Der Moloch. Jakob Wassermann

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Der Moloch - Jakob Wassermann

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als trauriger Anblick bot.

       Inhaltsverzeichnis

      Samuel Elasser hockte zusammengekauert, die Knie fast bis zur Brust emporgezogen, im Winkel eines schmutzigen Kanapees. Er hatte mit beiden Händen das Gesicht so vollständig bedeckt, daß darunter nur der braune Bart hervorquoll. Auf dem Kopf trug er ein altes, hintübergeschobenes Seidenkäppchen mit einer Quaste. Um ihn herum standen wie in einem abgemessenen Halbkreis sechs Kinder und blickten regungslos auf die kauernde Gestalt ihres Vaters. Eines von zwei Jahren kroch halb spielend, halb winselnd über die Dielen und ein Neugeborenes lag eingehüllt in bunte Lappen, die wiederum durch einen grünen Gürtel zusammengehalten waren, auf einer breiten Bank neben dem Ofen. Die Frau stand vor dem Fenstersims und bewegte betend die Lippen und den Oberkörper. Außer dem Gelalle des kleinen Halbnackten war kaum ein deutlicher Laut vernehmbar. Auf dem Tisch standen acht blecherne Kaffeetassen, an einem Strick vom Ofen zur Wand hingen rote Windeln zum Trocknen und der Türe gegenüber nahm ein uralter Schrank den fünften Teil des Raumes ein.

      Nachdem Arnold einige Minuten ruhig auf der Schwelle geblieben war, trat er ins Zimmer. Sogleich drängten sich die sechs Kinder in einen Knäuel zusammen. Elasser ließ die Hände vom Gesicht fallen und blickte den Fremdling mit glasigen Blicken an. Arnold war etwas verdutzt über die gepreßte Trauer und düstere Niedergeschlagenheit, die hier herrschten. Er forschte unter den Gesichtern der Kinder und als er das ihm bekannte der kleinen Jutta nicht erblickte, fragte er: »Ist sie noch nicht zurück aus dem Kloster?«

      Die Frau drehte sich um und heftete aus ihren hervorquellenden, ermüdeten Augen einen ungewissen und furchtsamen Blick auf Arnold. »Weiß der Herr nicht, daß unsere Jutta geschleppt worden ist mit Gewalt ins Nonnenkloster?« rief sie mit einer überscharfen Stimme. Ihre Züge, obwohl alt und häßlich, entbehrten nicht des Reizes, den das Leiden in jeder Form zu erteilen vermag.

      Arnold blickte die Frau aufmerksam an. »Ja ja,« erwiderte er, »aber das ist doch gegen das Recht.«

      »Sehn Sie nur an,« fuhr die magere Jüdin fort und hob sibyllenhaft den Kopf, »wie es bestellt ist mit dem Recht. Für die armen Leute gibt’s kein Recht, für arme Juden gibt’s gar kein Recht. Und mit was kann ich dienen? Mit wem hab ich das Vergnügen?«

      »Es ist der gnädige Herr Ansorge,« klärte Elasser auf, mit einer Geberde, die ebensowohl für ehrfürchtig als für kummervoll gelten konnte. »Der Herr kommt nicht in schlechte Absichten, Mutter. Erinnern Sie sich, gnädiger Herr, wie ich meine Jutta hab gesucht Sonntag? Wir haben gewartet und gewartet und wer nicht gekommen is, war unsere Jutta. Und der ganze Abend ist geflossen un endlich gegen elf is gekommen der Gehilf vom Uravar und klopft da draußen und meint, wir sollen doch einmal nachfragen im Kloster. Und ich denk mir noch und denk mir noch, ’s ist wahr, sie kann sein gegangen mit die Bänderchen zu den Nonnen, denn sie ist allein hausieren gegangen, und solche Sachen sind schon bereits vorgekommen, und der Gehilfe, der ’s Fleisch bringt ins Kloster, kann sie dort gesehn haben. Gnädiger Herr meine Tochter ist eine gute Jüdin, warum soll sie bei den Nonnen geblieben sein? Und es war Mitternacht, bin ich noch gegangen und der Herr Wachtmeister, ein freundlicher Herr, ist mit mir gegangen ins Kloster. Und wir verlangen die Oberin zu sprechen, aber die Schwester Pförtnerin sagt, wir sollen kommen in der Früh und meine Jutta wäre da. Und der Herr Wachtmeister sagt, warten wir bis in der Früh. Gut. Sie können sich denken, daß wir kein Aug zugemacht haben die ganze Nacht, und in der Früh um sechs bin ich abermals wieder gegangen mit dem Herrn Wachtmeister und verlang zu sprechen die Oberin. Un sie kommt und ich verlang zu haben mein Kind. Und gnädiger Herr, glauben Se mir, mein Herz is still gestanden, sie sagt, ich soll kommen in fünf Tagen, bis sich das Mädchen besser gewöhnt haben wird an die neue Umgebung.«

      Elasser wand sich, als ob ihn die Eingeweide brennten. »Un so bin ich fortgegangen,« schloß er und atmete tief.

