Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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weniger wäre auch von einer biomechanischen, auf die Möglichkeiten des Körperbaus gegründeten, Betrachtungsweise zu erwarten, die das Schwimmen des Menschen mit dem der Tiere vergleicht. Wir sind im Wasser Vierfüßler. Die natürlichen Versuche eines «Nichtschwimmers», sich über Wasser zu halten, haben bekanntlich große Ähnlichkeit mit dem Schwimmen des Hundes, noch größere mit dem des Affen, soweit ich mich nach ein paar Beobachtungen an dieses erinnern kann. Geht man davon aus, so erscheint das Crawlen als eine Rückkehr zur Natur ein abgefeimtes Nichtschwimmen, das allerdings auch mit allerhand Bewegungselementen versetzt ist, die dem Körper von Robben, Seehunden und südlicheren Meisterschwimmern abgeguckt sind; und dazwischen, aber abseits von dieser geraden Entwicklungslinie, wäre dann wohl erst das Brustschwimmen einzuordnen, als der ursprüngliche Versuch, besser zu schwimmen, als es einem von Natur gegeben ist, der sich scheinbar nach irgendwelchen rudernden Wassertieren, Käfern, Kröten oder ähnlichen, gerichtet hat.

      Ich glaube, daß solche Untersuchungen recht fesselnd sein könnten, und auch in dem Wunsch, Ihnen ein Gefallen zu erweisen, da Sie doch nun einmal Ihren Sport «ernst» nehmen wollen, habe ich mich bemüht, physikalische und biologische Literatur darüber aufzutreiben. Ich will nicht behaupten, daß es keine solche gibt, da ich nicht genug Zeit hatte, alle Möglichkeiten zu erschöpfen, aber das eine kann ich Ihnen melden, daß in der größten technischen Bibliothek Deutschlands bei Benutzung der Kataloge und aller üblichen bibliographischen Hilfsmittel keine einzige solche Behandlung unseres Gegenstands nachzuweisen war.

      Demnach scheint Crawlen also doch noch keine Wissenschaft zu sein.

      Das ist sehr bitter, denn dadurch rückt es in den Bereich der Kunst und der Persönlichkeit. Wahrhaftig haben Sie mich ja auch gleich gefragt, was es bedeute, daß das Crawlen nach einem Stil geübt werde, genau so wie die Kunst, und worauf ein solches Phänomen wie Stil überhaupt hinauskomme. Sie werden natürlich selbst beobachtet haben, daß alle Arten des Crawlens, wie es nicht anders sein kann, gewisse Eigentümlichkeiten gemeinsam haben, so die im allgemeinen flache Lage des Körpers, die weiche Streckung des Beins, die gestielt-blattartige und fliegenklappenähnliche Mitbewegung des Fußes; auseinander gehen dagegen die Meinungen zum Beispiel über die Zahl und Skandierung der Fußschläge im Verhältnis zum Armtempo, über den Weg des Arms, über den Grad der Körperstreckung und vor allem über das Zusammenwirken dieser Einzelheiten. Muß man durch irgendwelche Umstände mehrmals den Lehrer wechseln, so gerät man unweigerlich in die Gefahr des Ertrinkens. So zeigt sich der Stil. Ungefähr ebenso klar wird er sich Ihnen zeigen, wenn Sie Gelegenheit haben, ihn an berühmten Schwimmern zu beobachten: Jeder macht jedes in seiner Weise. Betrachten Sie die Figuren, so finden Sie alle Arten von ihnen auch innerhalb der gleichen «Strecke», obwohl sich doch Körperbau und Leistung gegenseitig beeinflussen. Mann und Frau, ohne Zweifel ungleiche Verhältnisse dem Wasser darbietend, schwimmen trotzdem in keinem auffällig verschiedenen Stil. Ja sogar der Anteil der Beinarbeit, der am geheimnisvollsten aussieht, versetzt uns nach langer Enträtselung erneut in Bestürzung, da es sich herausgestellt hat, daß auch ein Mann, dem ein Fuß fehlt, einer der besten Schwimmer werden kann.

      Ihre Frage, was Stil sei und bedeute, möchte ich also doch lieber nicht auf einem Gebiet beantworten, das so anstrengende Ansprüche an den Geist stellt wie der Sport, ja ich möchte sie überhaupt nicht beantworten. Nur soviel davon: Von Stil spricht man immer dort, wo eine Leistung nicht eindeutig abgefordert ist, wo ein gewisses arbiträres Verhältnis zwischen Aufgabe und Lösung herrscht. Er ist ein Ersatz der Normierung, aber keineswegs ein willkürlicher. Denn dem Stil liegt immer eine mit oder ohne Bedacht ausgefeilte Methode zugrunde, die sich in ihrer Art vervollkommnen läßt, bis ein Punkt erreicht wird, wo es so nicht weitergeht. In diesem Sinn hat die Schönheit Stile, und nahe verwandt damit sind die Moden, aber das Wesentliche daran ist nicht etwa, daß der Geschmack ein anderer wird, sondern daß er der gleiche bleibt, nämlich ein Etwas, dem es im Grunde nie klar ist, was es will. Wir scheinen die merkwürdige Eigenschaft zu haben, daß wir, wenn wir einmal etwas wollen, es so lange weiter wollen können, bis nichts mehr zu wünschen übrig bleibt, daß wir aber im Ganzen nicht wissen, was wir wollen sollen. So verhält es sich ja meistenteils auch in der Kunst, wo die Stile aufblühn, in sich dicht werden und vermorschen wie die Bäume. Und so kann man sogar von Stilen der Moral reden, was verrät, daß diese nicht so sicher ist, wie sie selbstsicher tut.

