Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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bestimmte Theaterkritiker kaufen können, bei uns muß man noch mit ihnen befreundet sein, was oft viel unangenehmer ist. Daß Ärzte, Rechtsbeistände, Geistliche, Journalisten Hilfe nur dem gewähren, der sie bezahlt, gilt auch bei uns als selbstverständlich; wenn man aber einen Senator gewinnen wollte, so mußte man (bis vor kurzem; jetzt scheint sich ja endlich eine Änderung angebahnt zu haben) zwanzig Leuten Vorteile erweisen, damit man vom zwanzigsten dem für seine Person uneigennützigen Mann empfohlen wurde. Ich weiß nicht, ob ehrlich am längsten währt, aber es währt jedenfalls lang und ist eine umständliche Währung. Und während bei uns immerhin noch in den meisten Dingen ein rückständiger Tauschhandel herrscht, scheint sich anderswo schon der völlige moralische Geldverkehr durchzusetzen.

      Man darf sich natürlich nicht täuschen und glauben, daß Krieg und Niedertracht aufhören können, solange er nicht völlig und rein im privaten wie im öffentlichen Leben durchgeführt ist. Die Hunde haben ihre ausgezeichneten Nasen, aber wir Menschen gehen aneinander vorbei und vermögen uns nicht zu erkennen. Wir haben noch eine ganz ungeregelte und wilde Preisbildung für das, was wir wollen, und sind von denen, die uns brauchen, so wenig zu finden wie Bücher ohne Katalog. Im reinen Geldzeitalter werden wir Ziffernsysteme und unendlich glücklich sein. Sich selbst bewegende Zahlen, so wie es Pythagoras und Platon geträumt haben.

      Ein Beispiel

[18. März 1925]

      Man erinnert sich der Wiener Affäre Hochenegg, welche daraus entstand, daß der bekannte Kliniker in einer Universitätsvorlesung der Ärzteschaft vorwarf, für Zuweisung von Patienten, welche einer Spezialbehandlung oder Operation bedürfen, Provisionen zu geben und zu nehmen. Derartiges soll auch anderswo als in Wien vorkommen und wird im nahenden reinen Geldzeitalter zu einer Tugend werden. Denn es ist nicht nur ungerecht, sondern auch gedankenlos, zu verlangen, daß einzelne Berufe dauernd von den Gebräuchen des Markts ausgeschlossen bleiben sollen, welche die andern schon ergriffen haben. Wir überlassen die höchsten geistigen Güter, wie z. B. die Kunst, bereits ganz dem kaufmännischen Getriebe und möchten bloß bei einigen lebenswichtigen Berufen noch Ausnahmen machen; was Kleinmut ist, denn solange man vom Arzt eine andere Ehre verlangt als die gewöhnliche Kaufmannsehre, beweist man wenig Vertrauen in die übrigen, längst vom Geld abhängig gewordenen Lebensbeziehungen. Hier ist eine Entscheidung zu treffen. Die Gesellschaft verlangt von ihren wichtigsten Dienern die wichtigste Dienertugend: Redlichkeit; das ist heute noch verständlich, wird aber bei der flüssigen Beweglichkeit der Geldmacht bald eine undurchführbare Sache sein.

      Zweifellos ist es keine beruhigende Vorstellung, zu wissen, daß der Blinddarm oder die Rachenmandeln sozusagen einen Marktwert haben; im Gegensatz zu andern Effekten wird man dieses Besitzes dann nicht mehr recht froh, und es liegt nahe, im Hausarzt einen Konkurrenten zu sehen, der ihn streitig macht. Denn man darf natürlich nicht glauben, daß man der Stimme des Gewissens folgen und dennoch Provisionen nehmen könne. Ein Mensch, der Provisionen nimmt und dem sie in verschiedener Höhe angeboten werden, wird sich immer von ihnen beeinflussen lassen. Wohl aber darf man fragen, ob das unbedingt der Gesundheit des Patienten mehr schaden muß. Denn ein provisionsloser Arzt, der einen Spezialisten oder Operateur empfiehlt, wird auch heute schon der Stimme seines Gewissens nur dann folgen können, wenn er sich aus Literatur und Erfahrung wirklich ein Urteil über ihn zu bilden vermag, zweifellos also nur in einer sehr kleinen Zahl der an ihn herantretenden Fälle, und in allen anderen Fällen wird seine Entscheidung sehr vom Hörensagen und ähnlichen Imponderabilien, zu denen auch der Ruf der Autorität gehört, abhängen. In der Zukunft wird an Stelle dieser Imponderabilien das ponderable Geld treten, und man soll nicht übersehen, daß damit auch Vorteile verknüpft sind.

