Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Erbitterung getobt.

      Diese acht Jahre waren verhängnisvoll gewesen für Millionen von Menschenleben, auch für das Geschick des Verstoßenen, der an einem schönen Junitage das deutsche Vaterland verlassen, um mit seinem Mädchen über das Meer, zu dem wiedergefundenen Vater zu flüchten – verhängnisvoll auch für den Schillingshof, in dem der Senior des Hauses, der alte Freiherr Krafft, nach einem abermaligen Schlaganfall die lustigen, feurigblickenden Augen für immer geschlossen hatte und infolgedessen das herrliche alte Säulenhaus oft verwaist und verlassen stand – scheinbar unberührt aber war das Klostergut geblieben; der Wechsel war vorbeigeschritten, als läge es ihm, in weltweiter Verschollenheit, zu abseits vom Wege.

      Nach wie vor, pünktlich um dieselbe Abendstunde, rasselte das Seitenpförtchen in der Straßenmauer, und die Leute kamen, um die gute, unverfälschte »Klostermilch« zu holen. Im Hofe hantierten dieselben Knechte und Tagelöhner und fuhren mit Egge, Pflug und Äxten hinaus in das weite Wolframsche Acker- und Waldgebiet, und durch das große Tor schwankten die Erntewagen, die Holzfuhren zurück – alles nach jahrhundertaltem Brauch und abhold jeder Veränderung. Und in das Hühnervolk, in die Taubenschwärme durften sich keine fremden Arten mischen – es waren immer dieselben Formen und Farben im Hofe und auf den Dächern des Klostergutes – unveränderlich, meinten die umwohnenden Leute, wie die alte, mißfarbene Joppe des Herrn Rates, wie die stolze Haltung und das verschlossene, kalte Gesicht der Frau Majorin. Aber sie mußten doch zugeben, daß die Gestalt mit dem steifgetragenen Haupt an den Schultern spitz geworden war, daß die braune Flechte auf dem Scheitel ein starker Silberschein überspielte und die ganze Frauenerscheinung an Energie und Raschheit der Bewegungen bedeutend verloren hatte.

      Wenn etwas an dem altüberlieferten Aussehen des Klostergutes störend befremdete, so war es der wilde Junge, der oft plötzlich die rasselnde, kleine Pforte aufriß und herausspringend die Spaziergänger erschrecke. Er stand auch wohl im offenen Hoftor, schlug mit der Peitsche nach den vorübergehenden Kindern, zupfte die spazierengehenden Damen an den Kleidern, trat auf ihre Schleppen und machte ihnen lange Nasen nach. Und wenn er in den Hof zurücklief, da rannte ganz gewiß das geängstigte Federvieh schreiend in alle Ecken, der grimme Kettenhund schlich mit eingeklemmtem Schwanze nach seiner Hütte, und selbst die grobe Stallmagd wich scheu zur Seite, denn vor der stets herumfahrenden Peitschenschmitze oder dem Knüppel in der Hand des Mosje Veit war nichts sicher.

      Für den Spätling des Wolframschen Geschlechtes war von dem gesunden Mark, der robusten Körperkraft der Ackerbau treibenden Vorfahren nicht viel verblieben – er hatte ein reizbares Nervensystem und neigte zu Krämpfen. Bis zum elften Monat war er im Wickelkissen getragen worden, und dann hatte es der kostspieligsten Stärkungsmittel bedurft, um ihn auf die dürren Spinnenbeinchen zu bringen. Unglaublich dünn und mager war dies Gestell auch heute noch; das braune, kleine Gesicht zwischen den abstehenden Ohren hatte sich nicht gerundet, und der unheimliche Haarbusch, der, wie bei dem Rat, als Schneppe hartlinig und tief in die Stirne hineinschnitt, umstarrte noch ebenso borstig den schmalen Kopf. Aber Veit war ein hoch aufgeschossener Junge geworden – er war seinen Jahren voraus an Körperlänge und Gliedergeschmeidigkeit. Er kletterte affenartig an den Weinspalieren der Hintergebäude empor und lief über die Dächer und auf den schmalen Kanten der Firste hin. Keine Leiter war ihm zu steil und weitsprossig, kein Winkel zu dunkel – er kroch durch die Dachluken auf die Kornspeicher und Heuböden, spürte wie ein Iltis den verschleppten Hühnernestern nach und schlürfte die Eier aus. Er wußte, daß sich alles vor ihm fürchtete, denn er stand auch an Intelligenz weit über seinem Alter, und das machte ihn zu einer wahren Geißel – mit seinen Streichen hielt er wie ein rumorendes Teufelchen das ganze Haus in Atem.

