Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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Leid ergriff ihn. Ich darf dir nicht mehr schreiben, ich darf dich nicht mehr sehn, heulte es um alle Ecken seiner Festigkeit. Aber ich werde wie der liebe Gott bei dir sein, tröstete er sich, ohne sich etwas dabei denken zu können. Und oft hätte er gern bloß geschrien: Hilf mir, hilf du mir! Hier knie ich vor dir! Er sagte sich traurig vor: Denk dir, ein Mensch geht mit einem Hund ganz allein im Sternengebirge, im Sternenmeer! – und Tränen quälten ihn, die so groß wurden wie die Himmelskugel und nicht aus seinen Augen herauskonnten.

      Er spann wachend nun Tonkas Träume.

      Einmal, träumte er vor sich hin, wenn alle Hoffnung Tonkas geschwunden ist, wird er plötzlich wieder eintreten und da sein. In seinem weitkarierten braunen englischen Reisemantel. Und wenn er ihn aufmacht, wird ohne Kleider darunter seine weiße, schmale Gestalt sein, mit einer dünnen goldenen Kette und klingelnden Anhängseln daran. Und alles wird wie ein Tag gewesen sein, sie war dessen ganz sicher. So sehnte er sich nach Tonka, wie sie sich nach ihm gesehnt hatte. Oh, sie war nie begehrlich! Kein Mann lockte sie; es ist ihr lieber, wenn ihr einer den Hof macht, ein wenig ungeschickt weltschmerzlich auf die Gebrechlichkeit solcher Beziehungen hinweisen zu können. Und wenn sie abends aus dem Geschäft kommt, ist sie ganz ausgefüllt von seinen lärmenden, lustigen, ärgerlichen Erlebnissen; ihre Ohren sind voll, ihre Zunge spricht innerlich noch weiter; da ist kein kleinstes Plätzchen für einen fremden Mann. Aber sie fühlt, wohin das nicht reicht in ihr, dort ist sie überdies groß, edel und gut; kein Geschäftsmädel ist sie dort, sondern ebenbürtig und verdient ein großes Schicksal. Darum glaubte sie auch, trotz allen Unterschieds, ein Recht auf ihn zu haben; von dem, was er trieb, verstand sie nichts, das ging sie nicht an, sondern weil er im Grunde gut war, gehörte er ihr; denn auch sie war gut, und irgendwo mußte doch der Palast der Güte stehen, wo sie vereint leben sollten und sich niemals trennen.

      Aber was war diese Güte? Kein Tun. Kein Sein. Ein Schimmer, wenn sich der Reisemantel öffnet. Und die Zeit ging zu schnell. Er hielt sich noch an der Erde fest und hatte den Gedanken: ich glaube an dich! noch nicht mit Überzeugung ausgesprochen, er sagte noch: und wenn alles auch so wäre, wer könnte es denn wissen – da war Tonka tot.

XV

      Er hatte der Wärterin Geld geschenkt und sie hatte ihm alles erzählt. Tonka hatte ihn grüßen lassen.

      Da fiel ihm nebenbei ein wie ein Gedicht, zu dem man den Kopf wiegt, das war gar nicht Tonka, mit der er gelebt hatte, sondern es hatte ihn etwas gerufen.

      Er wiederholte sich diesen Satz, er stand mit dem Satz auf der Straße. Die Welt lag um ihn. Wohl war ihm bewußt, daß er geändert worden war und noch ein anderer werden würde, aber das war er doch selbst und es war nicht eigentlich Tonkas Verdienst. Die Spannung der letzten Wochen, die Spannung seiner Erfindung, versteht es sich recht, hatte sich gelöst, er war fertig. Er stand im Licht und sie lag unter der Erde, aber alles in allem fühlte er das Behagen des Lichts. Bloß wie er da um sich sah, blickte er plötzlich einem der vielen Kinder ringsum in das zufällig weinende Gesicht; es war prall von der Sonne beschienen und krümmte sich wie ein gräßlicher Wurm nach allen Seiten: da schrie die Erinnerung in ihm auf: Tonka! Tonka! Er fühlte sie von der Erde bis zum Kopf und ihr ganzes Leben. Alles, was er niemals gewußt hatte, stand in diesem Augenblick vor ihm, die Binde der Blindheit schien von seinen Augen gesunken zu sein; einen Augenblick lang, denn im nächsten schien ihm bloß schnell etwas eingefallen zu sein. Und vieles fiel ihm seither ein, das ihn etwas besser machte als andere, weil auf seinem glänzenden Leben ein kleiner warmer Schatten lag.

