Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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und hastig, als sei sie durch eine offen gelassene Tür desertiert...

      Minka zerpflückte nach wie vor mit Leidenschaft jeden Brief, jede Photographie, alles Zerreißbare, was sie erwischen konnte, in kleine Stücke, sie zerbrach die Fächer und Sonnenschirme ihrer Herrin, bearbeitete leidenschaftlich gern mit ihren Nägeln die Gesichter und Rockschöße der Bedienten und verschleppte Schmuckstücke und Nippsachen in die unzugänglichsten Ecken. Aber mit demselben schweigenden, lächelnden Gleichmut, wie Baron Schilling vor seinem emporsteigenden neuen Atelier, hatte die Frau Baronin allzeit schützend vor ihrer Minka gestanden. Sie kaufte sich mit unzerstörbarer Ruhe immer wieder neue Fächer und Schirme, bezahlte den klagenden Dienstboten, ohne eine Miene zu verziehen, den erlittenen Schaden und stieg selbst mit bis auf den Dachboden, wenn es galt, die versteckten Gegenstände zusammenzusuchen.

      Das boshafte Tier war noch genau so behende und geschmeidig, wie vor acht Jahren. Es verjagte zunächst mit einem grotesken Sprung auf den Geländersims die aufschreienden Spatzen, stopfte sich zum Arger der Aras die Backentaschen voll Kuchen und schlüpfte, immer auf der Flucht, nach dem entgegengesetzten Ende der Terrasse. Dort erhoben sich die Wipfel der dichtvorüberlaufenden Platanenallee hoch über der Brüstung, und ihre Laubmassen quollen wie eine grüne Flut auf die Plattform herein – der Affe sprang auf das Geländer und begrub versinkend den kleinen dunklen Leib in wohlig kühlendem Geäst.

      Gleich darauf kam die Baronin auf die Terrasse. Sie war nicht allein; eine Dame, noch jung, von imposanter, kräftiger Gestalt, mit brünettem Gesicht unter dicken, scharf aus der Stirn gestrichenen, schwarzen Haaren, folgte ihr auf dem Fuße. Sie hing ein weiches Tuch über den einen Korbstuhl in der geschützten Ecke und breitete ein dickes, zottiges Fell auf die Steinfliesen; das geschah fürsorglich geschäftig, aber nicht mit der Beflissenheit einer Kammerjungfer, sondern würdevoll und freundlich, in freiwilliger Pflege, wie sie eben eine Jugendfreundin der anderen angedeihen läßt – denn Jugendfreundinnen waren sie, die Baronin Schilling und Fräulein Adelheid von Riedt. Sie waren im Klosterpensionat zwei Unzertrennliche und später treue Briefschreiberinnen gewesen; es war demnach begreiflich, daß die Frau Baronin im Jahr 1866, zur selben Stunde, da ihr Gemahl seine Abreise nach dem Kriegsschauplatz unwiderruflich beschlossen, »die Langentbehrte« aufgefordert hatte, zu ihr zu kommen, »weil sie nicht allein bleiben wolle«. Seitdem kam Adelheid öfter und blieb monatelang, um die kränkliche Freundin zu pflegen – sie konnte das, ohne andere Pflichten zu verletzen, denn sie war Stiftsdame in B. und stand verwaist, fast allein in der Welt.

      »Ich bitte dich, Adelheid, bringe die gefräßigen Schreier zur Ruhe!« sagte die Baronin verdrießlich und zeigte nach den kreischenden Aras. »Arnold hat eine wahre Leidenschaft, mir Unvernünftiges und Unausstehliches zu schenken, und ich muß es dann aus Höflichkeitsrücksichten zu meiner Qual um mich dulden.« Sie seufzte tief auf.

      Die Stimme hatte gegen früher eine tiefere, gleichsam in Bitterkeit gesättigte Lage angenommen; die Gesichtsfarbe war grauer als je; und unter den Augen, wie an den hohlen Schläfen hin liefen zahllose seine Runzelandeutungen, Spuren der rastlosen, inneren Arbeit verheimlichter Leidenschaft und eines allzu frühzeitigen Alterns.

      Sie begab sich schleppenden Schrittes hinter den Frühstückstisch. Ein weißer, mit breiten Stickereien und blauseidenen Schleifen besetzter Schlafrock fiel weitfaltig, in glänzender Frische und Eleganz an der hageren Gestalt nieder, und eine Brüsseler Barbe mit einer blauer Bandkokarde lag auf dem lose gesteckten blonden Haar und vervollständigte den flüchtigen Morgenanzug, der seltsam abstach von dem schwarzen Seidenkleid der Stiftsdame. Man sah, diese Dame hatte bereits Toilette gemacht für den ganzen Tag; an dem knappsitzenden Kleid wurde sicher keine Schleife verändert, aus dem spiegelnden Scheitel und dem festgeflochtenen Haarknoten am Hinterkopf vor nachts keine Nadel gezogen – dieser ernsten, dunkeläugigen Erscheinung lagen Sichgehenlassen und Bequemlichkeit offenbar weltfern. Während sie einige Biskuits für die Aras zerpflückte, trat ein junges Mädchen aus der Glastüre und brachte aus einer Platte einige verdeckte Schüsseln mit warmen Speisen und frisches Wasser im Teekessel.

