Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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länger aufschieben ließ; auch aus diesem Wagen wurde einer weggetragen und kam nicht mehr zurück. Wenn man aber für eine Weile die Augen schloß, fuhr der Zug wieder, und aus dem Tropfglas war schon stundenlang Zeit gesickert.

      Allmählich wuchsen vom Boden herauf Gespräche ins Ohr. Es war unregelmäßiges Wortgebüsch; geducktes Flüstern, Aufstöhnen, ebenes Hin und Her eines zeitvertreibenden Gesprächversuchs. Wenn der Zug rollte, walzte er allmählig alles zu Schlaf oder Dämmerzustand ein, selbst das Stöhnen hob und senkte sich rhytmisch wie ein langsam schleifender Tanztakt, und wenn hie und da ein Gespräch laut wurde, stand es überlaut vor wie ein Messer, das schräg durch das Tuch des Schlafs schneiden mußte. Wenn aber der Zug stillhielt, kroch bald ein Kopf nach dem andern auf die Insel des Wartens heraus, jeder hatte im Mund etwas zum Sagen, und ein Geschnatter hob an, das rasch verstummte. Nur einige taten nie mit .. Dann kam eine Pause und jedesmal nach ihr stöhnte einer brüllend auf, den wieder der Schmerz überfiel, ein zweiter u dritter fielen ein in heller Pein ihrer Wunden, die keine Dämmerung jetzt überschattete, selbst die zeigten, daß sie noch lebten und nach zwei Sekunden brüllte, schrie, tobte und stöhnte der ganze Wagen so daß die Wände zitterten und das Geheul weit in die unbekannte Luft um irgend einen kleinen Ort hinaussandten der an einer Eisenbahnlinie lag. Das dauerte einige Minuten bis wieder die Dumpfheit kam. Die Soldaten in den Stationen kannten schon diese haltenden Menagerien und nahmen sie mit Humor auf, wodurch sie weder in Bestürzung, noch in Ärger über diese schreckliche Störung gerieten, die sonst nicht auszuhalten gewesen wäre.

      Auch der Mann, von dem diese Geschichte erzählt wird, schrie manchmal mit, obgleich seine Schmerzen nicht groß waren; er schrie mit, weil ihn die Brüderschaft der unter die Tiere Gestoßenen hinriß, ja weil ihn die Gemeinschaft der Qualen berauschte, die er noch nie gesehn hatte, und in seinem leicht umschleierten Gehirn wie einen ungeheuren Tanz erlebte. Er war Maler und seit dem Zirpen der Kugeln drang so viel durch das Ohr auf ihn ein, zum erstenmal in seinem Leben. Aber zuweilen beobachtete er auch ganz klar, plumpe Gesichter und Gesichtsbewegungen, und dann hörte er auch klar wie Marmor. Was er immer wieder hörte, war die Kontur eines Gesprächs, das nach jeder der langen Abwesenheiten, genau dort begann, wo es abgebrochen war. Zwei Soldaten lagen nah beieinander, der eine vom Wiener Hausregiment, der andre ein Tiroler Jäger, die hatten am ersten Tag – in einer der Pausen, wo alle sich verhältnismäßig wohl fühlen – einander zu necken begonnen und kamen davon nicht wieder los. Erst hatte der Wiener den Tiroler freundlich angesprochen und einen Witz über die Russen gemacht, dann hatte der Tiroler grinsend geantwortet, daß die Wiener davongelaufen seien, dort, wo er verwundet worden sei, und dann hatte der Wiener natürlich auf die Langsamkeit der Tiroler geschimpft. Sie meinten es nicht ernst, die beiden, aber sie vertrieben sich die Zeit und konnten nicht damit aufhören, denn der ganze Wagen horchte auf, lachte mit und wartete darauf, wer der Stärkere bliebe. Nach den Regimentern und ihren Fehlern kamen Klugheit und Dummheit, Pfaffen-und Judenherrschaft, Wiener und Tiroler Fraß, endlich die Jungfräulichkeit und die körperlichen Nachteile der Mädchen in Tirol und Wien daran, aber da dies für eine achttägige Reise nicht reichte, wurde auch oft der gleiche Vorwurf in einer neuen Bearbeitung wieder aufgenommen. Wie zwei Hähne flatterten sie, einer nachdem der andre zu Ende war, aus ihrem Stroh auf, waren gleich stark und vertrugen sich nur, wenn sie schliefen oder im Chor der Schmerzen brüllten. Als der Zug sich schon der Endstation näherte – es war manches darüber gemutmaßt worden, aber niemand wußte, daß es Prag war – hob sich der Wiener auf, als fiele es ihm schwer zu atmen, schnüffelte in der Luft und sagte, denn schon war auch der Kopf des Tirolers neben ihm in der Höh: «Hörst? S’ stinkt. Mir san do nach Tirol kemma.», worauf der Tiroler nichts mehr erwiderte. Beide sanken friedlich zurück und als man die Verwundeten heraushob, waren die zwei still verschieden.

