Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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weder Kaiser Maximilian, noch Don Quijote die letzten Ritter gewesen sind, welche der Verbürgerlichung unsrer menschlichen Gesellschaft standgehalten haben, zeigte ein Prozeß, der das Gericht der weiland kaiserlichen Stadt Wien in diesen Tagen beschäftigt hat.

      Held des Prozesses, im wahren Sinn dieses Worts, den es also noch gibt, nicht nur Kläger war Adalbert Graf Sternberg. In Prag wohl nicht unbekannt, ist er in Wien erinnerlich als eine seltsame Erscheinung des einstigen Abgeordnetenhauses; er war eines der wenigen Mitglieder dieser Versammlung das nicht nur die anderen beleidigte, sondern sich auch von ihnen beleidigen ließ und dann Genugtuung mit der Waffe forderte; seine Duellaffären fielen ebenso auf wie seine Reden, die eine ursprüngliche Eigenart, der man die Begabung nicht absprechen konnte, mit vollkommener Unkenntnis der Zeitumstände verbanden. Man konnte sagen: er war seiner Zeit – zurück; er hantierte mit den sie bewegenden Gedanken und Fragen wie ein Kind, das seltsamen Gebrauch von den Geräten der Erwachsenen macht, aber es schien ein Knabe von überdurchschnittlicher Größe zu sein. Als nach dem Umsturz Not und andre Erscheinungen von gleichem Gewicht das öffentliche Bewußtsein füllten, schwand er aus dem Gedächtnis, um nun eine Wiederkunft zu feiern, welche die ganze Fülle der inzwischen verstrichenen, nach Jahren doch gar nicht so langen Zeit fühlen läßt.

      Seine Gegner sind Herren des Jockeiklubs, den es also auch noch gibt, während man doch fürchten durfte, er habe sich längst in eine Aktiengesellschaft oder in eine Volksbildungseinrichtung umgewandelt. Es existiert aber, besitzt noch immer ein Komitee für Ehrenangelegenheiten (das sogar noch Komitee und nicht Ausschuß heißt, wie zur Zeit, als zu deutsch zu sprechen ein Zeichen unpatriotischer Gesinnung war), besitzt auch eine Ehrengerichtspraxis, die zur Zeit des Grafen Sternberg recht lebhaft gewesen zu sein schien, und man kann mit ihrer Hilfe aus dem Klub hinaus-«ballotiert» werden, wie es dem Kläger schließlich widerfuhr, der dagegen, da alle ritterlichen Mittel sich ihm versagten, den Schutz der Gerichte anruft. Ich glaube, es bedeutet nicht, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen, wenn man sagt, daß ein gewaltsamer Ausschluß, außer in einer Gesellschaft von Asketen, immer etwas Beleidigendes an sich hat, ob er berechtigt ist oder nicht, und die Auflehnung dagegen verdient keinen Spott; der zweifellos komische Anachronismus, welcher dem Ehrenhandel trotzdem anhaftet, kann also offenbar nur an den Umständen liegen, unter denen er sich vollzieht.

      Man versuche doch, sie vorurteilslos zu betrachten! «Eine hochgestellte Dame» heißt es in einer Satzschrift – und diese zwei Worte «hochgestellte Dame» blicken wie zwei Pyramiden in die Gegenwart, obgleich sie nicht seit viertausend, sondern erst seit vier Jahren der Vergangenheit angehören! – eine hochgestellte Dame also hatte den Kläger gebeten, ihr im Kampf um ihre Kinder als «Ritter» beizustehen, und eine solche Bitte zu verweigern, ist nach Ehrenkodex Ristow (Artikel 8) ein Grund der Waffenehre verlustig zu werden. Ich glaube, das natürliche Empfinden, das ja unnatürlich und deshalb romantisch ist, wird dabei immer auf Seiten der Dame und der Verpflichtung ihres Ritters sein, wenn auch die Alltagspraxis gern einen Umweg macht, für den sie die ebenso natürliche Erklärung bereit hält, daß man sich in fremder Leute Angelegenheiten nicht mischen solle. In der Praxis geht das auch ganz gut, denn sie hat dafür die zweckmäßige Teilung, daß man den einen Grundsatz ausspricht und nach dem andren handelt, die ganze Schuld liegt also am Kodex Ristow (Artikel 8), welcher diese Weggabelung mit der Drohung versperrt, der Waffenehre verlustig zu werden. Dieser Kodex wird den Ägyptologen des 80. Jahrhunderts schweres Nachdenken bereiten, um ihn in Einklang mit ihren übrigen Vorstellungen vom 20. Jahrhundert zu bringen, und anscheinend war er es auch, welcher den Kläger Sternberg, die Beklagten des Jockeiklubs, deren Freunde im Wiener Klub, dessen Freunde in der Prager Adelsressource und das dessenderentete einstige Honvédoberkommando in einen einzigen Gordischen Knoten verwickelte, den mit dem Schwert zu lösen, eben jener Kodex Ristow gerade in diesem Fall verbietet, wenn man seine Bestimmungen mit jener Strenge auslegt, die in solchen Angelegenheiten unerläßlich ist und vom Grafen Sternberg gefordert wird.

