Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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in Berlin; eine ehrwürdig graue Locke ist drin – wie?«

      »Nein, Onkel, eine glänzend braune,« entgegnete der junge Mann rasch, als sei ihm diese falsche Vorstellung unerträglich – ein stolz glückseliges Lächeln irrte dabei um seinen Mund; aber gleich darauf stockte ihm der Atem; er hatte die Entscheidung herbeigeführt ohne alle Vorbereitung, und nun standen ihm diese zwei Eisenköpfe gegenüber; der eine, nur Spott und Hohn auf den Lippen, und der andere mit dem unwillig überraschten, durchbohrenden Blick – nie war ihm die Wolframsche Familienseele in beiden Gesichtern so vernichtend entgegengetreten, als in diesem peinlichen Augenblick.

      »Ich möchte den Namen der Dame wissen,« sagte seine Mutter lakonisch und genau mit der Beichtigermiene, die sie vor Jahren angenommen, wenn ihr Knabe in Gesellschaft eines fremden Kindes betroffen worden war. Sie las in den Zügen ihres Sohnes mit der ganzen Schärfe ihres Verstandes und Urteils; sie sah auch jetzt, wie er mit qualvollen Gefühlen kämpfte, aber es blieb ihr auch kein Zweifel, daß er ihrer Nachsicht in bedeutendem Maße bedurfte, und das ließ sie ohne Rücksicht, unerbittlich vorgehen.

      »Mama, sei gut!« bat er weich und flehentlich; er ergriff ihre beiden Hände und zog sie gegen seine Brust. »Lasse mir Zeit –«

      »Nein!« unterbrach sie ihn entschieden und zog die Hände aus den seinen. »Du weißt, ich mache stets sofort reinen Tisch, wenn ich eine Differenz zwischen uns bemerke – und hier liegt eine bedenkliche! Glaubst du, ich lasse mich herbei, eine ganze lange Nacht über den dunklen Weg zu grübeln, den du offenbar gehst? – Ich will den Namen wissen!« –

      Die großen, blauen Augen des jungen Mannes funkelten auf in tiefverletztem Gefühl, aber er schwieg und strich sich, nach Fassung ringend, wiederholt mit der Rechten über die Stirne und die prachtvollen, aschblonden Haarwellen, die sie umrahmten.

      »Bist ja ein Hauptheld!« warf der Rat derb und ironisch hin; »tust ja gerade, als ginge es dir und dem braunen Lockenkopf an den Kragen. – Hm – ein Bettelmädchen ist's nicht, sie hat Brillanten zu verschenken; aber mit der Familie, mit der Herkunft hat es seinen Haken – wie? – Du hast alle Ursache, die Sippe zu verleugnen – du schämst dich –«

      »Schämen? Ich sollte mich meiner Lucile schämen?« fuhr der junge Mann rückhaltslos auf – um seine Selbstbeherrschung war es geschehen. »Lucile Fournier! – Fragt nach ihr in Berlin, und ihr werdet hören, daß ihr der ganze junge Adel zu Füßen liegt, daß sie sofort in eines der ersten Grafengeschlechter heiraten könnte, wenn sie es nicht vorzöge, mir zu gehören ... Aber ich weiß sehr gut, daß eine exotische Blume nicht in den deutschen Ackerboden paßt, ich weiß ebenso, daß alles, was Kunst heißt, auf dem Klostergute schlecht angeschrieben ist; ich habe mit hartnäckigen Vorurteilen zu kämpfen, und das machte mich für einen Augenblick befangen, nicht für mich selbst, sondern weil ich sicher bin, daß in der ersten Überraschung verunglimpfende Worte über mein Mädchen fallen werden – und die ertrage ich absolut nicht!«

      Er schöpfte tief Atem und sah jetzt fest und furchtlos in das Gesicht seiner Mutter, welche, die Hand auf die Tischecke gestemmt, die erblaßten Lippen in den Winkeln tiefgesenkt, starr wie von Stein, ihm gegenüberstand. – »Luciles Mutter ist eine berühmte Frau,« setzte er kurz und entschlossen hinzu.

      »So?!« sagte gedehnt der Rat. – »Und der Herr Vater? Ist der nicht berühmt?«

      »Die Eltern leben getrennt, wie –« der junge Mann wollte sagen: »wie die meinen« – aber ein wildes Auflodern im Auge der Majorin ließ ihn die letzten Worte verschlucken. Nach einem augenblicklichen Schweigen sagte er rasch, wie um der unsäglich peinlichen Spannung sofort ein Ende zu machen: »Madame Fournier ist die Ballerina–«

