Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Salon spielen?« unterbrach die Majorin kurz und schneidend die Schilderung.

      Ihr Sohn schwieg bestürzt, und seine Augen suchten unsicher den Boden. »Die meisten dieser Herren sind unverheiratet –«

      »Und die verheirateten lassen ihre ehrbaren Frauen zu Hause,« ergänzte sie mit einem unbeschreiblichen Gemisch von unterdrücktem Groll und eisiger Verachtung. »Wenn du glaubst, mich mit der erzwungenen, kläglich nachgeäfften Vornehmheit dieses Tänzerinnensalons zu blenden, da irrst du dich gründlich – ich kenne die Lockerheit, den Sumpf hinter der gemalten Leinwand, und diese Kenntnis habe ich teuer genug erkauft.«

      Felix schrak zusammen vor dem grellen Licht, das diese Worte in das Dämmerdunkel seiner Kindererinnerungen, über gewisse unbegriffene Vorgänge im Königsberger Elternhause warfen – jetzt verstand er sie; jetzt wußte er, weshalb sich die Mutter, bis zur Unkenntlichkeit vermummt und verschleiert, spät abends von seinem Bettchen weggestohlen hatte – sie war heimlich dem Vater nachgegangen ... Diese Erkenntnis raubte ihm den letzten Rest von Hoffnung – es galt nicht allein mehr, gegen »spießbürgerliche Vorurteile« anzukämpfen, die beleidigte Ehefrau, die sich in ihren Rechten durch jene »Menschenklasse« beeinträchtigt gesehen hatte, stand in starrer Unversöhnlichkeit vor ihm. Dennoch überkam ihn eine Art von Verzweiflungsmut.

      »Ich darf und will dein strenges Urteil nicht anfechten, weil ich nicht weiß, was du erlebt hast,« sagte er, sich die äußere Fassung erzwingend. »Im Grunde denke ich ja ähnlich – obgleich ich schwören kann, daß im Fournierschen Hause Anstand und Sitte nie verletzt werden – aber ich will auch mein Mädchen nicht von der Bühne weg heiraten, und deshalb bin ich jetzt hierhergekommen ... Lucile hat die Bretter noch nicht betreten, obgleich sie bereits als vollendete Künstlerin gilt. Madame Fournier, deren Stern im Erbleichen ist, hat sie selbst unterrichtet; sie glaubt so fest an eine große Zukunft ihrer Tochter, die sie allerdings mit auszubeuten wünscht, daß sie selbst die ernstgemeinten Bewerbungen des Grafen L. um Luciles Hand ignoriert... Lucile soll in der nächsten Zeit debütieren, und dem muß ich um jeden Preis zuvorkommen –«

      »Tanzt das Mädchen gern?« warf die Majorin trocken ein.

      »Ja, leidenschaftlich gern. Aber sie will der eigenen Lust am Beruf, dem Ruhm und Glanz einer solchen Laufbahn entsagen um meinetwillen –« seine Stimme sank und schmolz dabei in Weichheit und Zärtlichkeit – »du kannst danach ermessen, wie lieb sie mich hat, Mama.«

      Ein ausdrucksvolles, spöttisches Kopfnicken der Majorin war die Antwort.

      »Und die ausbeutelustige Mama in Berlin hat, wie mir allmählich klar wird, keine Ahnung von diesen beglückenden Plänen und Wünschen?« fragte der Rat.

      »Nein,« antwortete Felix gepreßt – es lag so viel aufreizender Hohn in jeder Bewegung, jedem Ton der Inquirierenden. Dennoch bezähmte er sich und setzte hinzu: »Ich muß als ehrlicher Mann erst feststellen, was ich Madame Fourniers eigenen Plänen und den Bewerbungen des anderen Freiers gegenüber in die Wagschale legen darf...«

      »Nun, darüber kannst du doch unmöglich im unklaren sein,« sagte der Rat. »Ich dächte, deine Besoldung als Referendar ließe sich unschwer beziffern – sie dürfte just ausreichen, um Mademoiselle Fourniers Stecknadelbedarf zu bestreiten.«

      Eine Flamme der Entrüstung ... der zornigen Scham schlug über das Gesicht des jungen Mannes hin; aber noch hielt er an sich. »Ich bin entschlossen, aus dem Staatsdienst zu scheiden und mich hier in der Stadt als Notar niederzulassen –«

