Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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daß er sich unglücklich fühle. Er hatte einen eisernen Willen; schon als Knabe war es ihm nie in den Sinn gekommen, irgend jemand, auch seinen Vater nicht, für seine Entschlüsse mitverantwortlich zu machen – das mochte ihm auch jetzt seine unzerstörbare heitere Seelenruhe geben.

      Anders schien es um den alten Freiherrn zu stehen. Er verhielt sich offenbar in steter Kriegsbereitschaft zu der Schwiegertochter, die den lustigen, alten Haudegen in ihren Briefen gründlich zu täuschen gewußt hatte. In seinen Zügen malte sich augenblicklich ein Gemisch von Ingrimm, tiefer Reue und Jammer um den Sohn; aber er schwieg; mit schwerem Geschütz durfte er nicht kommen, wenn er nicht die bösesten Nervenzufälle am Teetisch heraufbeschwören wollte, und das Plänkeln hatte er satt ... Er schob, nachdem er hastig einige Bissen genossen, Tasse und Eierbecher fort, zog ein kleines Paket, das er beim Fortgehen in seinem Zimmer eiligst zu sich gesteckt hatte, aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Sein Gesicht hellte sich auf; er schien sichtlich froh, auf ein anderes Thema zu kommen.

      »Schau, in dem Papier da liegt die Erledigung deiner Angelegenheit,« sagte er zu Felix, indem er seine Brille aus dem Futteral nahm und sorgfältig an ihren Gläsern wischte. Dann setzte er sie auf und schlug das Papier auseinander – ein in Seidenpapier gewickelter flacher Gegenstand und ein viele Bogen starker, in engen Linien geschriebener Brief lagen darin. – »Also alles, was du mir drüben anvertraut hast, kurz zusammengefaßt, hat dich deine Mutter verstoßen, will dich selbst nach dem Tode nicht wiedersehen – dummer Schnickschnack! – und dein Hundsfott von Onkel hat natürlich mit tausend Freuden seinen Segen dazu gegeben – Punktum!« hob er an. »Du bist vogelfrei erklärt, die Majorin Lucian hat keinen Teil mehr an dir, und damit – ist auch mir der Riegel vom Munde genommen.« – Er stützte die Hände auf den Tisch, und sich weit vorbeugend, sah er über die Brillengläser hinweg mit seinen großen, feurigen Augen durchdringend in das Gesicht des jungen Mannes. – »Hab' ich je deinen Vater gegen dich erwähnt?«

      Felix schüttelte den Kopf; er war totenbleich geworden – jähes Erschrecken und atemlose Erwartung machten ihn sprachlos.

      »Gut, mein Sohn – also nicht!« sagte der alte Herr, indem er sich in den Armstuhl zurücksinken ließ. – »Durfte auch nicht, obgleich mir's manchmal in den Fingern gejuckt hat, dich einzupacken und heimlich übers Meer zu schicken, wo du von Gott und Rechts wegen hingehörtest; denn die auf dem Klostergute haben dich gestohlen, gestohlen sage ich – der Sohn gehört zum Vater – damit basta!« Er schlug mit den Knöcheln so hart auf den Tisch, daß die Platte dröhnte – seine Schwiegertochter las, erschrocken, mit bebenden Fingern verschiedene Pfeffer- und Salzlöffelchen zusammen, die klirrend umherflogen.

      »Aber ich hatte deiner Mutter mit Handschlag versprechen müssen, daß in meinem Hause vor deinen Ohren nie von deinem Vater gesprochen werden sollte,« fuhr der Freiherr fort. »Was wollte ich denn machen? Ich mußte wohl, sonst hätte ich dich nie vor die Augen gekriegt; und ohne mich wärst du da drüben in dem Unkenloch verbauert und versauert, und sie hätten sich aus dem jungen Lucianschen Blut schließlich doch noch einen Wolframschen Mistfinken zurechtgeknetet. Deinem Vater aber hätte ich nie nähere Mitteilung über dich machen können –« er verstummte in sichtlicher Bewegung, er hatte wohl selbst den furchtbaren inneren Aufruhr nicht vorhergesehen, den der Vatername in der Seele des jungen Mannes weckte.

      Felix war aufgesprungen, und auf den Sprechenden zustürzend, umklammerte er dessen Rechte und zog sie stürmisch gegen seine Brust. »Sie wissen von meinem Vater? Lebt er? Denkt er an mich?« stammelte er in halberstickten Tönen.

      »Ruhig Blut, mein Junge,« ermahnte der alte Herr, aber seine Augen wurden feucht vor Rührung. »Tut mir leid, daß er dich nicht so sehen kann – das Herz im Leibe müßte ihm lachen – er hat seinen Jungen ebenso lieb, wie ich den meinen.« – Ein verstohlener, trüber Blick streifte den Sohn, wobei ein Seufzer seine Brust hob.