      Der Rat sah ihn mit Lust und Stolz aufwachsen; wie aber die Majorin über das unruhige Blut, die seltsamen Gewohnheiten und die Charakteranlagen dieses doch gewiß echten Wolframs dachte, darüber schwieg sie, wie über alles, was ihren Bruder anging. Es war ihr nur einmal eine rügende Bemerkung über die Gemütsart des Knaben entschlüpft, und da hatte der Rat spitz geantwortet: »Auch an den Wolframs modeln die Zeitverhältnisse: mit dem stillen Arbeiten unk Sparen, der Prinzipienreiterei im engen Kreise ist's nicht allein mehr getan, meine gute Therese – jetzt heißt's, den Mitlebenden die Stirn bieten, die Zähne weisen, und dazu ist mein Junge wie geschaffen, er wird seiner Zeit gewachsen sein....« Seitdem beschränkte sie sich auf die leibliche Verpflegung des Knaben, und wenn ihr auch oft, bei berechtigten Klagen des Gesindes, die Augen entrüstet aufglühten, so antwortete sie doch nur mit Achselzucken oder einer stummen Handbewegung nach der Amtsstube, als der höchsten Instanz, hin.

      Sie war überhaupt noch wortkarger geworden; die ???Michholenden behaupteten, selbst der kurze Abendgruß werde ihr blutsauer. Drunten in der Wirtschaft ruhten und rasteten ihre fleißigen Hände nicht einen Augenblick; aber oben im Giebelzimmer lagen sie meist feiernd im Schoße, als seien sie todmüde. Dann saß die Frau hinter dem weißen Ahorntische und sann, und in den ersten Jahren sah sie befriedigt, ja mit einem rachegesättigten Ausdruck auf die leere Stelle im hellgetünchten Fensterbogen, wo früher das Bild des Sohnes gehangen; denn es war, als habe sie aus dem ganzen Dasein ihres Kindes nur einen einzigen Eindruck in ihrer Seele zurückbehalten – den Augenblick, wo das verschleierte Mädchen an seiner Seite über die Mutter triumphiert hatte ... Später aber suchten ihre Augen diese Stelle nicht mehr; sie irrten vorüber und starrten ziellos hinaus ins Weite – diese eigensinnigen, strengen Augen, die früher geflissentlich nie über das Weichbild ihrer Haustätigkeit ins Leere hinausgesehen hatten – denn ein müßig verschleuderter Augenblick hatte ja Geldwert... Nur das ???Nachbargebet vermieden sie standhaft – die Majorin wußte sehr gut, daß ihr Sohn die letzte Nacht im Schillingshofe verbracht hatte und dort in seinem Widerstand gegen den mütterlichen Willen bestärkt worden war...

      Es bestand überhaupt nicht der geringste Verkehr zwischen Schillingshof und Klostergut; nicht einmal das Ableben des alten Freiherrn war drüben angezeigt worden... Einmal aber hatte Baron Schilling den Weg der Majorin gekreuzt, und zwar in der Absicht, sie zu sprechen. Sie war, was eigentlich nicht oft geschah, in der Kirche gewesen, und auf dem Heimwege hatte er sie angeredet und ihr nach einer längeren Einleitung, die sie in regungslosem Schweigen angehört, einen Brief von Felix hingereicht. Sie hatte nur die Farbe gewechselt und sich steif emporgereckt – der junge Mann behauptete damals, sie sei förmlich gewachsen vor seinen Augen – hatte ihn von oben bis unten mit einem vernichtenden Blick gemessen und eisig höflich gesagt: »Ich verstehe nicht, von wem Sie reden, Herr Baron, und habe durchaus keinen Grund, einen Brief anzunehmen, denn ich korrespondiere mit niemand.« Damit hatte sie abweisend nach dem Schreiben gedeutet und war weitergegangen, und er hatte es verschworen, diesen Eiszapfen, wie der alte Freiherr die Frau genannt, je wieder zu behelligen.

      So erfuhr sie nie, unter welchem Himmelsstrich ihr Sohn lebte. Sie wußte nicht, daß sein Vater ihn und sein junges Weib in der Tat mit offenen Armen empfangen und das junge Paar sofort mit wahrhaft fürstlichem Glanz und Reichtum umgeben hatte – und es war gut so – sie wäre gestorben an dem Seelensturm der Erbitterung, der rachsüchtigen Wallungen und doch auch – des Mutterschmerzes... Sie erfuhr aber auch nicht, daß der amerikanische Bürgerkrieg seine Wogen am verheerendsten über das reiche Südkarolina wälzte, daß die Pflanzeraristokratie des Südens, unter deren Banner ja auch Major Lucian stand, Schritt für Schritt kämpfend, auf dem eigenen Grund und Boden zurückweichen mußte, um schließlich zu unterliegen...

      Vielleicht hätte die Nachricht von dem Ende des Mannes, dessen Namen sie trug, erlösend auf die innere Verbissenheit und Erstarrung dieser Frau gewirkt – denn mit dem Schluß eines Menschenlebens pflegt der Tod die Gläser zu zerbrechen, durch welche die verfolgenden Leidenschaften den Gegner im Leben gesehen! In dem kleinen Wörtchen »tot« zischen die nachzüngelnden Flammen aus wie das glühende Metall beim Niedersturz in die Wassertiefe –, aber es kam ihr nie zu Ohren, daß Major Lucian, schon länger gebrochen an Kraft und Gesundheit, inmitten jener Kämpfe gestorben war. Sie gedachte noch täglich des Spruches: »Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder« mit Genugtuung, und in ihrem grollerhitzten Sinnen und Grübeln sich hartnäckig darauf steifend, daß jede biblische Verheißung sich erfüllen müsse – während ihr

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