Der Moloch. Jakob Wassermann

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Der Moloch - Jakob Wassermann

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verabschiedet hatte, schlug sie den gelben Schal fester um Brust und Schultern und ging dem Lehrer entgegen.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war Nachmittag; Arnold saß am Fluß und schaute ruhig nach der Angelschnur, die sich in weitem Bogen zum Wasser senkte. Er hatte das Hemd über der Brust geöffnet; es war ungewöhnlich schwül geworden. Nicht das kleinste Fischlein wollte sich verbeißen; den schwarzen Fluß kräuselte keine Welle. Der Himmel hatte sich umzogen; über den schlesischen Wäldern lag ein Wetter.

      Salscha, vom Dorf herkommend, blieb neben Arnold stehen und fragte ihn, was er mit dem Fleischer Uravar gehabt habe, der schimpfe wie ein Teufel auf ihn.

      Arnold brummte etwas vor sich hin.

      Weshalb er sich da hineinmische, fuhr das Mädchen fort, dem Juden werde er ja doch nicht zu seinem Recht verhelfen können.

      »So? warum denn nicht?« fuhr Arnold auf.

      Na, die Juden seien eben keine rechten Menschen, sie behexten das Vieh und zu Ostern schlachten sie Christenkinder.

      »Dumme Gans,« murmelte Arnold verächtlich. »Der Jud ist arm, hat neun Kinder zu Haus und wenn er zu Gericht geht, wird er auch sein Recht bekommen.«

      »Natürlich, als ob das Recht bei den Gerichten so billig wäre!« höhnte Salscha.

      Arnold zuckte die Achseln und schwieg.

      Salscha setzte sich auf einen Stein neben Arnold, die Knie unter den Röcken weit voneinander, die Augen nicht von ihm wendend. Weit und breit war kein Mensch zu sehen; eine Viertelstunde der Liebe schien erwünscht. Aber endlich merkte sie die Kälte Arnolds. Mit bösem Blick schielte sie nach der Angel, stand auf und ging. Lange noch hörte Arnold ihr gleichmäßiges und erzürntes Trällern über die Wiesen klingen.

      Arnold schnellte die Angel aus dem Wasser und machte sich auf den Heimweg, da der Regen nahte. Über Podolin wetterleuchtete es. Er schulterte die Rute und schritt fest über den dürren Ackerboden. Frau Ansorge saß bleich in der Mitte des Zimmers, als er eintrat, denn sie fürchtete Gewitter, besonders die des Herbstes.

      Aber die Wolken verzogen sich wieder.

      Arnold erzählte, daß ihn der Lehrer in Podolin angesprochen und ihm mit allerlei wunderlichen Ausdrücken von dem Leben in der Stadt vorgeschwärmt habe.

      Frau Ansorge runzelte finster die Stirn. »Der Windbeutel«, sagte sie; »er soll seine frischgebackene Weisheit für sich behalten.«

      Sie stellte sich ans Fenster und blickte gegen den Himmel, wo ein Regenbogen stand.

      »Komm einmal her, Arnold,« sagte sie.

      Arnold trat an ihre Seite.

      »Siehst du den Regenbogen? Jetzt steht er schön und groß vor dir. Kommst du zwischen Gassen und Häuser, so bleibt nicht mehr viel von ihm übrig. Und so viel deine Augen davon verlieren, so viel Glück und Ruhe verlierst du selber. Und die Stadt, das ist nichts andres als eine Unmenge von Gassen und Häusern. Sie verwirren dich nur, die Windbeutel, sie sind leer wie gedroschenes Stroh.«

       Inhaltsverzeichnis

      Hankas, die neuen Bewohner von Podolin, hatten Besuch. Der Bruder von Agnes Hanka, Alexander, war aus Wien gekommen. Er wollte nur drei Tage bleiben; Erbschaftsangelegenheiten waren zu besprechen. Auch wegen Beate kam er, die seine Schutzbefohlene war. Agnes hatte sie einst auf seinen Wunsch zu sich genommen. Vor Jahren hatte er die arme Waise den Händen böswilliger Verwandten entrissen, der Familie seines Gutsinspektors in Böhmen. Alexander Hanka, den alle Welt für die Vernunft und Hausbackenheit selber hielt, hatte damals phantastische Pläne gefaßt. Ein Ideal schwebte ihm vor: ein von der Gesellschaft losgelöstes Weib, innerlich frei und kräftig, unverblendet und natürlich, das er für sich, für ein von der Gesellschaft losgelöstes Leben auferziehen wollte. Seitdem waren acht Jahre verflossen, und er sah auf sein ehemaliges leichtgläubiges Ich etwas gelangweilt herab. Beate selbst fand diese gleichmütige Gesinnung sehr bequem. Wer nicht dankbar zu sein braucht, ist wenigstens ehrlich; sie schätzte den Beschützer, denn sie wußte, was sie an ihm hatte, und war zutraulich gegen ihn.

