Gesammelte Werke. Robert Musil

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Robert Musil страница 200

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Robert Musil

Скачать книгу

(Aus einem unveröffentlichten Kunsthandbuch für reichgewordene Leute)

[5. Dezember 1926]

      Verschwenden Sie nicht viel Zeit an die Kunst! Setzen Sie sich kurzerhand an die Spitze der Kenner! Ich geben Ihnen dafür zwei Regeln.

      Erklären Sie ein Bild, das Ihnen nicht gefällt oder das Sie nicht verstehen, unter allen Umständen für veraltet. Fügen Sie nichts hinzu, was darauf schließen läßt, ob Sie es für zweites oder zwanzigstes Jahrhundert, für ein Aquarell oder einen Holzschnitt gehalten haben. Denn darüber läßt sich streiten.

      Zweitens, behaupten Sie, wenn man Sie nach den Gründen dieses Urteils fragt, die Malerei der Zukunft sei der Intensismus. Und wenn man Sie fragt, was das sei, verweigern Sie die Antwort und sagen, das verstände sich von selbst.

      So macht man es nämlich immer. So hat es der Impressionismus gemacht und der Expressionismus. Ich sage Ihnen natürlich nicht, was diese beiden Worte bedeuten; das geht Sie glücklicherweise nichts mehr an. Und wenn ich Ihnen über den Intensismus etwas mehr andeute, so geschieht es nicht, um Ihnen eine Vorstellung von ihm zu geben – denn wenn die Anhänger einer Bewegung eine klare Vorstellung von ihr hätten, so würde das jeden Schwung lähmen –, sondern weil Sie das Gefühl empfangen sollen, daß diese kommende Kunst die Malerei Ihrer Nerven, Ihres Willens, Ihrer Vitalität sein wird; diesen Beschluß müssen Sie bewahren, alles übrige vergessen.

      Man hat früher größere Bilder gemalt als heute. Das kam davon, daß damals die Wohnungen größer waren. Sie sehen, wie einfach die Kunstregeln sind.

      Als man in Burgen wohnte, bedeckte man ganze Wände mit einem Bild. Später, als man ein Haus bewohnte, hatten die Bilder nur noch die Größe von höchstens 1,50 mal 2 Metern. Heute können selbst schwere Leute nur Wohnungen von ein paar Zimmern kaufen, die halb so hoch sind, als sie früher waren, und die Bilder haben demgemäß ein Format von bloß 1:o,8 Metern; und wenn, was vorauszusehen ist, die Bautätigkeit in Europa noch lange stockt, so werden die Bilder noch kleiner werden.

      Sie sind aber im Verhältnis nicht billiger geworden. Daraus folgt, daß der Grund und Boden des Bildes teurer, die Bodenrente per Quadratzentimeter Bildleinwand größer geworden ist und die gleiche geistige Rentabilität eine intensivere Bewirtschaftung der Leinwand verlangt. Dies ist die eine Wurzel des Intensismus.

      Als zweites verlangt ihn die psychische Energie. Betrachten Sie eine Landschaft, so finden Sie gewöhnlich ein Drittel, wenn nicht die Hälfte des Bildes von Luft oder Wasser bedeckt. Solche Bilder sind gewissermaßen Brachland. Überdies ist nicht zu bestreiten, daß schon ein Quadratzentimeter, blau bestrichen oder gar mit einer Anmerkung versehen, vollauf genügt, um uns wissen zu lassen, daß Himmel oder Wasser beabsichtigt sei; jeder Mensch weiß, wie sie aussehen, etwas Neues ist daran nicht zu zeigen, es handelt sich einfach um eine Verschwendung durch gewohnheitsmäßigen Schlendrian. Das gleiche finden Sie natürlich auch, wenn Sie ein Portrait betrachten. Der Maler füllt nicht das ganze Bild mit Ihnen aus, sondern erspart sich einen Hintergrund, der mindestens die Hälfte ausmacht.

      Er könnte ja beispielsweise Sie zweimal malen oder Sie und dahinter Ihren Konkurrenten malen, wie Sie ihm den Fuß auf den Nacken setzen, den großen Tag, wo alle Effekten in die Höhe sprangen, oder den schwarzen Tag, wo alles schief lag. Scheuen Sie sich nicht vor solchen Forderungen; allen wahrhaft ursprünglichen Epochen der Kunst waren sie ganz natürlich. Denken Sie daran, daß man mehrere Bilder ineinander malen kann; aber ich will nicht vorgreifen, diese Kunst entwickelt sich bereits von selbst. Halten Sie also bloß still an dem Wunsch fest, daß sich die Malerei bald wieder Rennpferden, Jagdbildern, Automobilen, Flugzeugen und allem, was Sie wirklich schön finden, zuwenden möge, und verlangen Sie vorläufig, daß mit den unausgenützten Geistflächen Schluß gemacht werde.

      Intensivstes Leben im kleinsten Bildteil, nervöse Fläche, Einleitung der siegreichen Energie des modernen Lebens in den Bildrahmen: das ist der Intensismus! Wenn Sie irgendetwas sehen, das schon dahin weist, dann sagen Sie nichts als: Aber das ist ja intens! Wenn Ihnen das schwer fällt, so nehmen Sie immer Ihre Frau Gemahlin mit, die wird es treffen.

