Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Bettchen.

      Zum höchsten Erstaunen des Sohnes erwiderte die stolze, strenge Frau keine Silbe. Sie half den Schreihals beruhigen, dann raffte sie die Scherben von den Dielen auf und ging hinaus in die Küche. Felix wußte, wie heiß sein Onkel und auch seine familienstolze Mutter einen direkten Erben des Wolframschen Namens ersehnt hatten; aber er ahnte doch nicht, welche Macht dieser kleine Junge im Wickelkissen auf dem Klostergute war. – Der junge Mann starrte mit einem heimlichen Schrecken nach dem borstigen, schwarzen Haarbüschel, der unter dem verschobenen Mützchen hervorkam. – Hätte die Frau Rätin, die ihre fünf kleinen Mädchen, eines wie das andere, mit kornblumenblauen Augen aus zarten Schneewittchengesichtern angesehen hatten, in ihr irdisches Heim zurückblicken können, sie wäre jedenfalls sehr betroffen gewesen über das zigeunerhafte Kerlchen, zu dem sich der mit ihrem Leben erkaufte Sohn entwickelte – ein braunes, faltig mageres Gesichtchen zwischen den weit abstehenden Ohren, und lange, dürre Fingerchen, die wie Spinnenfüße auf dem weißen Steckkissen krabbelten – das war der Erbe des Klostergutes!

      »Schlaf, Kindlein, schlaf – schlaf sanfter als ein Graf!« – sang die Amme in rucksenden Tönen. Sie ging am Eßtisch vorüber, und den Takt auf das Steckkissen patschend, stieß sie eine Tür auf und marschierte in die anschließende Stube. Das war das Geschäfts- und Arbeitszimmer des Herrn Rates – es tat sich auf wie ein weiter Saal, und sein mächtiges Bogenfenster ging auf den Vorderhof.

      Das Kind war still, und die Amme schlug drüben den Fensterflügel zurück und rief den draußen beschäftigten Knechten plumpe Witzworte zu – das war nun etwas ganz Unerhörtes auf dem Klostergute. So schlicht bürgerlich auch der Zuschnitt des gesamten Hausstandes war – das Gesinde wurde in strenger Zucht, in sklavischer Demut, fast wie Leibeigene, zu Füßen der Herrschaft niedergehalten; die Wolframs verstanden es, sich in Respekt zu setzen.

      Die Majorin, die inzwischen wieder hereingekommen war und einen anderen Teller auf den Tisch gesetzt hatte, streifte mit einem Seitenblick das Fenster, an dem es so geräuschvoll zuging, aber sie sagte kein Wort. Die gleichmütige Ruhe, die ihr schönes Profil wieder angenommen hatte, erschien dem Sohne heute zum erstenmal unnatürlich und unheimlich – er wußte seit einigen Augenblicken, daß alle Nüchternheit und Besonnenheit, aller Schutt der Alltäglichkeit eine verstohlen glimmende Stelle in der Seele seiner Mutter nicht zuzuschütten vermochten – ein einziges Wort hatte Flammen aufschlagen lassen ...

      Dem Eßtisch gegenüber wölbte sich der plump gemeißelte, steinerne Rundbogen einer Türe; hinter ihr, durch die klafterdicke Mauer hindurch, hatte einst eine Treppe nach dem erhöhten Parterre, in den Korridor des Säulenhauses geführt; sie war der Verbindungsweg zwischen der Klosterküche und den Speisesälen des Hospizes und überhaupt der einzige gewesen, der die zwei Häuser miteinander verbunden hatte. Bei der Teilung des Klostersitzes war der Türbogen in seiner ganzen Tiefe massiv vermauert worden; die praktischen Wolframs aber hatten ein wenig Raum als flachen Wandschrank hinter der Türe belassen. Diesen Schrank schloß die Majorin jetzt auf. Die Haushaltungsbücher lagen drin, und auf dem schmalen Regal stand ein lackierter Blechkasten, – dahinein floß der Erlös für Geflügel und dergleichen und das Milchgeld.

      Felix sah mit verfinstertem Gesicht zu, wie seine Mutter eine derbe Ledertasche vom Gürtel nahm und den Inhalt, lauter kleine Münzen, in den Kasten schüttete. Sie mußte also jetzt auch, wie vordem die arme Rätin, am Schanktische stehen und die Milch nößelweise verkaufen; sie mußte das verlangte Geflügel in Hühnerstall und Taubenschlag zusammensuchen und den fremden Köchinnen im Gemüsegarten Salat und Kohlrabi abschneiden und sich die Groschen und Pfennige dafür in die Hand zählen lassen ...

      Dem jungen Mann quoll der Bissen im Munde vor Verdruß; zudem kreischte in diesem Augenblick die Amme laut auf vor Vergnügen. Er warf Messer und Gabel hin und sprang auf. »Ist es dir wirklich möglich, so viel Gemeinheit in deiner Nähe zu dulden, Mama?« rief er entrüstet.

