Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield
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Читать онлайн книгу Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen - Charles Sealsfield страница 114
»Miko,« sprach sie, ihre Arme ausbreitend und im Begriffe, auf ihn zuzueilen, »ich muß dich verlassen.«
»Wie spricht meine Tochter?« fuhr der Indianer auf, der noch nicht seinen Ohren zu trauen schien. »Tokeah ist nicht ihr Vater? Sie will«, und seine Stimme nahm einen so unnatürlich pfeifenden Ton an, daß der Wirt und seine Frau schreiend zur Tür hereinstürzten, »sie will«, brach er endlich aus, »dem Miko nicht folgen?«
»Sie kann nicht«, sprach sie mit ungemeiner Festigkeit.
»Halt, Tokeah! so lieb dir dein Leben ist, halt,« rief der Squire, »und sieh mir in das Gesicht; in dir kocht wieder der Teufel.«
»Meine Tochter«, sprach der Wilde, ohne diesen einer Antwort zu würdigen, »sagt, sie hat einen andern Vater gefunden?«
»Ja, Vater meiner Canondah!« flüsterte sie.
»Und sie will bei den Weißen bleiben?«
»Rosa muß.«
»Und Rosa«, fuhr er in demselben anscheinend kalten Tone fort, »will den Miko verlassen? Ihn allein auf den weiten Pfad gehen lassen?«
Und indem er diese Worte anscheinend auf die ruhigste Weise aussprach, hatte er die Riemen des Sarges über seinen Kopf gezogen, sprang mit einem Satze auf seine Beine und auf Rosen zu, und sie in seine Arme aufraffend, stürzte er zurück in die Ecke an die Türe des Seitengemachs, daß die Scheiben des Glasfensters in tausend Stücke brachen.
»Und glaubt die weiße Schlange, der Miko ist ein Narr?« schrie er mit zornfunkelnden Augen, das Mädchen in seinem linken Arme haltend, während der rechte das Schlachtmesser schwang.
»Miko!« rief der junge Häuptling, der bisher schweigend und teilnahmlos gesessen, aber nun, entsetzt über den unbeschreiblich furchtbaren Ausbruch der Wut, aufgesprungen und dem Miko nachgeeilt war.
»Und glaubt die weiße Schlange,« rief der rasende Wilde mit einer pfeifend höhnischen Stimme, und der Schaum stand ihm am Munde, »glaubt die weiße Schlange, der Miko habe sie gefüttert und Felle für sie bezahlt und sie zur Blume gezogen für die Weißen, die giftigen Weißen, die er anspeit?« Er spie mit Abscheu aus.
»Beim allmächtigen Gott, halt! Ihr seid alle des Todes, wenn dem Kinde etwas zuleide geschieht«, rief der Squire, der einen Stuhl erfaßt und sich mit Gewalt den Weg zu ihr bahnen wollte, jedoch von den Cumanchees und Oconees zurückgestoßen wurde.
»Deswegen wollte also die weiße Schlange zu den Weißen«, rief er. »Weiß mein Sohn, daß die weiße Rose ihren Vater verraten, an die Weißen verraten?« rief er dem Cumanchee zu. »Will die weiße Schlange ihrem Vater folgen?« schrie der schäumende Wilde.
»Ich kann nicht,« sprach sie, »meines Vaters, meines weißen Vaters Stimme ruft.«
Ein Blick des tödlichsten Hasses durchzuckte den Wilden für einen Augenblick, während er das schöne, halb ohnmächtige Kind in seinen Armen hielt.
»Tokeah will die weiße Rose den Weißen lassen«, rief er giftig lachend, indem sein Schlachtmesser zuckend nach ihrem Busen fuhr.
»Um Gottes willen! er mordet sie,« schrie der Major, der nun wie rasend durch die Indianer brach; doch der junge Mexikaner war ihm in diesem entscheidenden Augenblick zuvorgekommen. Mit einem Satz zwischen die niederfahrende Hand des Wilden und sein Schlachtopfer springend, riß er Rosen aus den Armen Tokeahs und schleuderte ihn mit zornblitzenden Augen in die Türe hinein, daß sie in Stücke flog.
»Tokeah ist wahrhaftig eine wilde Katze,« rief er mit Abscheu, »der vergißt, daß er ein Häuptling seines Volkes, ein Vater ist, der Schande auf den Namen der roten Männer bringt. El Sol schämt sich eines solchen Vaters.«
Diese Worte, im Pawneedialekte gesprochen, hatten eine unbeschreibliche Wirkung auf den Wilden. Er hatte sich aufgerichtet, sank aber wieder wie leblos zusammen. El Sol sprang zu ihm und richtete ihn auf.
