Der Moloch. Jakob Wassermann

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Der Moloch - Jakob Wassermann

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langen Blick, der zugleich nachlässig, verliebt, unentschieden und von äußerster Wildheit war. Ihre Haare klebten an der Stirn, ihre Halsader pochte, ihre Ohren waren purpurrot, das Gesicht blaß. Zwei betrunkene Bauern, die tschechisch lallten, verdeckten gleich darauf die beiden für Arnolds Blicke. Er drängte sich zur Türe durch. Er war schon im Freien, als er eine Stimme hinter sich vernahm. Es war Specht, der seinen Arm abermals in den Arnolds schob und höflich bat, mitgehen zu dürfen. Arnold wußte nichts zu entgegnen. Die Welt ist für jedermanns Füße, dachte er. Er hörte den Lehrer keuchen von der Anstrengung des Nachlaufens.

      »Bleiben wir doch noch zusammen,« bat Specht wiederum. »Ich möchte nicht gern allein sein. Es ist erst sieben Uhr und wir könnten ganz gut noch einen Spaziergang machen.«

      Arnold nickte, halb neugierig, halb gleichgültig. Bald hatten sie den Lärm hinter sich. Trotz der Dunkelheit war der Weg deutlich, denn der Viertelsmond stand im Westen. Der Frieden der Felder schien vertausendfacht durch das nun verklungene Marktgetöse.

       Inhaltsverzeichnis

      »Elende Bauern,« sagte Specht, nachdem sie eine Weile lang schweigend gegangen waren. »An einem einzigen Sonntag werfen sie fort, was sie einen ganzen Sommer lang zusammengescharrt haben.« Er redete in Wut und Haß und warf irgend eine Anklage, die mit seinen Gefühlen gar nichts zu schaffen hatte, irgendwohin.

      Arnold schwieg.

      »Und was ist das überhaupt für ein Leben!« fuhr Specht mit einer verzweifelten Bewegung seines ganzen Körpers fort. »Wer bin ich hier? Was soll ich hier? Lauter Bauern, lauter Dummköpfe! Kein Mensch, mit dem man ein richtiges Gespräch führen kann. Pfui Teufel.«

      Er ärgert sich, weil sein Mädchen mit einem andern getanzt hat, dachte Arnold, was macht er solches Wesen davon.

      »Ich wundre mich nur, daß Sie’s hier aushalten,« sagte Specht, »Sie sind doch auch schließlich nicht auf den Kopf gefallen. Das ist doch keine Existenz für Sie. Sie müssen hinaus in die Welt. Man braucht Männer heutzutage.«

      »Mir ist ganz wohl hier,« gab Arnold ruhig zur Antwort.

      Das Dorf war längst verschwunden, sie schritten schweigend am Waldrand entlang. Die Wiesen glänzten silbern, Mondnebel erfüllten die Luft. Dicht vor ihnen tauchten die Mauern des Felizianerinnen-Klosters auf; über dem hohen Tor glänzte ein Kreuz.

      »Wir sind sehr weit,« sagte Specht bedenklich. Mit verborgener Bewunderung heftete er den Blick auf Arnold, der ihm gegenüberstand, die Füße in schreitender Stellung, das Gesicht mit einem Ausdruck des Lauschens emporgewandt, das braune Haar aus der Stirn gestrichen. Die etwas lange, gerade, aber breitrückige Nase verlieh dem Gesicht einen durchaus reifen Charakter.

      Der Lehrer riß einen Zweig ab und zerbog ihn. Seine Haltung war sinnend und schwermütig. Ihm war, als sei sein Gemüt gereinigt worden, und er hörte mit ganz anderm Ohr das Rauschen, welches der Wind in den Baumkronen verursachte. Seine Qualen rückten auf ein anderes Ufer, vor ihm floß ein Strom der Einsamkeit.