      »Wenn ich unverständig wäre, dann empörte ich mich wahrscheinlich auch dagegen,« sagte sie, gelassen den Schrank schließend. »Das Kind ist schwach und elend – sein Leben liegt in der Hand der ungeschliffenen Person – da heißt es schlucken und schweigen.«

      Ihr Sohn fühlte, wie ihm das Blut nach dem Kopfe schoß – welche große innere Opfer brachte diese Frau dem Kinde ihres Bruders, und ihr eigenes hatte sie vaterlos gemacht, weil sie – nicht schweigen wollte! Er erinnerte sich der Szenen zwischen seinen Eltern; er wußte noch, daß die Mutter dem aufbrausenden Manne gegenüber kalt und unerbittlich stets das letzte Wort behauptet hatte, bis er wie rasend vor Ungeduld aus dem Zimmer gestürmt war.

      Sie hatte schwerlich eine Ahnung von der unsäglichen Bitterkeit, die augenblicklich in ihrem Sohn aufwogte, sonst wäre sie wohl nicht so gleichmütigen Blickes an ihm vorüber in das anstoßende Zimmer gegangen. »Wir wollen doch lieber das Fenster schließen, Trine,« sagte sie mit ruhiger Freundlichkeit, »die Zugluft könnte dem Kinde schaden.«

      »Ach bewahre, es zieht nicht! Da müßte ich doch auch 'was spüren!« entgegnete Trine impertinent. »Ich bin die Amme, Frau Majorin. Unsereins muß doch wohl am besten wissen, was es zu tun und zu lassen hat.« Sie mußte übrigens doch schon ihre Erfahrungen bezüglich der Entschiedenheit der Dame gemacht haben, denn während die Majorin, die grobe Antwort völlig überhörend, unbeirrt die Fenstergriffe fester zudrehte, kehrte sie brummend an die Wiege zurück, legte das Kind in die Kissen und nahm ihren Strickstrumpf wieder auf.

      Indessen war auch Felix in das Zimmer des Onkels getreten, zu seiner eigenen Verwunderung mit derselben beklemmenden Scheu, die er als Kind empfunden ... Diese holzbekleideten Wände schlossen stets dieselbe widerlich dumpfe, mit dem Geruch alter, lederner Büchereinbände erfüllte Luft und einen abgesperrten, gleichmäßig häßlichen Dämmerschein des Tageslichtes in ihr langgestrecktes Viereck. Zur Zeit seiner Amtstätigkeit – der Rat hatte seit einigen Jahren sein Amt als Oberbürgermeister der Stadt niedergelegt – war das Zimmer die sogenannte Amtsstube und damit ein Gegenstand der Furcht für alle Hausgenossen gewesen. Da waren oft bitterböse Worte zwischen heftig streitenden Männern gefallen; die leidenschaftlich gesteigerten Stimmen hatten draußen von den Wänden des Hausflurs widergehallt, und mancher war mit zornrotem Kopf fortgestürzt und hatte die Türen schmetternd zugeschlagen; denn der Rat hatte nicht gut mit den Bürgern der Stadt gestanden, er war verhaßt gewesen seiner herrischen Willkür, seiner oft bis zur grausamen Härte gehenden Unbeugsamkeit, seines beißenden Hohnes wegen.

      Felix hatte das Zimmer als Kind fast nur betreten dürfen, wenn die Mutter ihn schickte, einen Verweis des Onkels in Empfang zu nehmen, und doch blieb er meist wie mit magischer Gewalt festgebannt noch einige Augenblicke nach Beendigung der Strafpredigt an der Schwelle stehen, bis ihn der Rat barsch hinausscheuchte. An der ganzen Südseite – derselben Wand, welche einst drüben im anstoßenden Zimmer der Verbindungsweg zwischen Kloster und Säulenhaus durchbrochen hatte – lief nämlich eine Galerie hin; ein hölzernes Treppchen von wenigen Stufen führte hinauf und teilte ihr geschnitztes, vor Alter schwarz gewordenes Geländer in zwei Hälften. Die Wand war bedeckt mit Holzschnitzereien, plumpen, unkünstlerischen, in Felder eingeteilten Darstellungen aus der biblischen Legende. Aber nicht diese Heiligengestalten mit ihren verrenkten Gliedmaßen und der plumpen Scheibe des Glorienscheins hinter den Köpfen zogen den sehnsüchtigen Blick des Knaben auf sich – die Orgel war es, zu der die Stufen direkt führten.

      Sie war uralt und von der primitivsten Art; sie hatte nur wenige zinnerne Pfeifen und sehr breite Tasten, ein vollstimmiger Choral hatte nicht darauf gespielt werden können. Auch sie sollte ein Mönch gebaut haben, und zwar der Abt selber, dessen »Klause« dieses weite saalartige Zimmer einst gewesen ... Die Wolframs hatten die ganze raumversperrende Einrichtung dennoch unberührt gelassen – sie hatte heiligem Gebrauch gedient, und die Besorgnis, mit ihrer Beseitigung den Segen von ihrem Besitztum zu verscheuchen, beseelte sie alle, wie sich ja nur zu oft die Gottesfurcht in der egoistischen Menschenseele mit Furcht, weltliche Güter zu verlieren, identifiziert – freilich niemals eingestandenermaßen.

      Jetzt

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