      Die Augen der Baronin verfinsterten sich. »Wo steckt die Birkner? Wie kommt es, daß Sie das Frühstück besorgen, Johanne?« fragte sie verdrossen.

      »Mamsell Birkner läßt sich für einige Stunden bei der gnädigen Frau entschuldigen – ihr schlimmes Nervenkopfweh hat sich eingestellt,« versetzte das junge Mädchen ruhig – sie schien diesen unliebenswürdigen Ton gewöhnt zu sein. Ihre ernsten Augen unter den dunklen, d«s jugendliche Gesicht stark verdüsternden Brauen senkten sich nicht vor dem kalten Blick der Dame, und weder ihr Gesichtsausdruck, noch irgend ein Farbenwechsel zeugten von verletzter Empfindlichkeit.

      Sie erfüllte pünktlich ihre Obliegenheiten am gedeckten Tisch.

      »Ich sehe nur zwei Gedecke,« sagte die Baronin scharf tadelnd.

      »Der Herr Baron hat im Atelier gefrühstückt und ist schon vor zwei Stunden ausgeritten,« lautete die Antwort.

      Die Baronin biß sich auf die Lippen. Sie sank in den Lehnstuhl; den Ellenbogen auf den Geländersims stützend und schweigend weggewendet, schob sie die Rechte unter das Kinn und blickte ziellos hinaus ins Weite.

      In diesem Augenblick erhob sich ein klägliches Geschrei drunten im Vorgarten. Minka rannte wie besessen um den großen Rasenplatz und rieb sich unter fortwährendem Jammern den Rücken, und drüben, auf der weinumsponnenen Klostermauer hüpfte und sprang ebenso toll ein zweites koboldartiges Wesen, dem das starrende Haar tief in die Stirne ging, und dessen flinke dürre Beine wie Holzstöckchen aus den kurzen, weiten Sammethosen ragten ... Mosje ???Beit schwenkte in der einen kleinen Faust ein Blasrohr und mit der anderen hielt er sich die Seite vor Lachen – er hätte sich am liebsten überschlagen mögen vor Vergnügen über die Wirkung seiner Tonkugel.

      Die Dienstboten kamen auf den Lärm hin aus dem Säulenhause gelaufen und nahmen, nach der Mauer hinauf scheltend, die völlig zerknirschte und gebeugte Minka in ihre Mitte, und aus dem Giebelfenster des Klostergutes bog sich die Majorin – von der Terrasse aus konnte man ihr alterndes, aber immer noch schönes Profil sehen. Ein starkes Gefühl des Ärgers mochte in ihr aufwallen, denn sie drohte dem boshaften Burschen mit der gehobenen Hand und erteilte ihm einen derben Verweis.

      Da erschien auch der Rat Wolfram über der Mauer; er stieg auf der Leiter empor, die Veit im Klosterhof angelehnt hatte. »Bemühe dich nicht, Therese – ich glaube, das ist meine Sache!« rief er seiner Schwester mit beißender, schallender Summe zu. »Übrigens sehe ich nicht ein, weshalb du dich ereiferst! Wer solch greuliches Geziefer um sich leiden mag, der soll's tun; aber es gehört sich, daß er's zwischen seinen vier Pfählen behält und nicht zum Skandal und Schrecknis anderer herumlaufen läßt... Ich strafe meinen Sohn ganz gewiß nicht für die wohlverdiente Lektion!«

      Der Kopf der Majorin verschwand, und der Rat umschlang seinen zappelnden, langbeinigen Sprößling und trug ihn die Leiter hinab.

      Man hatte jedes Wort dieser klangvollen, boshaft geschärften Stimme klar und deutlich drüben auf der Terrasse gehört. »Der Unverschämte!« klagte die Baronin ganz erschrocken und betroffen. »Und ich kann Arnold nicht einmal um Genugtuung bitten, weil es sich um die unglückliche Minka handelt!«

      Sie zog sich tief hinter die Magnolie zurück und streifte mit scheuforschendem Blick die Promenade drüben, ob wohl Vorübergehende die gegen die stolze Herrin vom Schillingshof gerichteten anzüglichen Bemerkungen gehört haben möchten. »Das abscheuliche Tier!« klagte sie weiter, in ihren früheren hohen, nervös gequälten Ton verfallend, und lehnte den Kopf geärgert an die Wand. »Es ist wieder einmal desertiert – zur Freude der Dienstboten – oh, ich kenne diese kleinen, stillen Bosheiten sehr gut! ... Man hat, meinem strikten Befehl entgegen, die äußere Tür meiner Gemächer offen gelassen –« ein Seitenblick voll bitteren Grolles suchte die servierende Dienerin, die eben mit dem leeren Tablett die Terrasse verlassen wollte. »Ich

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