      Betrachten wir, um das Standesethos nicht heftig zu verletzen, unsere Badeorte. Was der Arzt von ihnen lernt, ist ein sehr vages Wissen, das sich bei manchem Patienten bewährt und bei manchem nicht. Er kann unmöglich die Wirkung der Quellen und ihres Drum und Dran genau unterscheiden und wird in vielen Fällen die feinere Differentialdiagnose davon abhängen lassen, ob der Patient lieber nach Süden oder nach Norden reist, weil diesem Berufs-oder Vergnügungsgründe dazu raten. Und nun nehme man an, die Badeorte würden für jeden Gast dem zuweisenden Arzt eine Vergütung zahlen. Von diesem Zeitpunkt an würden sie in eine Linie treten mit großen Firmen, welche ihren Agenten Provision zahlen, und hat man schon je gehört, daß schlechte Automobile oder ungenießbarer Wein sich den Markt dauernd dadurch erobert hätten, daß ihre Agenten große Provisionen bekommen? Der beschämende Zustand der Ungewißheit wäre zu Ende, und es würden sich auf den Arzt und Patienten alle Segnungen einer gesunden Wirtschaft ergießen. Man könnte einen schlechten Badeort wohl einige Jahre lang empfehlen, aber nicht länger, weil er so rasch zugrunde ginge, wie ein langweiliges Theater trotz der besten Kritiken es tut. Wahrscheinlich würden bei diesem System anfangs mehr Menschen sterben als heute, aber weiterhin würden mehr gesund werden, denn der Arzt kann irren, die Verhältnisse von Preis, Wert, Angebot und Nachfrage regeln sich aber von selbst nach immanentem Gesetz.

      Unsinn? Oder vielleicht schon Utopie? Übrigens – da es so viele Fachärzte schon gibt –, weshalb sollte es dereinst nicht auch den Facharzt für provisionslose Vermittlung der Fachärzte geben, der eben für diese Tätigkeit bezahlt und für sie vorgebildet wird? Hoffen wir übrigens, daß all dieses kein Unsinn, sondern wirklich eine Utopie sei. Denn in der ganzen Länge der Geistesgeschichte ist noch nie eine Utopie so eingetroffen, wie sie ausgedacht worden ist. Wohl aber mancher Unsinn.

      Kehrseite einer Anekdote

[9. April 1926]I

      Vor einiger Zeit ist in diesem Blatte eine Anekdote erschienen, die ungefähr den folgenden Sinn hatte:

      Zu dem großen Schriftsteller und Mathematiker Leo Perutz ist einmal ein bekannter Schmock namens Robert Musil gekommen und hat gebeten: «Schreiben Sie mir doch etwas über Mathematik für mein Blatt, Herr Perutz, oder so über Angrenzendes, sagen wir Ethik!» Worauf der Schriftsteller und Mathematiker Perutz, ohne seine Ruhe zu verlieren, erwiderte: «Wissen Sie was? Ich werde über die sittliche Basis des gleichschenkeligen Dreiecks schreiben!»

      Dieses Gespräch ereignete sich nämlich gerade in der Zeit des größten Einsteinrummels.

II

      Ich will gerne den Glauben bestehen lassen, daß ich als Schriftsteller das Gegenteil des großen Leo Perutz bin.

      Aber von Mathematik verstehe ich zufällig ein wenig; ich kann mich zwar nicht einer Perutzschen Ausgleichsformel rühmen, doch ist immerhin ein physikalischer Apparat von mir in wissenschaftlichem Gebrauch, der einiges technisches Rechnen erfordert hat. Auch gelte ich hauptsächlich deshalb für einen schlechteren Unterhaltungsschriftsteller als Herr Perutz, weil ich immer wieder an ethischen Fragen hängen bleibe, über die ich nicht so schnell hinwegkomme, wie er. Ja, ich habe sogar einigemal über gewisse Zusammenhänge zwischen moralischem und mathematischem Denken geschrieben; zwar nicht in herkömmlicher Weise, aber es freut mich doch, darauf hinweisen zu können, daß es auch eine solche gibt und daß sie eine ganze Bibliothek philosophischer und pädagogischer Schriften umfaßt.

      Würde man also den wahren Wortlaut wieder herstellen, so käme der in der Anekdote festgehaltene überlegene Witz des Herrn Perutz auf die Äußerung eines etwa knabenhaften Geistes hinaus.

III

      Ich möchte deshalb loyalerweise feststellen, daß ich mich auch durchaus nicht erinnere, von ihm eine solche Antwort empfangen zu haben.

      Dann bleibt es allerdings ein Rätsel, wer solche Anekdoten verbreitet, die dem Geist des Herrn Perutz auf Kosten anderer Schriftsteller ein schmeichelhaftes Zeugnis ausstellen, das gefälscht ist. Soviel ich weiß, ist mein Fall nicht der erste, und ich nehme an, daß ihm eine solche Art von Reklame peinlich sein muß. Ich hoffe aber auch, daß ich ihm auf die Spur des Mannes helfen kann, der ihn aus dem Hinterhalt mit Lob überschüttet:

      Denn das Gespräch, aus dem es diesmal geschöpft wurde, hatte nur zwei Zeugen: Herrn Perutz und mich; und ich komme nach Lage der Dinge doch nicht gut

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