      Geschwindigkeit ist eine Hexerei

[28. Mai 1927]

      Es ist immer gut, wenn man die Worte so gebraucht, wie man soll, nämlich, ohne sich etwas dabei zu denken. Man geht dann bequem über zehn Sätze hinweg, ehe wieder ein Wort auftaucht, auf das es ankommt. Das ist zweifellos ein großzügiger Stil, der etwas von Eilverkehr auf große Entfernungen an sich hat, und es scheint, daß die geistigen Aufgaben des Tages nur noch mit seiner Hilfe bewältigt werden können. Paßt man aber kleinlich auf, so stolpert man flugs in ein Sprachloch. Die Sprache fußwandelt nicht mehr dahin wie zur Zeit der Altvorderen.

      Da wäre zum Beispiel das Wort «Hals über Kopf»; welch ein wichtiges und oft gebrauchtes Wort in einer Zeit, wo es so auf das Tempo ankommt! Wie viele Menschen bedienen sich in ihrer Eile dieses Wortes, ohne zu ahnen, welche Schwierigkeiten es der Eile bereitet. Denn Hals über Kopf irgendwohin stürzen, heißt eine so wilde Beschleunigung entwickeln, daß sich der Körper über den Hals, der Hals über den Kopf zu schieben scheint; die Eile faßt beim Hosenboden an, das Gesetz der Trägheit drückt beim Kopf zurück, und der Mensch wird aus dem Menschen gerissen, wie der Hase aus dem Balg. Aber wann hat man denn je solche rasende Eile gehabt? Gott ja, als Kind, wenn man mit wackligen Beinen lief. Als Knabe, wenn man auf dem Rad eine abschüssige Straße hinabfuhr. Vielleicht als Reiter, wenn man nicht recht wußte, wie es enden werde. Bei schäbigen fünfzehn bis dreißig Stundenkilometern Geschwindigkeit! Wenn ein Auto oder ein Eisenbahnzug so Hals über Kopf fahren wollten, würden sie kriechen!

      Hals über Kopf drückt also gar keine Geschwindigkeit aus, sondern ein Verhältnis zwischen Schnelligkeit und Gefahr des Beförderungsmittels oder zwischen Schnelligkeit und der Aufregung höchster Anstrengung. Die Fetzen müssen fliegen, der Schaum aus den Augen treten und die Flanken den Krampf haben. Aber dann kann auch eine Schnecke Hals über Kopf dahinstürzen, in einem ganz und gar forcierten Schneckentempo, unbesonnen, gefährdet. Nebeneindrücke sind wieder einmal das Bestimmende. Bekanntlich rast ein kleines Auto schneller als ein großer Wagen, und ein Eisenbahnzug rast desto mehr, je ausgefahrener die Schienen sind. Auch das Dahintoben ist Gewohnheitssache. Es gibt Nachbarn, welche dabei meinen, daß sie rücksichtsvoll wie auf geseiften Bohlen durchs Leben gleiten.

      Man sieht sich unwillkürlich in der Sprache um nach gediegeneren Ausdrücken. Wie wäre es zum Beispiel, wenn man sagte: «Hals über Kopf stieß er ihr den Dolch ins Herz»? Das bringt selbst der wildeste Romanschreiber nicht über die Lippen seiner Feder. Er weiß nicht, warum. Aber er läßt den Dolch schnell wie den Blitz zustoßen. Rasch wie ein Gedanke wäre schon nicht die richtige Geschwindigkeit dafür. Dagegen ist ein Liebender schnell wie ein Gedanke bei der Geliebten und niemals rasch wie der Blitz. Das sind Geheimnisse. Ein General eilt immer in Eilmärschen hinzu. Ein endlich Wiedergefundener stürzt in die Arme, aber ans Herz fliegt er. Ein Generaldirektor, der zu spät kommt, rast wie der Sturm daher, sein Büroangestellter dagegen kommt atemlos an; die Bewegungsgeschwindigkeit wirkt bei ihnen genau entgegengesetzt auf die Atmung. Vielleicht wäre auch zu erwähnen, daß man immer flugs ankommt, aber im Nu weg ist.

      Man sieht, das sind Schwierigkeiten. Das Böseste ist aber, daß das moderne Leben voll von neuen Geschwindigkeiten ist, für die wir keine Ausdrücke haben. Geschwindigkeiten sind merkwürdigerweise das Konservativste, was es gibt. Trotz Eisenbahn, Flugzeug, Automobil, Tourenzahl, Zeitlupe sind ihre äußersten Grenzen heute noch die gleichen wie in der Steinzeit; schneller als der Gedanke oder der Blitz und langsamer als eine Schnecke ist in der Sprache nichts geworden. Das ist eine verteufelte Lage für ein Zeitalter, das keine Zeit hat und sich bestimmt glaubt, der Welt eine neue Geschwindigkeit zu geben; die Schnelligkeitsäpfel hängen ihm in den Mund, und es gelingt ihm nicht, den Mund zu öffnen.

      Aber vielleicht wird die Zukunft ganz anders sein. Klassische erlebte Geschwindigkeiten gibt es ja schon heute nur noch dort, wo man sie am wenigsten erwarten

Скачать книгу