      Es wird also wohl ein bürgerlicher Richter die Arbeit leisten müssen, zu entscheiden, ob wirklich ein «Herr» sich nicht einer Generalversammlung unterwerfen dürfe, ob die Ehrenpraxis des Wiener Jockeiklubs korrekt sei oder nicht, ob eine «Forderung zum Zweck der Errichtung eines einseitigen Protokolls» und viele andre Einzelheiten Verletzungen des Ehren-und Duellkodex einschließen oder nicht. Es ist bloß zu hoffen, daß dieser Richter einstmals Farbenstudent gewesen ist, damit er das wünschenswerte Interesse für seinen Fall aufbringt und sich nicht fürchtet, als sei er in eine Gespensterversammlung geraten. Dieser Vorwurf trifft nicht den ritterlichen Grafen, der auf seinem Platz, auf den ihn Gott gestellt hat, nur tut, was Kohlhaas unter dem Beifall von Generationen auf dem seinen getan hat. Bloß wenn man bedenkt, welche Wichtigkeit und Bedeutung eine solche Angelegenheit noch vor fünf Jahren gehabt hätte, welchen Einfluß die an den Kodex Ristow und an hochgestellte Damen gebundene Welt damals noch über die nach dem bürgerlichen Gesetzbuch lebende gehabt hat, freut man sich über die kleine Drehung, welche die Erde seither davon weg gemacht hat, welche die sympathischen Bemühungen hochgestellter Ehrenmänner komisch wie Bewegungen erscheinen läßt, die Zuspätgekommene auf der Dampferbrücke machen, während das Schiff schon davonfährt.

      Das verbrecherische Liebespaar

      Die Geschichte zweier unglücklicher Ehen

[20. März 1923]

      In Berlin ist in diesen Tagen ein Gerichtsverfahren zu Ende geführt worden, das mit Recht die Teilnahme vieler Menschen gefesselt hat und Konflikte zeigte, von denen zu wünschen wäre, daß sich ihnen die Teilnahme der Menschen schon zuwendete, bevor sie im Gerichtssaal enden. Eine Frau Elli K. wurde wegen Totschlags an ihrem Gatten zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, ihre Freundin, Frau N., die von dem Versuch des gleichen Delikts an ihrem eigenen Mann freigesprochen wurde, wegen Beihilfe zu eineinhalb Jahren Zuchthaus. Schon die Strafbemessung ist merkwürdig; die Beihilfe wird von einer geringeren Strafdauer, aber von einer schwereren Strafart getroffen, man weiß nicht, welches seelische Gewicht stärker drückt, das der Dauer oder das der Art der Strafe, und in dieser Unsicherheit spiegelt sich tatsächlich der psychologische Charakter der Tat.

      Elli K., die Tochter einfacher Leute, heiratete sehr jung einen Handwerksmeister und floh nach den ersten Wochen der Ehe ins Elternhaus, voll Entsetzen zurück, dessen Grund man nicht erfährt, weil Schamgefühl selbst in den kritischsten Situtationen sie daran hinderte, ihn zu erzählen. Auf allgemeine Mußmaßungen angewiesen, kann man nur zwei Ursachen annehmen: entweder sexuelle Rohheit, wahrscheinlich mit Perversionen auf Seiten des Mannes, oder ungewöhnliche Empfindlichkeit, auf Grundlage inversen Fühlens bei der jungen Frau. Hier hätten in einer zivilisierten Gesellschaft und bei der Bedeutung, die in unserer Ordnung heute noch der Familie zukommt, die Eltern in der Lage sein müssen, mit Rat und Hilfe vernünftig einzugreifen. Statt dessen: Befehl des entrüsteten Vaters, sofort zum Gatten zurückzukehren, Wirkung der Familienautorität, wie so oft, in verkehrter Richtung!

      Elli K. kehrt zurück und entflieht nach wenigen Monaten abermals, diesmal zu Freunden; die Scheidungsklage wird eingereicht, aber sie muß wieder zurückgezogen werden, weil die bedrängte Frau nicht mehr imstande ist, dem Anwalt die Schrecknisse anzuvertrauen, die ihr widerfahren sind oder die sie sich vielleicht nur einbildet, weil unter dem Druck der Einschüchterungen, die sie im Elternhaus erlitten hat, auch aus leichten Verletzungen längst ein schweres seelisches Trauma geworden sein kann. Die Ehe des Schreckens, Ekels und Zwanges geht also weiter.

      Hier kommt die zweite Wendung, die wie die ganze Fortsetzung so typisch ist, als wäre sie aus einer wissenschaftlichen Abhandlung genommen. Elli K. lernt Frau N. kennen, die ebenfalls in unglücklicher Ehe lebt, mit einem brutalen Mann, den sie nach dem Kriege, wohl etwas unüberlegt, geheiratet hat. Zwischen den beiden Frauen entspinnt sich ein Liebesverhältnis; die Wahrscheinlichkeit, daß man in dem Eheabscheu Ellis eine starke lesbische Komponente anzunehmen hat, wird dadurch vergrößert, es muß aber nicht so sein, es kann ein schwacher homosexueller Einschlag wie er fast stets vorhanden ist, auch erst durch die Freundin geweckt worden sein. Wie fast immer in solchen Fällen, begnügt sich das aufbrennende Gefühl nicht mit dem täglichen Beisammensein, und es entsteht daneben noch ein Austausch von leidenschaftlichen Briefen, von denen allein

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