Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse Autoren
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»Vielleicht komme ich bald wieder, Achim.« Isolde warf Denise einen unsicheren Blick zu.
»Ein paar Wochen sollten Sie es schon bei uns aushalten, liebe Frau von Rettwitz«, bat Denise. »Lassen Sie es wenigstens auf einen Versuch ankommen. Ihr Mann wird es gewiss einrichten, Sie ab und zu übers Wochenende zu besuchen.«
Achim nickte. »Wenn das möglich ist, gnädige Frau? Dies ist doch kein Hotel.«
»Nein, aber ein Haus, in dem man sich immer über Gäste freut.«
Isolde machte eine Bewegung. »Ich bin kein erfreulicher Gast, Frau von Schoenecker.«
»Das müssen Sie den anderen zur Entscheidung überlassen«, erklärte Denise ruhig. »Jedenfalls ist Ihr Gatte uns immer herzlich willkommen – sowohl hier in Sophienlust wie drüben in Schoeneich.«
Achim sah auf seine Uhr. »Ich fürchte, ich muss an die Rückfahrt denken, gnädige Frau.«
Isolde begleitete ihn bis zum Auto. Wieder einmal war Nick im rechten Augenblick zur Stelle und erbot sich, Isoldes Gepäck ins Gästezimmer zu tragen.
Denise führte Frau von Rettwitz noch einmal ins Biedermeierzimmer zurück. »Wenden Sie sich bitte immer an mich, wenn Sie einen Wunsch haben«, bat sie. »Sollte ich einmal nicht erreichbar sein, so hilft Ihnen Frau Rennert oder auch deren Schwiegertochter Carola.«
»Ich hoffe, dass ich niemandem Mühe machen werde, Frau von Schoenecker. Vielleicht passe ich gar nicht in dieses Haus. Maria Berger hat meinen Mann gedrängt. Und er hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich zustimmte. Mein armer Mann hat es schwer mit mir.« Sie seufzte tief auf.
»Ihr Mann möchte Ihnen helfen, Frau von Rettwitz. Den gleichen Wunsch haben wir. Ich begreife, dass Ihnen das unmöglich erscheinen muss, denn niemand kann Ihnen Ihr geliebtes Kind zurückgeben. Trotzdem wollen wir versuchen, Ihnen Ihr bitteres Leid tragen zu helfen.«
»Sie sind sehr gütig, Frau von Schoenecker. Der Arzt meint, ich sollte Abstand gewinnen. Aber man nimmt den Kummer mit sich, fürchte ich.«
»Trotzdem geht das Leben weiter. Ihr Mann braucht Sie – auch er trauert um das Kind«, mahnte Denise sanft.
»Achim kommt immer allein zurecht. Das haben Sie doch vorhin selbst mit angehört. Er ist viel stärker als ich. Wenn ich tot wäre wie Renata, könnte er sich anderweitig binden und sicherlich wieder glücklich werden.«
»Diese Einstellung werden Sie bald aufgeben, liebe Frau von Rettwitz! Wenn Ihr Mann Sie nicht so innig liebte, hätte er Sie wohl kaum hierhergebracht.«
Denise sprach an diesem Sonntagnachmittag nicht lange mit der neuen Bewohnerin von Sophienlust. Dennoch blieb es Nick vorbehalten, das Eis bei Isolde von Rettwitz ein wenig zu brechen. Er stand sozusagen rein zufällig im Weg, als Isolde ihr Zimmer aufsuchte, während seine Mutter mit Henrik zum Abendessen nach Schoeneich zurückfuhr.
»Kann ich noch etwas helfen?«, erkundigte er sich jetzt artig. »Ich habe die beiden Koffer auf den Ständer gestellt. Aber vielleicht ist der falsche oben.«
»Danke, Nick. Ich denke, es ist nicht wichtig, in welcher Reihenfolge ich die Koffer auspacke. Wohnst du denn hier?«
»Ich habe ein Zimmer in Sophienlust. Heute bleibe ich, weil …«
»Doch nicht meinetwegen?«, warf Isolde erschrocken ein.