      »Und der Wachtmeister?« fragte Arnold, dessen Gesicht sich verfärbt hatte.

      »Der Herr Wachtmeister is ein freundlicher Herr, aber er hat gesagt, leider, es ist vorläufig nichts zu machen. Man muß warten. So wart ich.«

      Der Säugling auf der Ofenbank erwachte und begann ein dünnes Geheul, bis die Mutter hinging und ihm ein in Honig getauchtes, kugelartiges Leinwandstück in den Mund steckte. Auch das auf dem Boden kriechende Kind fing an zu weinen. Die Frau blickte gleichgültig herab, gab ihm mit dem Bein einen leichten Stoß, und als es platt auf der Erde lag, rollte sie es mit dem Fuß gleich einem Fäßchen hin und her. Das Kind lachte, während die Mutter leise summte und mit der Hand den Säugling wieder in Schlaf schüttelte.

      Elasser erhob sich, nachdem er lange vor sich hingebrütet hatte und blickte Arnold ohne jede Schüchternheit mit funkelnden Augen an. »Was soll ich tun, lieber Herr,« sagte er dumpf und sein demütiger Tonfall wirkte sonderbar im Gegensatz zu seinem Aussehen. »Kann ich mir helfen, sagen Sie selber? Wenn sie sagt, ich soll kommen in einem Jahr, kann ich mir helfen? Und wenn ich keine Nacht mehr schließ ein Auge, kann ich mir helfen, lieber Herr?« Er ging auf und ab.

      Arnold verfolgte ihn mit den Blicken. Er begriff nicht, begriff nichts. Diese Verzweiflung schien ihm unverständlich.

      »Papa,« rief jetzt der älteste Knabe mit finsterer Entschlossenheit, »hör auf zu reden, bitt dich, vor dem Christen.«

      »Keine Ruh will ich haben, keine ruhige Stunde, bis sie mir nicht mein Kind gegeben haben!« rief Elasser mit scheuer Leidenschaftlichkeit. »Und wenn ich bis Wien zum Herrn Kaiser gehen muß, un wenn ich hungern un dürsten muß.«

      »Und sollen Weib und Kinder gleichfalls hungern?« fragte die Frau mit streng zusammengezogenen Brauen.

      »Schämen Sie sich doch,« sagte Arnold laut und blickte verdrießlich von einem zum andern, »gibt es denn kein Gericht? Jeder Richter muß Ihnen das Kind zurückgeben, sobald es das Gesetz verlangt.«

      Draußen wurden Schritte laut und drei jüdische Männer betraten den Raum, wobei sie Gebete murmelten.

      Arnold ging. Er war kaum bis zur Ecke des Hauptplatzes gelangt, als ihm Specht begegnete. Der Lehrer schien die größte Eile zu haben, blieb aber doch bei Arnold stehen, fing von der Klostergeschichte an und meinte, es sei sonderbar, daß sie beide gerade gestern Abend vor dem Kloster geweilt hätten. »Und was sagen Sie zu alledem? Klingt es nicht fabelhaft, daß dergleichen noch vorkommt?« Leise und geheimnisvoll fügte er hinzu: »Ich berichte alles an eine Wiener Zeitung. Übrigens könnten wir eine halbe Stunde miteinander plaudern; kommen Sie mit ins Wirtshaus.«

      Arnold folgte zögernd, betrat das dumpfe und dunkle Gemach, nahm schweigend neben Specht Platz und nickte, als der Wirt ein Glas Bier vor ihn hinstellte.

      Niemand war hier außer den beiden. Ein kleiner Rattenpinscher lag neben Specht auf der Bank, erhob den Kopf, knurrte und schlief bald weiter. Specht schien lange innerlich zu kämpfen, endlich sagte er: »Heute ist es mir schlimm ergangen; heute hab’ ich was Schlimmes erfahren. Hören Sie nur ... Vielleicht bereu’ ich einmal, daß ich schwatzhaft war, aber der Teufel kann ewig schweigen.«

      Arnold horchte hoch auf und schaute erwartungsvoll auf den Mund des Lehrers.

      »Sie kennen doch Beate?«

      Arnold wandte den Kopf ab und nickte gleichgültig. Specht legte seine Hand auf Arnolds Schulter und sagte beschwörend und schmerzlich: »Ich übertreibe nicht, mein Lieber, aber wenn es eine verkörperte Ruchlosigkeit gibt, ist es diese siebzehnjährige Hexe. Was ich gelitten habe! Doch es ist vorbei; anderes liegt vor

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