      In diesem Augenblicke legte sich die Hand der Majorin schwer auf seine Schulter, und noch nie hatte ihm die Stimme seiner strengen Mutter so unerbittlich, so vernichtend geklungen, als jetzt, wo sie sagte: »Besinne dich, Felix – ich vermute, du sprichst im Fieber! Um die Nebel in deinem Kopfe gründlich zu zerstreuen, will ich dir klarmachen, was du dieser Madame Fournier, die ein Haus macht wie eine Fürstin, die eine hochadelige Partie für ihre Tochter zurückweist, und millionenfachen Reichtum von den Ballettsprüngen ihrer Schülerin erwartet, der strengen Wahrheit gemäß zu sagen haben wirst: Ich habe keine Laufbahn vor mir, besitze keinen Heller eigenen Vermögens und muß von dem leben, was mir meine Klienten einbringen. Ihre Prinzessin Tochter wird die Kochschürze umbinden und wohl oder übel schadhafte Wäsche ausbessern müssen; ihre gesellschaftlichen Talente kann sie bei mir nicht verwerten; denn die gute Stube eines unbemittelten Notars ist kein Empfangsalon, in dem sich hochgräflicher Besuch einzufinden pflegt – meiner Mutter aber darf ich sie nie vor die Augen bringen.«

      »Oh, Mutter!« rief der junge Mann.

      »Mein Sohn,« fuhr sie fort, ohne den Aufschrei voll Schmerz und Qual zu beachten, »du wünschtest vorhin, reich, sehr reich zu sein, und wie ich jetzt verstehe, hattest du allen Grund dazu, denn ein ›fürstlicher‹ Haushalt kostet Geld. Du meinst nun, das Vermögen deiner Mutter falle bedeutend in die Wagschale, und darin hast du vielleicht nicht ganz unrecht; aber dieses Vermögen ist Pfennig um Pfennig, Groschen um Groschen von einer braven, ehrlich arbeitenden Familie drei Jahrhunderte hindurch sorgfältig aufgesammelt worden, und das sage ich dir –« sie hob die Rechte und ihre ebenmäßige, hohe Gestalt reckte sich in unerbittlicher Strenge gebietend auf – »ehe ich das Vermächtnis meiner Familie in einer liederlichen Theaterwirtschaft verprassen lasse, eher vermache ich es bei Heller und Pfennig an den Namen Wolfram zurück – danach richte dich!«

      »Das ist deine endgültige Entscheidung, Mutter?« fragte der Sohn mit blassen Lippen, und seine schönen, blauen Augen blickten wie erloschen.

      »Meine endgültige Entscheidung ... Schlage dir das Mädchen aus dem Sinne – du mußt es können, das sage ich dir ein für allemal! Ich will nur dein Bestes – später wirst du mir's danken.«

      »Für zerstörtes Lebensglück dankt man nicht,« versetzte er, und jetzt erhob sich seine Stimme in unaufhaltsam hervorbrechendem Groll zu einem allmählich wachsenden Sturm, den er selbst nicht mehr zu beschwören vermochte. »Schütte du deine Kapitalien immerhin dem kleinen Wolfram in die Wiege – sie sind dein Ererbtes, du kannst damit schalten und walten, wie es dir beliebt. Dagegen hast du deinen Einspruch in meine Herzensangelegenheit verwirkt... Du greifst stets selbstsüchtig in mein Leben ein, als sei ich deine Sache, ein Gegenstand ohne Blut und Leben, ein Stück Wachs, das du im Wolframschen Geiste ummodeln könntest... Du hast einst meinem Schicksalsgang eigenmächtig eine Wendung gegeben, die ich einen unverantwortlichen Raub nenne. Ich war damals ein Kind, das an deiner Hand mitgehen mußte, wohin du es führtest. Jetzt aber habe ich meinen eigenen Willen – ein zweites Mal lasse ich mich nicht in unmenschlicher Grausamkeit berauben!«

      »Jesus!« stöhnte die Majorin auf, als habe sie einen Todesstoß erhalten. Sie hatte eine halbe Wendung, wie zur Flucht, nach der Türe zu gemacht – dort stand sie mit unwillkürlich erhobenen Händen und starrte voll Entsetzen nach dem Sohn zurück. Dem Rat aber lief eine dicke Zornader über die Stirn hin; er ergriff den jungen Mann am Arme und rüttelte ihn in brutaler Weise.

      »Was ist das für eine Sprache, du armseliger Bursche!« schalt er. »Was hat man dir gestohlen, du Habenichts? Wirst du mir wohl erklären, inwiefern du beraubt worden bist?« –

      »Als man mir das Vaterhaus nahm,« entgegnete Felix mit erschütterndem Stimmklang, indem er mittels einer energischen Wendung seines schlanken Körpers die Hand des Onkels von sich schüttelte. »Wenn ein Vater stirbt, so ist das eine Fügung des Himmels, der sich die Kinder unterwerfen müssen – niemals aber sollten Menschen Vater und Sohn auseinanderreißen, denn sie sollen sich ergänzen, sie gehören zusammen, weit mehr noch als Mutter und Sohn ... Und mein Vater hat mich unsäglich lieb gehabt. Ich weiß heute noch, was ich gefühlt habe, wenn er mich mit seinen Küssen bedeckte, wenn er mich in stürmischer Zärtlichkeit an sich preßte, an sein starkschlagendes Herz, der schöne, stolze, herrliche Soldat, den man leichtsinnig schilt, weil er – kein Philister

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