? Kommen sie doch einmal mit mir, wir wollen bummeln.» Grauauge aber hielt an sich, zwang sich mit Willen in einen gleichen Ton errötete über das Ungeschick, das er dabei zeigte, dachte plötzlich daran, welche von diesen Frauen wohl Toronto’s Geliebte sein mochte, und empfand wie einen schlüpfrig kriechenden Reiz durch seine Niederlage hindurch den Triumph, den sie in ihr erregen mußte.

      Es war schon weit im Herbst, als Grauauge die Gesellschaft Eugenio Toronto’s zu suchen begann. Er wußte nicht warum; seine Nähe tat ihm unbestimmt wohl. Es regnete viel. Auf dem glänzenden Asphalt schwammen gelbe Blätter: Die Tage glitten neblig dahin und schon gegen fünf Uhr begannen sie leise zu zerrinnen. Um sechs Uhr zitterten die Lichter der Laternen feucht in langen Reihen. Frauen gingen mit höher gehobenen Röcken als sonst. Sie tauchten unmittelbar vor den Augen auf, so daß man erschrocken in die Kugel ihrer Ausdünstung geriet, und schon verflossen sie wieder in dem allgemeinen Geruch von feuchter Luft und unbekannten nassen Kleidern. Es war der erste Herbst, wo Grauauge nicht arbeitete; er quälte ihn.

      Die einfachsten Überlegungen wuchsen zu einem Dickicht in die Quere, durch das es kaum ein Vorwärtskommen gab. Die Wahl eines Hutes oder eines Spaziergangs, die der Antwort auf eine Beleidigung, deren Siegergefühl ein davongehender Mensch auf der Straße mit sich nimmt, alles war überaus schwer und stockte lange nach. Grauauge erkannte erst jetzt, welche Verweichlichung in dem Wissen um eine Arbeit lag. Wie eine Seiltrommel ein Seil rollt sie das Leben gleichmäßig auf sich hinauf und richtet unerbittlich jedes herankommende Stück in die Linie ihres Zuges. Jetzt aber war er geistig ein Kridatar, ein Abgeworfener. Der jahrealte Glaube an seine Sendung war fort. Zufällig, in diesem Sommer, beim Lesen einer bedeutungslosen Nachricht, war in ihm mit einemmal die Gewißheit emporgesprungen – unterirdisch hatte sie sich wohl schon längst angeschlichen gehabt –: es geht nicht, Du kannst es nicht. Das galt nicht einem Ziel, das man noch einmal anders versuchen konnte, sondern dem Ganzen. Es war der fast dämonisch plötzliche Verzicht, das Ungeheure, Geistige zu tun, auf das er gehofft hatte. Es mochten ihm nur Kleinigkeiten fehlen, die in keinem inneren Zusammenhang mit seiner Aufgabe standen und die jeder haben konnte, wie ein treues Gedächtnis oder die Kraft unermüdlich zu lesen; aber miteinemmal wußte er jetzt, daß er das nie einbringen werde, und das schreckliche Gefühl brach an: Diese Zeit wird gehen, über dich hinweg gehen, später wird sich aus mehreren zusammenfinden, was in Deinem Gehirn vereint war, und andere werden es vollbringen.

      Von diesem Augenblick an war er für sich zwecklos. Er wollte sich zu einem Durchschnittsleben erziehen. Aber das war für ihn voll unerwarteter Schwierigkeiten. Seit er keine Theorie mehr von sich besaß, war er ganz seinen Trieben überlassen und fühlte erschüttert, daß er ohne Theorie von sich, ohne die richtunggebenden Kräfte einer Rolle auch keine ausgeprägten Triebe besaß. Nur eine unbestimmte peinliche Sehnsucht nach einer Geliebten, die ihm den Übergang hätte erleichtern können, war oft in ihm; aber sie glich eher einer Verzweiflung und Angst oder der wüsten Unordnung dieses feuchten langen Herbstes, mit

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