»Nein, sondern wegen der roten Grütze«, gestand Nick in schöner Aufrichtigkeit. »Die gibt es nämlich zum Abendbrot. Magdas rote Grütze ist einmalig. Sie werden es ja erleben.«
Isolde von Rettwitz setzte sich in den geblümten Sessel und wies auf den zweiten Stuhl im Zimmer, damit auch Nick Platz nehme.
»Rote Grütze hab’ ich als Kind auch schrecklich gern gemocht. Es ist viele Jahre her, dass ich sie zum letzten Mal aß.«
»Rote Grütze mögen nicht nur Kinder«, stellte Nick fest. »Überhaupt wird Ihnen Magdas Essen guttun. Sie sind nämlich viel zu dünn.«
Nick redete so altklug wie ein Vater zu seiner Tochter. Doch Isolde von Rettwitz war von dem hübschen Jungen fasziniert. Ohne es recht zu merken, ging sie aus ihrer sonstigen Reserve heraus.
»Mir hat das Essen nicht mehr geschmeckt, Dominik«, erzählte sie.
»Das kann ich mir vorstellen, Frau von Rettwitz. Mutti hat mir gesagt, dass Sie Ihre kleine Tochter verloren haben. Das ist schrecklich traurig für Sie.«
Isolde nickte stumm. Ihr war die Kehle von aufsteigenden Tränen eng. Sie hatte auf einmal das Bedürfnis, zu weinen – zum ersten Mal seit Renatas Tod!
»Meine Mutti hat auch viel Trauriges erlebt«, fuhr Nick unbefangen fort, während die Frau im Sessel beklommen dem Schlag ihres eigenen Herzens lauschte. »Mein Vater starb, noch ehe ich geboren wurde. Ich habe ihn also nie gekannt. Damals war Mutti ganz arm und musste Geld verdienen. Sie war Tänzerin. Später konnten wir dann hierher nach Sophienlust, weil meine Großmutter mir alles vererbt hatte. Seitdem sind wir glücklich. Alle Leute, die nach Sophienlust kommen, werden glücklich. Das müssen Sie mir glauben.«
Isolde von Rettwitz nickte ihm zu. »Du bist ein guter Junge, Dominik. Ich danke dir.«
»Sie können mich Nick nennen, wie alle«, erlaubte er großzügig. »Zu bedanken brauchen Sie sich nicht. Wofür eigentlich?«, fügte er hinzu.
»Weil du mir von euch erzählt hast, Nick.«
Er hob die Schultern. »Na ja, ich dachte, es interessiert Sie, weil Sie jetzt bei uns sind. Außerdem möchte ich gern, dass es Ihnen in Sophienlust wirklich gefällt.«
»Ich werde mir Mühe geben, Nick«, versprach Isolde von Rettwitz.
»Ich glaube, das ist gar nicht nötig. Es kommt von selbst«, behauptete Nick. »Kommen Sie nachher zum Essen in den Speisesaal oder möchten Sie lieber allein essen am ersten Abend? Mutti hat mir aufgetragen, Sie zu fragen.«
»Wenn du neben mir sitzen willst, komme ich mit. Ich möchte mich nicht ausschließen.«
»Prima, Frau von Rettwitz. Ich hole Sie nachher ab. Jetzt will ich nicht länger stören. Und nicht wahr, Sie sind schon gar nicht mehr so schrecklich traurig – wenn’s auch schlimm ist mit Ihrer kleinen Tochter?« Unsicher sah er sie an.
Isolde konnte ihm nur stumm zunicken. Als er hinausgegangen war, warf sie sich über ihr Bett und schluchzte wild auf. Zum ersten Mal schwemmte eine Flut von heißen Tränen den Panzer fort, der sich um ihre Seele gelegt hatte.
*
Achim von Rettwitz war etwa eine halbe Stunde zu Hause, als das Telefon läutete. Er ging an den Apparat und meldete sich.
»Hallo, wie geht’s?« Eine fröhliche Stimme erklang, die Stimme einer Frau.
»Wer spricht denn da? Ich fürchte, Sie sind falsch