Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Dosen beigebracht werden soll. Jedenfalls ist in diesem verbrecherischen Verhältnis die Freundin die Führende; das geht schon daraus hervor, daß schließlich Elli K. die Tat vollbrachte, sie aber nicht!

      Denn in den Beziehungen solcher Paare ist es erfahrungsgemäß immer der Stärkere, der die Tat nicht tut, während er sie dem Schwächeren, der sich anfangs oft weigert, einredet, nicht kalten Blutes, etwa mit der Absicht, es ihn allein tun zu lassen, sondern weil die gemeinsame Suggestion auf den psychisch Empfänglicheren eben stärker wirkt. Auf diese Weise ist Elli K. das Opfer ihrer Freundin N., aber sie begeht das schwerere Verbrechen. Die Strafbemessung bietet in solchen Fällen immer Schwierigkeiten und die Untersuchungen der juristischen Theoretiker, die sich bemühen, die Unverbrüchlichkeit des Rechts mit der Brüchigkeit seelischer Unterscheidungen in Einklang zu setzen, sind nicht immer ohne Drolligkeit. Wahrscheinlich war hier bei beiden Freundinnen überdies eine gewisse psychopathische Minderwertigkeit anzunehmen, die nicht gleichbedeutend mit einer sozialen zu sein braucht!

      Es gibt ein Buch des italienischen Soziologen Scipio Sighele, das in der 191o erschienenen französischen Übersetzung «Le crime à deux» heißt und hunderte solcher Fälle enthält, die alle fast in der gleichen Weise verlaufen sind. Ich gebe daraus zwei Stellen aus Briefen zum Beispiel, die eine Frau an einen jüngeren Mann geschrieben hat, den sie zum Mord an ihrem Gatten verleitete: «Dienstag ist der Jahrestag des ersten Monats unserer Liebe; ich schicke Dir eine Blume zum Gedenken; ich werde alles, was von mir abhängt, tun, um Dir allein anzugehören (sie mischte dem Gatten Gift in die Speisen!). Oh! wie würde ich wünschen, frei zu sein! Es ist wohl sehr schwer, die Sache (Dynamit, das er dem Gatten ins Jagdgewehr tun sollte!) zu erhalten?» Eine andere Stelle: «Er war gestern krank: ich denke, daß Gott sein Werk beginnt.» Man kann es dem Gefühlsausdruck dieser Stellen entnehmen, wie sich nicht nur das edle Gefühl der Liebe in ein Verbrechen verwandelt, sondern auch wie sich der außen verbrecherische Gedanke innerlich ununterscheidbar als ein edles Gefühl der Liebe anfühlt; man sollte sich bei Verbrechen solcher Art mehr denn je fragen, welchen Teil der Schuld die Gesellschaft an ihnen trägt, indem sie es so weit kommen läßt. Ein energischer Verbrecher enthält zwar mehr Schlechtes als ein schwacher Guter, aber auch mehr Keime des Guten, sagt J. St. Mill.

      Sittenämter

[7. Juli 1923]

      Der Staatsbürger hat von Geburt an Augen, Ohren, Mund und Nase; im Alter der Mündigkeit bekommt er jedoch noch ein Organ hinzu, einen Leumund. Dieser ist weder klein, noch groß, weder schön, noch häßlich, sondern polizeilich. Und während man mit dem gewöhnlichen Mund vieles machen kann, Angenehmes und Unangenehmes, kann man mit dem Leumund gar nichts machen, man hat keine Gewalt über ihn; das ist das Gefährliche. Die wenigsten Staatsbürger ahnen, daß ihr zurückgezogenes Privatleben viel gefährlicher ist als irgendein notorisches Verbrechen, wo man weiß, was man will, wieviel man dafür bekommt und wie die Sache heißt.

      Ein gar nicht seltener Fall ist bekanntlich der Ehebruch. Wer ihn noch nicht begangen hat, hat doch sicher schon von ihm gehört, denn alle Welt ist voll von Scherzen und Lustspielen über ihn, aber man kann sagen, Gott sei Dank, begehen die Menschen seltener einen Ehebruch als sie davon reden, da vier Menschen nur zwei Ehebrüche begehen können. Man bricht sie im Stillen; aber zuweilen kommt es vor, daß ein Teil Lärm schlägt, und zwar ist es dann immer der Teil, der es doch eigentlich gar nicht wissen sollte, und der kann eine Anzeige machen, und nach den Gesetzen fast aller Kulturstaaten werden die Ehebrecher bestraft. Als die Staaten noch keine Kulturstaaten waren, zuweilen mit dem Tode; heute mit etwa vierzehn Tagen Arrest. Es ist dies nicht viel, wenn man bedenkt, daß die vorsätzliche und erfolgreiche Anstrengung, eine Auslagenscheibe zu zertrümmern, ungefähr ebensoviel Strafe kostet und weniger Vergnügen macht. Wahrscheinlich würden die Gesetze auch heute noch strenger sein, aber die Ehe ist ein sogenanntes heiliges Gut (wie zum Beispiel auch die Kunst), und da weiß der Staat nie genau, wieviel es wert ist.

