Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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»Das sind abscheuliche Klostergedanken, mit denen du mir nicht kommen darfst, Klementine!« sagte er scharf und streng, indem er sich von ihren umschlingenden Armen befreite und die zitternde Frau in den nächsten Armstuhl drückte. – »Das kleine Hannchen ist draußen, sagtest du?« wandte er sich an Christian, der wie schreckerstarrt vergessen hatte, die Champagnerflasche niederzustellen, die er noch in der gehobenen Hand hielt.

      »Ja, gnädiger Herr,« antwortete er sich sammelnd; »Adam hat sie heute nachmittag zu seiner Schwiegermutter gebracht und ist nachher fortgegangen. Weil er aber so lange ausgeblieben ist, da hat das Hannchen Angst gekriegt und ist heimlich fortgelaufen. Sie hat draußen im Garten auf den Fritz gewartet; er sollte ihr helfen ihren Vater suchen, und das hat er auch getan, denn er ist selber großer Sorge gewesen. Sie sind – trotzdem es in Strömen geregnet hat – durch alle Straßen gelaufen, zuletzt bis hinaus auf die Meiringer Landstraße – und da haben sie gerade den Adam gebracht. Er ist nicht weit von der neuen Aktienmühle in den Fluß gegangen.«

      »Ein verrückter Streich! Ein schlechter Streich! – Hätt' nie gedacht, daß mir der Adam das antäte!« murmelte der Freiherr tonlos. Sein robust gefärbtes, kräftig kühnes Antlitz war fahl und schlaff geworden.

      »Er hat nicht gewußt, was er tut, gnädiger Herr,« entschuldigte Christian schüchtern und mitleidig. »Der Obermüller, der mit Adam bekannt war, hat ihn angeredet; dem ist's gleich klar geworden, daß der Mann nicht bei sich gewesen ist – er hat dumme Sachen gesprochen, hat einen schrecklich roten Kopf gehabt und ist nachher weiter gelaufen, als ob ihm einer auf den Fersen säße ... Und da ist ihm der Obermüller mit seinem Burschen von ferne, am Wasser hin, nachgegangen: ehe er sich's aber nur versehen hat, ist Adam 'neingesprungen ... Der Obermüller sagt, ertrunken sei er nicht, denn sie hätten ihn gleich wieder 'rausgefischt und aufs trockene Land gebracht; aber der Schlag hätte ihn gerührt – er sei zu sehr erhitzt ins kalte Wasser gesprungen.«

      »Das Hannchen soll hereinkommen,« befahl der Freiherr, indem er sich aufrichtete.

      »Gnädiger Herr,« sagte zögernd der Bediente,«das Unwetter draußen hat die Kleine schrecklich zugerichtet – die Kleider kleben ihr am Leibe, und sie ist barfuß. Mamsell Birkner weint und schreit, und sagt –«

      »Was die Birkner sagt, geht mich nichts an – das Mädel soll hereinkommen!« wiederholte der alte Herr über den Einwurf ergrimmt. »Die Birkner soll sie selber bringen.«

      Der Diener eilte hinaus, und gleich darauf wurde die Türe geöffnet, und Mamsell Birkner, die langjährige Wirtschafterin im Schillingshof, trat ein, Hannchen vor sich herschiebend ... Das Kind war nicht wieder zu erkennen. Das rote Röckchen und die sturmzerwühlten Haare klebten ihm, triefend von Nässe, in der Tat auf dem schmächtigen Körper, und die kleinen nackten Füße starrten vor Straßenschmutz. Auf einen Wink des Freiherrn führte Mamsell Birkner, der die dicken Tränen über die blühenden Wangen rollten, die Kleine tiefer in das Zimmer.

      »Geh weg, geh weg!« rief die Baronin nervös und weinerlich abwehrend wie ein geängstigtes Kind und zog die Schleppe an sich, damit das Barfüßchen sie nicht streife.

      Die Kleine beschrieb einen weiten Bogen um die »gnädige Frau« und blieb in der Nähe des Freiherrn stehen. Das vom Weinen dick verschwollene Gesichtchen auf die Brust gesenkt, pflückte sie an den eigenen, bebenden Fingern, als zerzupfe sie im krampfhaften Eifer eine Blume.

      »Du willst nicht zu deiner Großmutter zurück, Hannchen?« fragte der alte Herr, seine Stimme mühsam zur Festigkeit zwingend – man sah, der Anblick des verwaisten Kindes spielte ihm furchtbar mit.

      Die Kleine sprach nicht – sie hob nur die schweren Lider, um sie mit einem finsteren Blick wieder zu senken.