      Die kleine Katze aus dem Jenseits

      [Die kleine Geisterkatze in Bozen]

[1916/17]

      Du bist angekommen. Du hast deine Frau ein Jahr lang nicht gesehn. Ein Jahr Stellungskrieg ohne Ablösung und Urlaub. Zuletzt hatte dieses Jahr zu schaukeln begonnen, anzusteigen begonnen; wie die Meeresfläche vor der Seekrankheit sich hebt. 38° Fieber, 39°, 40°: immer steiler mit jeder Stunde. Dann bist du getragen worden und sacht geschaukelt, auf 40 Graden Fiebern wie auf einem gehobenen Wasserspiegel, den du zugleich von unten, von der matten Seite, von der das Licht weggebrochen ist, gesehn hast. Tagelang. Wochen. Nun steht deine Frau zwischen den müssig grünen Bäumen der Allee, die vom Bahnhof in Bozen zum Waltherplatz führt, hat dich erwartet u. sagt: Gott, dein Kopf ist ja kleiner geworden.

      Dein Kopf ist kleiner geworden, das bemerkst du nun auch; zum erstenmal. Die weiche Feldkappe, die immer etwas stramm saß, sinkt bei einem leichten Zug bis zum Ohransatz hinunter, der sie aufhält. Dein erster Gedanke ist, daß du dir vielleicht die Haare zu kurz hast schneiden lassen; du weißt im Augenblick gar nicht, ob du überhaupt .. Du fährst hin, aber das Haar ist sogar länger als es sein sollte. So wird sich die Kappe geweitet haben, aber sie ist noch neu u. wie soll sie sich geweitet haben, während sie unbenutzt neben deinem Bett auf einem Stuhl lag.

      Also machst du einen Scherz daraus und sagst, daß du wohl im Feld dumm geworden sein wirst. Fühlst natürlich, wie ichlos dieser Scherz ist. Und die Angelegenheit ist natürlich auch nicht beendet. Du schützt vor, daß du dir das Haar glatt streichst oder den Schweiß trocknest, trachtest auch einmal, bloß einen halben Schritt zurückzubleiben und dich halb hinter deine Frau zu schieben und greifst schnell mit zwei Fingerspitzen wie mit einem Tastzirkel deinen Schädel zu beiden Seiten an. Ein paarmal mit verschiedenen Griffen. So wie man die Schädel der Toten prüft, um ihre Rasse festzustellen.

      Einige Schritte später habt ihr ein Automobil bestiegen, das dort gewartet hat. Warum nicht am Bahnhof? Das Auto gehört zum Kommando, dem du angehören wirst; Privatfahrten sind verboten. Dein Freund hat es hergeliehn. Du hast ihn jahrelang nicht gesehn; deine Frau hat ihn zufällig in Bozen getroffen; er hat dich hiehergebracht, wo du dich erholen sollst. Du erinnerst dich unklar an die Sache, du hattest ihr nicht viel Teilnahme geschenkt; Telegramme waren beim Spitalskommando gekommen und gegangen, Anfragen nach deinem Befinden, der Befehl, daß du nach deiner Genesung hieher einrücken sollst. Das waren Blätter gewesen, die alsbald von deinem Zustand aufgenommen wurden, glatt auf der Wasserfläche liegend, verschaukelnd. Du hast keinen Finger gerührt, um deine Frau wiederzusehen. Du hast sie trotzdem sehr geliebt. Jetzt entstehen in dir die Begriffe, die dir damals gefehlt haben. Du glaubst ja nicht an Gott, aber – man kann es gar nicht anders sagen: – Gott war dir damals sehr nahe. Mit allem Vorbehalt. Du hast nicht einmal in jenen Stunden an ihn geglaubt, wo aus der dämmrigen Flut plötzlich dein klares Bewußtsein wie eine Insel auftauchte, und dir still und deutlich sagte: diese Stunden sind deine letzten oder du nimmst dich zusammen. Immerhin, du hattest ja auch nie geglaubt, daß Sterben so friedlich ist. Man stirbt mit einem Teil seines Wesens voran; man löst sich auf; wie ein Zug. Während die Knochen noch im Bett liegen und das Bett da ist und der Umschlag und das Enträtselnwollen des Gesichts, das der Arzt macht (aus Neugierde, zur Abwechslung) ist alles was man liebt schon weit voran. Die Sicherheit des Ichseins, des Dichhabens sind sanft, sacht aus dir hinausgetreten u. haben sich von dir entfernt; du siehst sie noch; du weißt, du wirst sie dann mit mächtigen Sprüngen einholen; und weißt eigentlich nicht, bist du schon bei ihnen oder noch hier. Mit allem Vorbehalt sagt man sich: das könnte ja auch Gott sein. Man grübelt nicht, man zweifelt nicht, man glaubt nicht. Wenn das aber Gott ist, dann ruht man im Sterben mitsamt seiner Geliebten in Gottes Arm und seine Arme sind zwei Wasserflächen und fließen ineinander. Aber man läßt kein Telegramm, keinen Brief beantworten, man schert sich nicht um die Angst der Frau, die keine Bewilligung zur Reise erhalten hat und hält alles für wohlgeordnet.

      Heute, während sie dir Vorwürfe deswegen macht, fällt dir natürlich ein, ob sie denn wirklich unter gar keinen Umständen das Kriegsgebiet hatte verlassen können, trotzdem du im Sterben lagst. Du stellst dir die Vorschriften zusammen. Freilich niemand hatte ihr Nachricht gegeben, wie ernst es stand, und so fehlte die Grundlage. Eine Offensive wird vorbereitet und man ist verdoppelt streng. Aber dein Freund ist doch mächtig. Er ist die rechte Hand des Generalstabschefs. Warum fuhr das Auto nicht bis zum Bahnhof? Kann er das nicht? Heimlich borgen kann er es, aber nach außen

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