      Als Doktor Hanka in Podolin ankam, stand die Sonne schon tief im Westen. Harzgeruch würzte die Luft, Bauern gingen vorbei und grüßten. Am Rain weideten Kühe und blickten mit Ruhe und Mißbilligung auf den städtischen Ankömmling.

      Agnes und Beate waren nicht zu Hause. Hanka erfuhr, daß seine Schwester beim Pfarrer, Beate man wisse nicht wo sei. Damit gab er sich zufrieden, setzte sich auf die Bank vor dem Haus, rauchte, schlug die überaus langen Beine übereinander und wartete. Die Stille und der große Himmel, dessen Anblick in solchem Umfang ihm ungewöhnlich war, ließen ihn seine anfängliche Verdrießlichkeit über den Landausflug vergessen.

      Während er noch in Nachdenken versunken war, es fing schon an zu dämmern, klang ein überraschtes Ach an seine Ohren. Beate stand hinter ihm und mit ihr war Maxim Specht gekommen. Beate, indem sie eine ungeschickte Tanzstundenhöflichkeit annahm, machte die beiden Männer miteinander bekannt. Der Lehrer und Beate sahen belustigt und aufgeräumt aus. Mit offenbarem Vergnügen an seinem Talent, Erlebtes wiederzugeben, erzählte Specht, daß sie auf der Lomnitzer Straße Arnold Ansorge begegnet seien und sich sehr gut dabei unterhalten hätten.

      »Er fragte, ob ich schon einen Liebhaber hätte,« platzte Beate lachend heraus.

      »Nicht was er sagt, ist so amüsant,« erklärte Specht, »sondern wie er zuhört, wie er verwundert ist, wie er jedes Wort bedenkt. Er ist nicht dumm.«

      »Wer ist Arnold Ansorge?« fragte Hanka kühl, dem die Art Spechts nicht sympathisch war. Indes kam auch Agnes Hanka. Bruder und Schwester begrüßten einander herzlich, Alexander mit der ihm eigenen Gravität und spöttischen Zurückhaltung, Agnes mit einem Ausdruck unbegrenzter Hochachtung vor dem Bruder. Da sie schwerhörig war, redete sie wenig, aus Furcht, mißzuverstehen und aus noch größerer Furcht, denjenigen allzusehr zu bemühen, mit dem sie sich unterhielt.

      Alle vier gingen ins Haus. Specht verabschiedete sich bald. Sein Taktgefühl sagte ihm, daß er überflüssig, und seine Empfindlichkeit, daß Hanka nicht zufrieden sei mit der Anwesenheit eines Fremden. Als Specht gegangen und Agnes in der Küche beschäftigt war, erkundigte sich Hanka bei Beate nach dem Lehrer.

      Beate blickte den umherstolzierenden Frager mit damenhafter Nachlässigkeit an. Sie hatte die Hände über den Knien verschränkt, saß vorgebeugt und trippelte leise mit den Fußspitzen. Sie begann von Specht zu schwärmen, der arm sei, aber nach ihrer Überzeugung es zu etwas Großem bringen würde. Nur die Not habe ihn hierher verschlagen, bald wolle er die Schulmeisterei an den Nagel hängen. »Er ist ein Sozialist,« fuhr sie flüsternd fort, »aber das sag’ ich dir nur im Vertrauen, es soll Geheimnis bleiben.«

      Hanka blieb mit gespreizten Beinen vor ihr stehen, wiegte sich in den Hüften, schmunzelte gutmütig und um seinen vollen, weichen Mund zuckte die Ironie wie in kleinen Schlänglein. Sogar in den Bewegungen seines langen, hagern Körpers drückte sich Wohlwollen und Spott aus. Zum erstenmal heute sah er Beate voll und deutlich an; sie gefiel ihm, besonders behagten ihm die

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