      »Nein, sie will durchaus nicht, gnädiger Herr,« antwortete Mamsell Birkner für sie. »Die alte Frau ist mitgegangen bis an den Schillingshof und hat sie mit Gewalt fortbringen wollen; aber das hat drüben auf der Straße einen wahren Aufruhr gegeben – Fritz hat das arme Ding um keinen Preis fortschleppen lassen ... Nun ist er freilich in Angst, was die Herrschaft dazu sagen wird, daß er die Kleine ins Haus gebracht hat –«

      »Es ist gut so – er kann ruhig sein,« sagte Baron Schilling. Er bog sich zu dem kleinen Mädchen nieder. »Ist die Großmutter so böse?« fragte er und hob ihr das Köpfchen sanft empor. Diese weichen, guten Laute der schönen Männerstimme lösten den starren Schmerz des Kinderherzens. »Sie ist schuld!« stieß sie hervor. »Sie hat mit dem Vater gezankt, weil ihn der gnädige Herr fortgeschickt hat, und – wie sie ihn gebracht haben, da hat sie geschimpft und die Türe vor ihm zugeschlagen – oh!« »Bleibe du bei uns,« unterbrach Baron Schilling das furchtbare Aufweinen, in das die Kleine bei den letzten Worten verfiel.

      »Arnold, was willst du tun?« fuhr die Baronin empor.

      »Was ich auch tue, Frau Schwiegertochter,« fiel der Freiherr mit seiner alten Kraft in Stimme und Haltung ein. »Das Kind bleibt bei uns – es wird im Schillingshof erzogen, und damit Punktum! ... Birkner, wollen Sie sich der Kleinen annehmen?«

      »Ach, und wie gerne! Mit tausend Freuden, gnädiger Herr!«

      »Nun, dann ziehen Sie ihr die nassen Kleider herunter und bringen Sie das arme Ding ins warme Bett!«

      Die Wirtschafterin führte das Kind hinaus, und die Baronin erhob sich schweigend. Die lange, graue Gestalt durchschritt langsam schleppenden Ganges das Zimmer und zog sich mit leichtem Kopfneigen und einem schwach geflüsterten »Gutenacht« in ihre Gemächer zurück ... In der dritten Nachmittagsstunde des anderen Tages verließ der geschlossene Wagen des alten Freiherrn den Schillingshof. Das große Tor des Klostergutes stand weit offen; die Stallmagd hantierte da mit dem Besen, und das Hausmädchen wollte eben, den Marktkorb am Arm, heraus auf die Straße treten, als der Wagen vorüberfuhr ... Felix bog den Kopf weit vor, und sein schmerzvoller Blick überflog suchend den Klosterhof.

      Die Mägde stießen sich kichernd an. »Da fahren sie hin!« sagte die Hausmagd – sie hielt den Kopf steif und blinzelte mit den Augen nach rückwärts. »Die Frau steht hinter uns, drüben am Fenster – sie muß den jungen Herrn gesehen haben. Das wird sie freilich wurmen – so schlecht ist sie doch noch nicht angekommen mit ihrem Starrkopf, die stolze Frau Majorin; sie denkt immer, es könnte ihr gar nicht fehlen ... Es geht ihr aber schrecklich nahe, Christel, wenn sie auch keine Miene verzieht. Sie ist gestern abend, bis in die späte Nacht 'nein, von einem Fenster zum anderen gelaufen, weil sie immer noch gedacht hat, der junge Herr müßte wiederkommen ohne seinen Schatz – ins Bett ist sie auch nicht gegangen, es stand heute früh noch so, wie ich's gestern zurecht gemacht hatte ...«

      Drin am Bogenfenster der Amtsstube stand währenddessen die Majorin. Sie hielt den Fenstergriff umklammert und starrte hinaus durch den Torbogen, wo eben noch einmal das tieferblaßte Gesicht des scheidenden Sohnes aufgetaucht war. Kein Seufzer hob ihre Brust – sie verharrte auf dem Platze wie eine Bildsäule ... Da trat der Rat hinter sie. »Er ist dir für immer verloren, Therese – der elende Bursche geht zu seinem leichtsinnigen Vater,« sagte er kalt.

      Sie fuhr herum, als habe er ihr einen Dolch in das Fleisch gestoßen, aber sie fragte nicht: »Woher weißt du das?« – Sie warf ihm nur einen wilden Blick zu, biß die Zähne wie im Krampfe zusammen und ging hinaus. – –

      10.

       Inhaltsverzeichnis

      Man schrieb das Jahr 1868. In dem Zeitraum von acht Jahren hatten sich gewaltige Ereignisse in zwei Weltteilen abgespielt; es war viel Blut geflossen in Schleswig-Holstein und Böhmen, und auf dem Boden der

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