      Sie gingen ein Stück weiter bis zum Fuße der Klostermauer. Dort setzte sich Specht auf eine Steinbank und erzählte von seiner Tätigkeit als Lehrer, von seinen Wünschen und Träumen, von seinem sozialen Ideal, das ihn anderswo hinweise als in mährische Einöden. Er erzählte von seiner Bibliothek, von seinen mit Studien verbrachten Nächten und deutete dumpf und schamvoll sein kümmerliches Auskommen an. Sein Ton war einfach, wenn auch durch die Nacht etwas gedrückt. Ihm war, als müsse er diesem Menschen beichten, und er vergaß die jüngeren Jahre Arnolds. Leicht erzeugt ohnedies eine solche Stunde festere Brücken zwischen Männern, als etwa ein Beisammensitzen im Sonnenschein. Freilich nicht bei Arnold, den keine innere Enge trieb, sich mitzuteilen. Aber da es für ihn nichts Längstbekanntes gab, kein alltägliches Schicksal, lauschte er dem Lehrer mit Interesse.

      Endlich erhob sich Specht und meinte, es sei doch Zeit, nach Hause zu gehn. Während des Heimwanderns brachte er noch vielerlei vor, denn er hatte einen regen, lebendigen Geist, und mit Unrast suchte er Beziehungen und wünschte Sympathien.

       Inhaltsverzeichnis

      Am andern Morgen, als Arnold und Frau Ansorge beim Frühstück waren, kam Ursula und erzählte, die Felizianerinnen hätten die Tochter des Juden Elasser zu sich ins Kloster gebracht.

      »Vierzehn Stunden haben die Leute nicht gewußt wo ihr Kind ist,« sagte sie. »Erst heut Nacht haben sie es durch einen Zufall erfahren.«

      »Und was ist dann geschehen?« fragte Arnold.

      »Der Jud ist mit dem Gendarmerie-Wachtmeister Wittek ins Kloster gegangen. Man hat sie aber nicht hineingelassen.«

      »Eine wunderbare Geschichte,« bemerkte Frau Ansorge spöttisch.

      Arnold erinnerte sich seiner gestrigen Begegnung mit dem Hausierer und an dessen beklommenes Wesen. »Man kann doch nicht ohne weiteres ein Mädchen rauben,« sagte er verwundert.

      »Wahrscheinlich soll das Judenkind getauft werden,« antwortete Ursula.

      Der Bäcker aus Podolin, der gleich darauf kam, bestätigte das Vorgefallene.

      »Ich versteh das nicht,« sagte Arnold in wachsender Verwunderung zu seiner Mutter. »Können die vom Kloster ein Kind einfach stehlen?«

      Frau Ansorge zuckte die Achseln.

      »Man kann es doch nicht taufen, wenn die Eltern nicht wollen.«

      »Vielleicht will das Mädchen selber. Wenn es vierzehn Jahre alt ist, braucht man die Einwilligung der Eltern nicht.«

      »Wenn es aber nicht will? Dann müssen Sie es wieder entlassen, wie?«

      Frau Ansorge zuckte abermals die Achseln. »Was gehen uns die fremden Leute an,« entgegnete sie gleichgültig.

      Gegen Mittag machte sich Arnold auf den Weg nach dem Dorf. Auf dem Hauptplatz blieb er eine Weile unschlüssig stehen. Dann, fast wider Willen trat er in den Ullmannschen Schnapsladen an der Ecke. Bauern, Knechte, Tagelöhner, Unterstandslose, ja sogar ein paar Weiber saßen dort und machten Lärm. Arnold ließ sich ein Glas Tschai geben. Ein alter, dicker, gichtiger Bauer, der weithin nach Schnaps roch und dessen Mund verzogen war, als hätte er Zitronensaft auf der Zunge, sagte, jetzt sei die Zeit gekommen, und endlich werde dem Juden der Garaus gemacht. Getauft oder verbrannt, schrie ein Bursche, dem die bloße Brust durch das zerrissene Hemd schien. Der Ladenbesitzer, selber ein Jude, mit einem Bart, der dünn und kranzartig um das ganze Gesicht lief, lachte mit weit aufgerissenem Mund. Eine pockennarbige Bäuerin behauptete, der Papst und der Erzbischof hätten den Felizianerinnen strenge befohlen, alle Judenkinder zu taufen.

      Arnold fragte den geleckt und hungrig aussehenden Geschäftsgehilfen nach der Wohnung Elassers und verließ dann den Laden.

      Podolin, aus einer langgestreckten Reihe niedriger Häuser bestehend, hatte nur eine einzige Seitengasse und dort, dicht am Flußufer, wohnte Elasser. Die abschüssige Gasse war fast ungangbar durch Misthaufen, Kotpfützen, Schottergestein und umhergackerndes Geflügel. Von den Mauern des Elasserschen Häuschens war

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