Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Bergeslast gewesen ... Seine Mutter hatte bei seinen letzten Worten die Türstufe, auf der sie gestanden, verlassen; er hörte, wie draußen ihr Gewand schwer und langsam über die Steinplatten der Küche hinschleifte; er hörte, wie sie die schmale, nach dem Hinterhof führende Glastüre öffnete – dann sah er sie mit gesenktem Kopfe über den Hof gehen und in dem gegenüberliegenden Hintergebäude verschwinden. Dort führte eine Türe nach dem Garten.

      »Verlorener Sohn!« stieß der Rat mit vor Ingrimm erstickter Stimme hervor. »Das verzeiht dir deine Mutter nie! – Geh, mache, daß du aus meinem Hause kommst – hier ist kein Raum mehr für dich! ... Ich kann den Himmel nicht genug preisen, daß er die Wolframs in meinem Kinde neu aufblühen läßt und ihr altes Stammhaus vor der fremden Kuckucksbrut bewahrt!«

      Er ging hinüber in sein Zimmer und schlug die schwere, metallverzierte Türe klirrend hinter sich zu, während der junge Mann schweigend, mit fliegenden Händen das einzige Erbe aus dem Vaterhause, das silberne Eßbesteck, zusammenraffte, um ebenfalls die Wohnstube zu verlassen.

      5.

       Inhaltsverzeichnis

      Wie betäubt ging er durch die Küche und schob den Riegel der Türe zurück. Beim Öffnen scholl ihm Stimmengeräusch entgegen; es hatte sechs Uhr geschlagen; die Haustür stand voll Frauen und Kinder, und über den vorderen Hof her kamen sie immer noch geströmt, die Abendkunden des Klostergutes, mit den blechernen und irdenen Henkeltöpfen oder dem Steinkrug in der Hand. Die Stallmagd hatte eben zwei Eimer voll schäumender Milch auf den Fußboden niedergesetzt und sah sich erstaunt um, denn der Platz am Schenktisch war noch leer – zum erstenmal, seit sie auf dem Klostergute diente; selbst am Sterbe- und Begräbnistage der seligen Frau Rätin war der Posten pünktlich eingenommen worden, in dem Augenblick, wo die Milch von den Ställen her gebracht wurde.

      Felix schritt rasch durch die versammelten Leute. Sonst hatte ihn der »Milchhandel« dergestalt angewidert, daß er stets um diese Zeit über ein verstaubtes Hintertreppchen gegangen war, um dem Menschenandrang in dem Hausflur auszuweichen. Heute sah er mit zerstreutem Blick über die Köpfe der Wartenden hinweg – er bemerkte nicht, wie er gegrüßt wurde, wie sich die Frauen und Mädchen heimlich anstießen und den bildschönen jungen Herrn bewundernd mit den Augen verfolgten, während er flüchtigen Fußes die kreischende Treppe hinaufsprang – zum letztenmal, denn der Onkel hatte ihn aus dem Hause gewiesen. Nie, nie wieder wollte er zurückkehren in das dunkle Haus, in diesen von Mönchen gebauten und von einer engherzigen, phantasiearmen Familie durch alle Generationen hindurch sorglich behüteten Sarg, dem die Menschenseelen angepaßt wurden, indem man jede schüchtern hervorwachsende Schwinge abschnitt, jeden traditionswidrigen Geistesfunken mit dem Fuße austrat.

      Die kleine Reisetasche des Ausgewiesenen lag noch droben im Giebelzimmer auf dem Tische, die mußte er holen. Er wollte mit dem Nachtzug nach Berlin zurück, vorher aber seinen Freund Arnold im Schillingshofe sprechen. Das waren die einzigen Entschlüsse, die sich emporrangen aus den aufgetürmten Wogen namenloser Erbitterung, aus dem Wirbel, in dem sein furchtbar erregtes Gehirn kreiste. Bis hinunter zu dem Grundgedanken, wie es nun werden sollte, kam er nicht – immer wieder wälzte sich das Geschehene durch seinen Kopf ... Er war vorgestern von Berlin abgereist – Madame Fournier, die augenblicklich in Wien gastierte, hatte ihrer alten Mutter geschrieben, daß der Hoftheaterintendant auf ihren Wunsch, Lucile demnächst auf der Bühne des Kärntnertortheaters debütieren zu lassen, einzugehen scheine – diese Nachricht hatte ihn tief erschreckt, denn er verhehlte sich nicht, daß ihm die Geliebte halb und halb verloren sei, wenn sie einmal ihren Triumphzug begonnen habe. Und sie selbst hatte ihn in leidenschaftlicher Ungeduld gedrängt, seine Verhältnisse sofort zu ordnen und dann nach Wien zu gehen, um persönlich mit ihrer Mutter zu verkehren – und nun war alles in den ersten Stunden gescheitert! –

      Er preßte die Hände gegen die heftig klopfenden Schläfen, als könne er mit dieser einen verzweifelten Bewegung seinen zerrütteten, aus der Bahn geschleuderten Gedankengang wieder einlenken, einen leitenden Faden in dem ungewissen Düster finden, in das er aus der Sonnenhelle seiner sanguinischen Hoffnungen mit geblendeten Augen gestürzt war ... Er hatte sich mit seiner Mutter entzweit für immer! Das sagte der Onkel nicht allein, er fühlte es selbst, daß sie ihm die unzerstörbare, enthusiastische Liebe zu seinem verschollenen Vater nie verzeihen, noch weniger aber die Rücksichtslosigkeit vergessen werde, mit der er endlich seinem stillschweigend getragenen kindlichen Schmerz Luft gemacht hatte.