      Wenn Sie das nun auf das Crawlen anwenden wollen, so werden Sie erkennen, daß wirklich auch da der Stil die Kunst ist, eine Unwissenheit auszugleichen, in diesem Fall die um die rationellen Bedingungen des Schwimmens, die herauszubekommen bei einer verhältnismäßig so einfachen Zweckhandlung mit der Zeit sicher gelingen wird. Dann wird es nur noch soweit Stil geben, als die verschiedenen Arten der körperlichen Anlage verschiedene Ausnutzung verlangen, und etwa noch soviel wie bei einem Rennboot, das doch immer eine Individualität ist, wenn es auch nach noch so genauen Formeln gebaut wird. Höhere geistige Vorgänge, wie etwa bei den eigentlichen Kampfsporten oder beim Reiten, wo das Verhalten zu einem zweiten Wesen mit ins Spiel kommt, werden vom Schwimmen wenig in Anspruch genommen. Aber indem ich das Wort höhere geistige Vorgänge niederschreibe, brennt mir auch schon die Warnung auf der Zunge, die ich bisher zurückgedrängt habe: Suchen Sie auf keinen Fall im Sport das Hohe, sondern nimmer nur das Niedere! Das wird heute im Wert verwechselt und auf eine Weise, die so eigentümlich ist, daß ein paar Worte darüber schon wirklich lohnen.

      Wir hören es nie anders, als daß der Sport menschlich erziehe, worunter ungefähr verstanden wird, daß er seinen Jüngern allerhand hohe Tugenden, wie Freimut, Verträglichkeit, Redlichkeit, Geistesgegenwart, klares und schnelles Denken verleihe. Nun, Sie wissen es: der große Sportsmann ist nicht nur ein Genie, sondern – solange er keine Prozente nimmt – auch ein Heiliger. In Wahrheit würde aber, ebenso ernst genommen, auch jede andere Beschäftigung die gleichen Tugenden verleihn, und was der Sport moralisch noch anderes bewirkt, ist höchstens eine Verfassung gelassener Nettigkeit und Aufmerksamkeit auf sich und andere, wie man sie auch aus den erschlossenen ersten Tagen eines Sommeraufenthalts kennt, und jenes sichere Verhältnis zur Natur, das sich in dem Gefühl äußert, man könnte Bäume ausreißen. Im Sport die Ausbildung höherer moralischer und intellektueller Fähigkeiten zu suchen, kommt von jener veralteten Psychologie, die geglaubt hat, das Tier sei entweder eine Maschine, oder es müsse, wenn es eine Wurst sehe, einen Syllogismus von der Art baun: das ist eine Wurst, alle Würste sind wohlschmeckend, also werde ich jetzt diese Wurst essen. Nun ist das Tier aber weder eine Maschine, noch baut es Syllogismen, noch schließt und urteilt der Mensch in reizvollen Lagen so. Sondern was bei Tier und Mensch stattfindet, ist bei schnellen Handlungen ein geschichtetes Ineinandergreifen von artmäßig und persönlich festgelegten Verhaltensweisen, die beide fast mechanisch auf äußere Reize «ansprechen», dazu eine vorausgestreckte Aufmerksamkeit, die auf ähnliche Weise das schon bereitstellt, was in der nächsten Phase in Anspruch genommen werden wird, und schließlich ein dauerndes, völlig unbewußtes Anpassen der vorgebildeten Reaktionsformen an das augenblicklich Erforderliche: auch ein Mensch vollführt die verwickeltsten Handlungen ohne Bewußtsein, ohne Geist, woraus man ja vielleicht auch schließen darf, daß die Rolle des Geistes nicht die ist, eine im Sport zu spielen.

      Es ist kein unwitziger Widerspruch, daß es heute über solche Fragen sehr eingehende Untersuchungen von Philosophen und Biologen gibt, die den Begriff der menschlichen Genialität gerade dadurch neu aufbaun, daß sie ihn über einer tieferen Erforschung der tierischen Natur errichten, während unsere Sportschriftsteller noch immer dabei sind, den Besitz der sittlichen plus der theoretischen Vernunft für eine selbstverständliche Voraussetzung des Crawlens und des Sports zu halten.

      Prosa-Fragmente aus dem Nachlass

      Tagebuch Hippolyte

[Etwa 1903]

      Personen:

      Hippolyte

      Madelaine

      Margerite

      In einer Gesellschaft bei F. lernte ich Madelaine kennen. Beim Hingehen

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