      »Ach was, sprich doch deutsch, Felix!« fiel der Rat mit zynischem Sarkasmus ein. »Sage: die Tänzerin, die mit kurzem Röckchen und nackter Brust abends über die Bretter fliegt – brr –« er schüttelte sich und lachte hämisch auf – »das wird die künftige Schwiegermama sein, Therese!« – Mit strengem Vorwurf erhob er den Zeigefinger gegen die Schwester, und sein scharfgeschnittener Kopf erstarrte förmlich in dem menschenfeindlich finsteren Gepräge, das seine Mitbürger an ihm haßten. »Weißt du noch, was ich dir vor fünfundzwanzig Jahren prophezeit habe?« fragte er. »Du wirst deine unverständige Wahl in deinen Kindern verwünschen – sagte ich nicht so, Therese? Da ist's nun – das ist sein Blut, das leichte Soldatenblut! – Nun schüttle das verhaßte Element ab, wenn du kannst!«

      »Das kann ich freilich nicht mehr,« sagte sie tonlos, »aber die leichte Ware, die es mir ins Haus bringen will, die werde ich abschütteln – darauf verlasse dich!«

      Ein Geräusch in der Küche machte sie verstummen. Eine Magd war unterdessen mit einem Korbe voll Spinat eingetreten und schickte sich an, das Gemüse auf dem Küchentisch vorzurichten. Die Majorin ging hinüber, schickte das Mädchen hinaus und schob den Riegel vor die Türe, die nach dem Flur führte, dann kehrte sie zurück.

      Dem jungen Mann klopfte das Herz zum Zerspringen, als diese Frau im langwallenden Trauerkleid mit dem völlig entfärbten, aber in jedem Zug entschlossenen Gesicht, festen, raschen Schrittes auf ihn zukam, um »kurzen Prozeß zu machen«. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem Medaillon.

      Ein kaltes Lächeln glitt bei dieser Bewegung um die Lippen seiner Mutter. »Kannst ganz ruhig sein – das unanständige Präsent da berühre ich ganz gewiß nicht mit meinen ehrlichen Händen – man weiß, wo die Brillanten der Tänzerinnen herzustammen pflegen ... Du wirst so verständig sein, auf meinen Wunsch und Willen hin, das Geschenk eigenhändig abzulegen, wenn nicht – dann wird nach schlimmen Erfahrungen eine Stunde kommen, in welcher du es voller Ekel von dir wirfst –«

      »Nie!« rief er stürmisch, unter einem halb bitteren, halb jubelnden Auflachen – er hatte das Medaillon losgenestelt und drückte es inbrünstig an seine Lippen.

      »Narrenspossen!« murmelte der Rat grimmig zwischen den Zähnen, während die Augen der Majorin plötzlich in verhaltener Leidenschaft flimmerten – Eifersucht durchschütterte diese anscheinend in Kaltsinn und nüchterner Berechnung gefestete Natur. »Narrenspossen! –« wiederholte der Rat, als Felix das Andenken in der Brusttasche barg und mit zärtlich innigem Blick die Hand darauf preßte, als drücke er sein Mädchen selbst an das Herz. – »Schämst du dich gar nicht, vor uns ernsthaften Leuten solche Theaterstückchen aufzuführen? – Ich begreife überhaupt nicht, wo du den Mut hernimmst, hier auf dem Klostergute, deiner respektablen Familie gegenüber, dergleichen Liaisons zu erwähnen, von denen andere junge Leute aus gutem Hause nicht zu reden pflegen –«

      »Onkel!« unterbrach ihn der junge Mann, seiner nicht mehr mächtig.

      »Herr Referendar?!« höhnte der Rat kalt zurück. Er schlug die Arme unter, und sein blitzendes Auge fixierte unverwandt und verächtlich das glühende Gesicht des Neffen.

      »Du machst dich lächerlich mit deiner sittlichen Entrüstung, mein Sohn,« sagte die Majorin und griff gelassen nach der Rechten, die Felix in unwillkürlicher Drohung gehoben hatte. Sie war wieder der Gleichmut selbst; weder Sohn noch Bruder hatte die unheimliche Flamme in ihrem Blick bemerkt. »Der Onkel hat recht – es gehört Mut dazu, vor uns von dieser Menschenrasse zu sprechen –«

      »Mehr Mut ganz gewiß nicht, als meine arme Lucile braucht, um ihrer Familie die Liebe zu mir einzugestehen,« unterbrach sie der junge Mann erbittert. »Madame Fournier macht ein Haus in Berlin, wie eine Fürstin; ihre alte Mutter aus vornehmer, wenn auch verarmter Familie, präsidiert im Empfangssalon, den Persönlichkeiten aus den höchsten Ständen aufsuchen. Arnold von Schilling kann dir am besten sagen, daß wir beide in der glänzenden Gesellschaft meist sehr unbedeutende Nebenfiguren gewesen sind ... Und in diesem Kreise ist Lucile seit einem Jahre der Mittelpunkt, der Abgott aller. Sie ist schöner noch als ihre Mutter

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