      »In der schönen Jugendzeit waren wir treue Kameraden und sind es bis auf den heutigen Tag verblieben,« setzte er nach einem augenblicklichen Verstummen hinzu. »Lucian war ein ebenso flotter Kerl, ein so lustiges Haus wie ich und im Schillingshofe besser daheim, als bei seinen Verwandten – wär' freilich besser für den armen Teufel gewesen, er hätte das Säulenhaus nie gesehen, und den Eiszapfen, die schöne Therese Wolfram dazu ... Als er Deutschland verließ, da war er noch eine Nacht verstohlenerweise hier bei mir im Schillingshofe. Er war wie toll vor Sehnsucht nach dir und hatte die verrücktesten Pläne in seinem Kopfe ausgeheckt – entführen wollte er dich und Gott weiß was alles tun, um mit Gewalt zu seinem Rechte zu kommen; aber er mußte einsehen, daß dem alten verwünschten Klosternest und dem Rechtsverdreher drin auf keine Weise beizukommen war. Und da ist er gegangen – über dem Meer drüben hat er sich eine neue Heimat gesucht und auch gefunden. Er hat sich wieder verheiratet mit einer sehr vornehmen Spanierin und ist glücklich mit ihr gewesen ... Solange sie lebte, waren seine Briefe ruhig – er hat die Frau lieb gehabt und schien mit seinem Schicksal ausgesöhnt – nun ist sie aber gestorben, und da muß ihn wohl die Sehnsucht nach seinem Jungen wieder gepackt haben.«

      Er hielt inne und schüttelte lächelnd den Kopf, indem er die Hand auf das Schreiben legte. »Närrischer Zufall! Just gestern kam der Brief da in meine Hände ... Lucian kränkelt auch, wie ich armer Lazarus, und kann deshalb nicht reisen. Er bittet mich dringend, nunmehr mit dir über ihn und seine Lebensverhältnisse zu reden – na, was braucht's da der vielen Worte und Salbadereien –, du packst eben auf und gehst zu deinem Vater – jetzt ist Amerika deine Heimat!«

      Felix war einigemal wie beflügelt im Zimmer auf und ab geschritten – Röte und Blässe, Jubel und Wehmut kämpften abwechselnd auf seinem schönen Gesicht – jetzt blieb er vor Lucile stehen. Sie sprang auf und warf sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit an seine Brust.

      »Und wirst du mit mir gehen, Lucile?« fragte er mit erschütterter Stimme.

      »Na, natürlich, du närrischer Felix!« lachte sie. »Sofort, stehenden Fußes, wie ich da bin! ... Himmel, eine Seereise! ... Das wird ja noch viel toller und lustiger, als ich mir je hätte träumen lassen! ... Nach Amerika gehen wir? ... Doch jedenfalls nach dem brillanten Neuyork?«

      »Nein, schönes Kind, direkt nach den Südstaaten, nach dem reichen Plantagenstaat Südkarolina ... Freund Lucian ist ein Baumwollenbaron geworden; er hat von seinem Schwiegervater bedeutende Besitzungen ererbt. Diese Herren Pflanzer spielen dort eine Rolle, vor der sich unsere heutige Aristokratie verkriechen muß – sie sind in Wirklichkeit Feudalherren ... Lucians Schwiegervater ist ein Spanier aus Florida gewesen, und der Schilderung nach hat das Leben auf der Plantage einen stolzen Zuschnitt, wie kaum ein deutsches Fürstenhaus.«

      Mit einem ausdrucksvollen Lächeln winkte er Felix näher an sich heran. »Siehst du, mein Junge, das mütterliche Erbteil, das sie dir hundsföttischerweise entziehen, kannst du ruhig verschmerzen – dein Vater sammelt und legt seit Jahren für dich zurück; und wenn er dir auch nicht die Plantage selbst hinterlassen kann –« er hielt inne, schlug das Seidenpapier auseinander und nahm eine Elfenbeinplatte heraus – »denn du hast eine Schwester, Felix; es ist eine dreizehnjährige Tochter zweiter Ehe da – das ist sie!«

      Mit diesen Worten hielt er dem freudig bestürzten jungen Mann ein Miniaturgemälde auf dem Elfenbein hin. Lucile kam geflogen und drängte Felix in atemloser Spannung und Neugier fast zur Seite; auch Baron Schilling sprang auf und näherte sich; nur die junge Frau blieb gleichmütig sitzen. Sie wiegte, die Augen tief gesenkt, mechanisch den Teelöffel auf der Fingerspitze, und wäre nicht eine leichte Röte innerer Bewegung über Wangen und Schläfen hingelaufen, so hätte man meinen können, sie habe keine Ahnung von dem, was um sie her vorgehe.

      »Ist sie nicht ein reizendes Kind, diese kleine Mercedes?« fragte der alte Freiherr.

      »Das ist doch kein Kind?« murrte Lucile und stieß leise fortschiebend nach der Hand, die das Bild hielt. »Ein dreizehnjähriges Mädchen soll sie sein und sieht einen doch an

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