      Wie schroff und hart, wie unbeugsam war sie ihm aber auch entgegengetreten! So war es immer gewesen. Da hatte es nie ein mütterlich sanftes Zureden und Vorstellen, nie, solange er denken konnte, jenes teilnehmende Mitversenken in des Kindes Freud und Leid gegeben, das die Luft heller erglühen macht und das Weh sänftigt, wie das Streicheln einer weichen, linden Hand – ihre ganze Erziehungsweise war ein barsches Kommando gewesen ... Und wie blitzschnell war sie vorhin mit dem Entschluß, ihr einziges Kind zu enterben, fertig geworden! – ja, zu schnell, selbst für eine augenblickliche Eingebung! – Das war wohl schon vorher gedacht worden! – Und jetzt kroch ein finsterer Argwohn schlangengleich an dies arglose, bis dahin im idealen Vertrauen förmlich aufgehende Herz des Jünglings heran und packte es wie ein Dämon. Wie, wenn der Familienfanatismus seiner Mutter so weit ging, daß ihr der Vorwand nicht unwillkommen gewesen war, ihr großes Erbteil den Wolframs wieder zuzuwenden?

      Er lief, wie von Harpyien verfolgt, im Giebelzimmer auf und ab....Nimmermehr! Ein solch entsetzlicher Verdacht entwürdigte ihn selbst; es war eine Befleckung seiner eigenen Seele, eine Art von unedler Rache, die ihm die Schamröte auf die Wangen trieb ... Da lag noch das Schreibeheft auf dem Tische; das Verzeichnis der aufgeschlagenen Blattseite bewies unwiderleglich die treue Sorge, mit der die Mutter seiner Zukunft gedacht hatte – freilich war die verzeichnete Wäsche nur für den Ausstattungsschrein einer jungen Frau im Sinne der Majorin, einer vornehmen Beamtentochter oder der Erbin eines reichen Fabrikherrn, bestimmt gewesen – aber das tat doch der Sorge um ihn keinen Abbruch. Und dort im Fensterbogen hing das Bild ihres Sohnes – wenn sie arbeitend am Tische saß, mußte sie bei jedem Aufblick in sein Gesicht sehen. Nein, liebeleer war ihr Herz nicht, wenn auch ihre starren Vorurteile, ihre geradezu männliche Strenge gegen sich selbst und ihre Angehörigen ihr den Anschein innerer tödlicher Kälte gaben.

      Zögernd griff er nach seiner Ledertasche und warf den Riemen über die Schulter – er war zum Fortgehen gerüstet. Dennoch blieb er stehen und horchte gespannt, ob nicht wohlbekannte Schritte über den Vorsaal kämen... Es verstand sich von selbst, daß er das Klostergut auf Nimmerwiederkehr verließ; aber schmerzbewegt gestand er sich, daß es ihm unmöglich sei, von seiner Mutter für immer zu gehen, ohne ihr gesagt zu haben, wie ihm seine leidenschaftliche Heftigkeit ihr gegenüber leid tue; er mußte sie noch einmal sehen, selbst – wenn sie sein Abschiedswort in verächtlichem Schweigen anhören und nicht erwidern sollte.

      Es war sehr schwül geworden. Am südlichen Himmel stieg eine schiefergraue Gewitterwolke auf; sie rückte allmählich wie mit bleierner Schwere vor, Linie um Linie erstickte das glanzvolle Abendlicht hinter ihr, und in die Häuser sank ein immer tieferes Dämmern, als bräche eine frühe Nacht herein.

      Drunten im Vorderhofe herrschte jetzt beruhigende Stille. Das große Tor war geschlossen; seine Wölbung sah aus wie bekränzt durch die Kleebüschel, die das bröckelnde, zerklüftete Mauerwerk vom hochbeladenen Fuder weg an sich gerissen. Auch das Rasseln des Mauerpförtchens schwieg, nachdem der letzte verspätete kleine Kunde mit seinem ängstlich behüteten Milchtopf das Klostergut verlassen hatte. Vor dem Hühnerstall lag der Riegel, die Pfauen und Truthühner hockten auf ihren Stangen unter niederem Dache, und nur auf dem Rand des Brunnentrogs flatterten noch badelüsterne Tauben.

      In der Platanenallee des Schillingshofes rührte und regte sich auch kein Leben mehr; alle farbenbunte und blinkende Ausstattung der eisernen Möbel war fortgeräumt, und die Baumhalle erhob sich mit ihren unbewegten

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