Hexenhammer 1 - Die Inquisitorin. Uwe Voehl
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Unversehens fand sie sich in einem prunkvollen Zimmer wieder. Schwarzer edler Samt bedeckte die Wände. Die Schränke und anderen Möbelstücke waren mit Goldbeschlägen verziert. Aus Räucherschalen schlängelte sich schwarzer Rauch, der im ganzen Raum verteilt wie dunkler Nebel wallte.
Die Schwester Oberin saß auf einem erhöhten Stuhl aus Ebenholz und sah Lotte streng entgegen. Mit einer Handbewegung entließ sie die Ratten. Stattdessen traten Schwester Gertrud und Schwester Adelheid aus den Schatten hervor. Ihre Mienen waren versteinert.
»Komm näher!«, befahl die Schwester Oberin, und Lotte gehorchte. Noch immer geschwächt, wollten ihre Beine nicht so, wie sie wollte. Fast wäre sie über einen der schweren Teppiche gestolpert. Die Rippen schmerzten noch immer.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte die Schwester Oberin mit kalter Stimme, die eisiger war als die Zapfen vor dem Fenster.
»Was … gedacht?«
»Du hast den HERRN angerufen und dich beklagt!«
»Nein, das habe ich …«
»Schweig!«, schrie die Schwester Oberin. »Du hast uns alle vor dem HERRN schlechtgemacht! Aber glaube nicht, dass es dir gut bekommt. Er hat mir den Auftrag erteilt, ein Auge auf dich zu haben und dir eine ganz besondere Erziehung zuteilwerden zu lassen. Ist es wahr, dass du den Namen des Unaussprechlichen in den Mund genommen hast?«
Lotte duckte sich vor Scham und Angst. »Ich habe nur …«
Die Schwester Oberin sprang auf. »Ich höre nur Ausflüchte! Deine Missetat hat den HERRN derart erzürnt, dass er an Ort und Stelle entflammt ist. Du hast die Zerstörung gesehen. Es ist ein Wunder, dass das Haus noch steht.«
Lotte wollte etwas sagen, aber die Schwester Oberin ließ sie nicht zu Wort kommen. »Schwester Gertrud hat erkannt, was mit dir nicht stimmt, nicht wahr?«
»Oh ja«, sagte die Schwester. »Es ist der Feind in Lottes Kopf. Er versucht in so vielen Köpfen Unheil zu stiften. Wie alle unsere Körper von den Seelen des HERRN gelenkt werden, so mag das eine oder andere Schlupfloch auch seinen Feinden einen Weg in den Leib bieten. Solcherart vermögen sie im Inneren Kräfte zu erzeugen und Eindrücke hervorzubringen, die denen des HERRN spiegelverkehrt sind.«
»Klug erkannt, Schwester Gertrud, doch wie, außer mit der Gerte, können wir unserer armen Lotte die falsche Vorstellungskraft austreiben?«, unterbrach Schwester Adelheid sie ungeduldig.
»Nun, es gibt Tränke und Salben, den falschen Geist aus ihr zu vertreiben …«
»Ihr werdet beides an Lotte ausprobieren, meine Schwestern«, entschied die Schwester Oberin. Sie beugte sich zu Lotte vor: »Eines aber möchte ich von dir wissen: Auf welche Weise hast du den HERRN angerufen, dass er dir erschienen ist?«
In ihren Augen glomm etwas auf, was Lotte mehr als alles andere ängstigte:
Neid!
Sie hatte den Neid der Schwester Oberin auf sich gezogen.
»Ich … ich weiß es nicht. Er stand plötzlich vor mir!«
»Du lügst! Es ist der Unaussprechliche in dir, der aus dir spricht!«, kreischte sie und riss Schwester Adelheid die Gerte aus den Händen.
Dann waltete sie persönlich ihres Amtes.
AUFSTEHEN. Antreten. Asmodi unser, der du wandelst auf Erden.
Sie stand auf, begriff, dass es ohne Sinn war. Begriff, dass sie antreten musste. Begriff, dass niemand ihre Gebete erhörte.
Sie war wieder im Loch gelandet. Weder Schwester Gertrud noch Schwester Adelheid hatten mit ihren Methoden Erfolg gehabt.
»In ihrem Kopf sitzt immer noch der Feind«, hatte Schwester Gertrud erklärt. »Selbst die giftigsten Tränke bringen ihn nicht um. Er ist sehr hartnäckig.«
»Und selbst die ärgsten Schläge scheint er nicht zu spüren«, ergänzte Schwester Adelheid. »Es muss sich um einen sehr starken Diener des Unaussprechlichen handeln, der in sie gefahren ist.«
»Je stärker der Eindringling ist, umso größer seine Widerstandskraft. Wir wissen es ja: Da er aller körperlichen Eigenschaften entbehrt, empfindet er keinen Schmerz. Aber vielleicht können wir ihn austrocknen, indem wir ihn von jeglichen Sinneseindrücken fernhalten.«
Und so war Lotte erneut im Loch gelandet.
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