Die Milizen waren unterdessen angekommen und traten mit aufgepflanztem Bajonett ein.
»Sollen wir den Indianer ins Gefängnis führen?« fragte Leutnant Parker.
Der Major stand noch immer sprachlos, im tiefen Nachdenken seine beiden Arme um Rosa geschlungen.
»Leutnant Parker,« sprach er, »nehmen Sie einstweilen Rosen; der Allmächtige selbst hat sie beschützt, und uns geziemt es nicht, Rache zu nehmen. Aber Tokeah!« redete er diesen an, indem er nun an den noch immer am Boden liegenden Wilden herantrat und ihn mit beiden Händen erfaßte und an die Wand richtete, »Tokeah, du hast dein Leben nach unseren Gesetzen verwirkt, und der Strang wäre deine gelindeste Strafe; doch gehe nun, und zwar in dieser Stunde. Nicht uns geziemt es, an einem so entmenschten Wesen, wie du, Gerechtigkeit zu üben. Sei deiner eigenen Strafe überlassen.«
Rosa hing noch halb leblos in den Armen des Squire. Nun jedoch blickte sie um sich und erhob sich dann. »Er war mein Vater, mein unglücklicher Vater«, flehte sie, und auf ihn zueilend, schlang sie ihre beiden Arme um ihn. »Vater meiner Canondah!« bat sie, »Rosa würde dich nimmer verlassen, aber es ruft die Stimme ihres Vaters; wirst du deiner gewesenen Tochter verzeihen?«
Der Indianer gab keinen Laut von sich.
Sie sah ihn eine Weile mit tränenden Augen an, dann wandte sie sich zu El Sol, und sich sittsam ehrfurchtsvoll verneigend, nahm sie Abschied und entfernte sich mit ihren Begleitern.
Der junge Häuptling war wie träumend noch gestanden, als der Major mit Rosen und den Milizen schon weit von der Schenke waren. Plötzlich kam er jedoch nachgesprungen, und sich vor Rosa stellend, faßte er ihre Hände, drückte sie an seinen Busen und neigte sein Haupt so wehmütig, daß alle sprachlos standen. »El Sol«, flüsterte er ihr mit kaum hörbarer Stimme zu, »hat Rosen gesehen, er wird sie nie wieder vergessen.« Und dann wandte er sich, ohne sie oder jemanden anzublicken.
»Fürwahr,« sprach der Squire gerührt, »er hat Tränen vergossen, der edle Wilde.«
Dreiundvierzigstes Kapitel
Eine Stunde darauf verließen die Indianer das Bayou in demselben Kanu, in dem sie gekommen waren. Sie fuhren den Mississippi hinauf und schossen dann in die Mündung des Redrivers hinein, auf dem sie ihre Fahrt fortsetzten. Am zehnten Tage nach ihrer Abfahrt befanden sie sich, immer aufwärts steigend, auf der Hochebene, wo die westlichen Grenzen von Louisiana und Arkansas mit den östlichen Mexikos zusammenstoßen. Vor ihnen lagen die noch immer mit Schnee bedeckten Häupter der Ozarkgebirge, jenseits welcher sich ungeheure Steppen gegen die Felsengebirge oder Rockymountains dehnen. Die Sonne sank soeben hinter die Schneeberge, als sie an dem westlichen Ende des langen Tafelfelsens landeten, der, wie bekannt, am linken Ufer des roten Flusses wallartig, einem ungeheuern Würfel gleich, emporsteigt. Als sie ihr Kanu verlassen hatten, gingen sie einem Felsen zu, der sich unfern dem Ufer in der öden Salzsteppe erhebt, und in dessen Mitte sich eine Grotte befindet, einem gemauerten Gewölbe nicht unähnlich. Da schlugen sie ihr Nachtquartier auf. Dieser Felsen bildet die imaginäre Grenzlinie, die die Pawnees des Toyaskstammes, die Consas und die Osagen für ihre Jagdreviere sich gesetzt haben. Der junge Häuptling befahl den Seinigen, ein Feuer anzuzünden; denn der alte Mann, aus dem heißen Klima Louisianas gekommen, zitterte vor Kälte. Nachdem sie ihr sparsames