      Das half Tonka nichts mehr. Aber ihm half es. Wenn auch das menschliche Leben zu schnell fließt, als daß man jede seiner Stimmen recht hören und die Antwort auf sie finden könnte.

      Stücke

      Die Schwärmer

Schauspiel in drei Aufzügen[Sibyllen Verlag, Dresden 1921]

      Personen

      Thomas

      Maria, seine Frau

      Regine, ihre Schwester

      Anselm

      Josef, Reginens Mann; Universitätsprofessor und hoher Beamter der Unterrichtsverwaltung

      Stader, Inhaber des Detektivbureaus Newton, Galilei & Stader

      Fräulein Mertens, cand. phil.

      Ein Dienstmädchen

      Das Stück spielt in einem Landhaus, das Thomas und Maria geerbt haben, in der Nähe einer Großstadt.

      Alle Personen des Stücks sind im Alter zwischen achtundzwanzig und fünfunddreißig Jahren; nur Fräulein Mertens ist vielleicht etwas älter, und Josef ist über fünfzig.

      Bis auf diese beiden sind auch alle Personen des Stücks schön, wie immer man sich das vorstellen möge.

      Die Schönste von allen ist Maria, groß, dunkel, schwer; die Bewegungen ihres Körpers sind wie eine sehr langsam gespielte Melodie. Thomas dagegen ist fast klein, schlank und nur raubtierhaft sehnig; dem ähnlich, entgeht sein Gesicht unter einer herrlich starken Stirn fast der Aufmerksamkeit. Anselms Stirn ist hart, niedrig, breit wie ein fanatisch gespanntes Band; der sinnliche Teil seines Gesichts ist faszinierend. Er ist größer als Thomas. Regine ist dunkel, unbestimmbar; Knabe, Frau, Traumgaukelding, tückischer Zaubervogel. Fräulein Mertens hat ein gutmütiges Gesicht, das an einen Schulranzen erinnert, und ein vom Horchen in den Sälen der Weisheit breit gewordenes Gesäß.

      Josef ist lang, hager und besitzt einen großen kantigen Adamsapfel, der über einem zu niedrigen Kragen auf und ab steigt, außerdem einen flossenartigen, fahlbraunen Schnurrbart.

      Stader war einmal ein hübscher Junge und ist jetzt ein tüchtiger Mensch.

      Erster Aufzug

      Die Szene stellt ein Ankleidezimmer dar, das durch eine große geschlossene Schiebetür mit dem anstoßenden Schlafzimmer verbunden ist. Eingangstür auf der entgegengesetzten Seite. Großes Fenster. Ebenerdig. Aussicht auf einen Park.

      Diese Szene muß in der Wiedergabe ebensosehr Einbildung wie Wirklichkeit sein. Die Wände sind aus Leinen, Türen und Fenster sind darin ausgeschnitten, ihre Umrahmung gemalt; sie sind nicht starr, sondern unruhig und in engen Grenzen beweglich. Der Fußboden ist phantastisch gefärbt. Die Möbel gemahnen an Abstraktionen wie die Drahtmodelle von Kristallen; sie müssen zwar wirklich und benutzbar sein, aber wie durch jenen Kristallisationsvorgang entstanden, der zuweilen für einen Augenblick den Fluß der Eindrücke anhält und den einzelnen unvermittelt einsam ausscheidet. Oben übergeht der ganze Raum in den Sommerhimmel, in dem Wolken schwimmen. Es ist früh am Vormittag.

      Regine sitzt, einen Brief in der Hand, auf einem ungeduldig herangezogenen Sessel an der Schlafzimmertür, leise mit den Fingerknöcheln daran trommelnd. Fräulein Mertens steht ratlos ihr zugewendet mehr in der Mitte des Zimmers.

      Regine: Sie sind also wirklich nicht abergläubisch? Sie glauben nicht an geheime persönliche Kräfte?

      Fräulein Mertens: Wie denken Sie sich das eigentlich?

      Regine: Gar nicht. Als Kind und noch als Mädchen hatte ich eine häßliche Stimme, sobald ich nur laut sprach; aber ich wußte, daß ich eines Tags alle Leute durch einen wunderbaren Gesang überraschen würde.

      Fräulein Mertens: Und haben Sie dieses Organ bekommen?

      Regine: Nein.

      Fräulein Mertens: Nun also.

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