      Die eigentliche Strafverschärfung besteht auch in etwas ganz andrem, nämlich in eben jenem Leumund, der bei solchen Gelegenheiten eröffnet wird; solche Angelegenheiten sind es, wo er nicht nur sein gewichtigstes Wort spricht, sondern sich geradezu als eine Gewalt entpuppt, welche die Menschen völlig ändert. Ein solcher Fall beginnt gewöhnlich damit, daß eine um die Taille schon etwas willensstark gewordene Dame (mit empörter Zunge, flammendem Busen, gebrochenem Herzen und verletztem Schamgefühl, also körperlich zweifellos so schwer beschädigt, daß sie Anspruch auf öffentliche Unterstützung hat) das «dämonische Weib», das ihr den Gatten geraubt hat, die «Verführerin» vor den Richter zerrt, wo sich die «Schlange» ahnungslos damit verantwortet, daß alles Vorgefallene ja nur platonisch gewesen sei; man darf sagen ahnungslos, denn die wenigsten Frauen studieren Platon, bevor sie zu einem Mann in Beziehungen treten, und verstehen daher unter platonisch bloß einen noch nicht eingetretenen Grad des Unplatonischen, das keines besonderen Studiums bedarf. In diesem Augenblick läßt aber der Richter den polizeilichen Leumund sprechen, den er vom Sittenamt über die «Persönlichkeit der Angeklagten» eingeholt hat, und das Ergebnis ist unter allen Umständen fürchterlich. Der geheimnisumwobene Dämon verwandelt sich in einen Staatsbürger mit Geburts-und Heimatsschein, die Geliebte vielleicht in eine «gewesene Kabarettschauspielerin»; ich lernte einen solchen Fall kennen, der mit einer Verurteilung endete, obgleich nichts nachzuweisen war und offenbar bloß weil die gewesene Kabarettschauspielerin danach «Besitzerin eines Kaffeehauses» geworden war, nach Verkauf des Kaffeehauses «keiner ordentlichen Beschäftigung mehr nachging», es vielmehr auf «galante Abenteuer in Vergnügungslokalen» und besonders «auf gut situierte Herren abgesehen» hatte, die sie in ihrer Wohnung «auch zur Nachtzeit» empfangen haben soll. Sie wird keine schutzbedürftige Waise gewesen sein, aber hat sie das fürchterliche Ende verdient, welches das Sittenamt seinem vernichtenden Bericht gab, indem es mit der ganzen Strenge einer irregeführten Behörde ihn damit schloß, daß es trotzdem derzeit keine Handhabe besitze, gegen Frau X einzuschreiten»?

      Hier brechen die Grundlagen der persönlichen Moral unter uns ein. Denn das kann jedem passieren: keiner ist davor sicher, wandle er, wie er wolle, daß er dem Sittenamt keine Handhabe bietet, gegen ihn einzuschreiten. Wer hätte nicht einmal Schauspieler werden wollen?! Und wer würde so bald einer Beschäftigung nachgehn, wenn er so glücklich war, ein Kaffeehaus zu verkaufen? Wer hat es noch niemals auf galante Abenteuer in Vergnügungslokalen abgesehen gehabt? Vielleicht sogar schon gutsituierte Damen bei Nacht empfangen? Und wenn er kein Lump ist, werden sogar gutsituierte Herren am hellen Tag bei ihm aus-und eingegangen sein, und also steht unweigerlich er oder das Sittenamt im Verdacht verkehrten Empfindens! Man glaubt natürlich, daß man selbst ein normaler und vielleicht sogar anständiger Mensch sei, aber darin besteht eben der Irrtum. Man hat dem Sittenamt bloß noch nicht «die Handhabe» geboten, sonst ist offenbar längst alles schon beisammen. Man ist nur ein Spieler, den das Schicksal gewinnen läßt, um ihm eines Tags alles abzunehmen. Denn ein Auge des Gesetzes sieht einem zu, man weiß nicht einmal, wo es sein Bureau hat, und dem macht man nichts vor. Eines Tags wird man verleumundet und erkennt sich niemals mehr wieder.

      Deshalb ist das Privatleben das Gefährlichste, was es gibt. Es wäre grausam, wollte man ein Mittel gegen diese Gefahr nicht wenigstens andeuten. Es besteht darin, daß man rechtzeitig einen öffentlichen Charakter erwirbt, wenn es selbst ein ganz unbedeutender ist. Denn einen öffentlichen Charakter erkennt das Auge des Gesetzes, weil es selbst von öffentlichem Charakter ist, und nach einer alten Lehre das Auge das Licht nicht erkennen könnte, wenn es nicht selbst aus Stoff des Lichts bestünde. Jeder Amtsdiener hat seinen Personalakt, und steht nichts besonderes über seinen Charakter darin, so hat er eben seinen Amtscharakter; die günstigste aktenmäßig mögliche Aussage über einen privaten Charakter besteht aber darin, daß er nicht vorbestraft ist und auch sonst nichts Nachteiliges wider ihn angegeben werden kann, und da das natürlich ebensogut zu bedeuten vermag, daß er es bisher mit besonderer Tücke verstanden hat, sich den Nachstellungen der Behörden zu entziehn, wird jeder Privatmann selbst einsehn, daß eine stattliche Behörde im Privatmann solange nichts andres sehen darf als einen noch nicht erwischten Verbrecher, bis er erwischt ist. Eine Ausnahme davon macht höchstens stadtbekannter Reichtum oder eine persönliche Empfehlung.

      Man hat viel über die Ursachen

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